Bemerkenswertes Projekt:Mural mit Message

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Der international aktive Künstler "Sat One" gestaltet mit Kirchseeoner Gymnasiasten eine riesige Wand in Zorneding zum Thema Nachhaltigkeit.

Von Katrin Kastenmeier

Fast 30 Grad und die Abiturprüfungen sind bereits vorbei. Das heißt für viele Absolventen: Freiheit, Freizeit, Feiern - und sich für nichts mehr verantwortlich fühlen. Möchte man meinen. Dass der Jugend aber vieles so gar nicht egal ist, beweist ihr Interesse an Zukunftsthemen. Schlagwörter wie Klimakrise, Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind längst nicht mehr nur Vokabeln in politischen Debatten. Auch am Kirchseeoner Gymnasium zerbrechen sich junge Menschen den Kopf darüber, wie es denn so weitergeht, mit unserer Welt. Anstatt am Badesee zu liegen oder sich EM-Spiele beim gemeinsamen Grillabend anzusehen, wollen 15 Schülerinnen und Schüler deshalb mit einem Kunstwerk aufmerksam machen, auf ein Thema, das uns alle etwas angeht.

Schauplatz: das Entsorgungs- und Recyclingunternehmen Ammer in Zorneding. Gleißendes Sonnenlicht verwandelt das Gelände in eine unwirkliche Kulisse. Riesige Hallen, bis zur Decke gefüllt mit Kunststoff und Sperrmüll, ragen in den Himmel. Dazwischen unzählige Würfel aus gepresstem Papier, losem Karton und alten Verpackungen. Ab und an zwängt sich ein großer LKW vorbei, der entweder neues Material anliefert oder bereits sortierte Rohstoffe abholt. Gefühlt ist es hier noch einmal zehn Grad heißer als anderswo. Ganz am Ende des Areals, hinter einer riesigen Halle, fährt eine Hebebühne hinauf in Richtung gnadenloser Sonne. Oben drauf steht Rafael Gerlach, ein Münchner Künstler, der unter dem Alias "Sat One" normalerweise in Paris oder San Francisco arbeitet. Jetzt malt er in Zorneding Striche und bunte Formen an eine weiße Wand, rund fünf Meter über dem Boden.

Was macht er hier? "Die Wand des Entsorgungsunternehmens anmalen", sagt Jannik Hoog, denn "passender könnte der Ort für ein Mural zum Thema Nachhaltigkeit nicht sein". Der Abiturient vom Gymnasium Kirchseeon steht neben Gerlach und ist einer von 15 Teilnehmern eines P-Seminars. Er erzählt, dass das Projekt bereits im Schuljahr 2019/20 unter dem Titel "Kreislauf" gestartet wurde. Die Idee: das Bewusstsein für einen nachhaltigeren Alltag schärfen, und zwar nicht mit Allgemeinbekundungen, sondern ganz konkret, vor der eigenen Haustür. "Müll einsammeln war uns aber zu konventionell", erinnert sich der Schüler. Auch andere Überlegungen wie nachhaltiger Schmuck oder richtige Mülltrennung wurden verworfen. Die Gymnasiasten wollten ihr Anliegen auf abstraktere Weise umsetzen - und nahmen daher Kontakt mit dem Münchner Grafiker, Illustrator und Designer auf.

Rafael Gerlach ist im Landkreis Ebersberg aufgewachsen. Seine Eltern wohnen in Eglharting, er ist mittlerweile in der ganzen Welt unterwegs. Für ein Schulprojekt kehrte er 2016 schon einmal zu seinen Wurzeln zurück: In der Aula des Kirchseeoner Gymnasiums hat der Künstler eine hundert Quadratmeter große Wand gestaltet. Jetzt, fast fünf Jahre später, steht ihm noch mehr Fläche zur Verfügung: Insgesamt misst die Hallenrückwand der Ammer GmbH 35 auf elf Meter, Gerlach ist für die obere Hälfte zuständig. Bevor aber die ersten Striche gesetzt werden, beginnt ein Prozess aus Skizzen, Besichtigungen und Austausch. "Ich höre und sehe erst einmal in den Ort rein", sagt Gerlach. Auf dem Ammer-Gelände habe ihn schließlich die massive Ballung an gleichen Strukturen im Papiermüll inspiriert. Um das Thema Nachhaltigkeit flächendeckend visualisieren zu können, entscheidet sich der Künstler die Strukturen so anzuordnen, "dass es sich wie in einer Metamorphose vom Urzellstoff zu Papier verwandelt und umgekehrt, ein geschlossener Kreislauf also".

Fünf Meter über dem Boden: Rafael Gerlach alias "Sat One" arbeitet mit Kirchseeoner Gymnasiasten an einem Wandgemälde zum Müllkreislauf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Arbeiten vor Ort gestaltet sich schwieriger als gedacht. "Vor allem das Wetter war schon eine ganz schöne Herausforderung", erzählt Laura van Dam, Schülerin und Seminarleiterin. "Wenn ein Platzregen kam, musste alles innerhalb von fünf Minuten abgebaut werden." Einige Details hätten sich dadurch etwas verzögert, da immer mal wieder gewartet werden musste, bis der Untergrund getrocknet war. Ging es bei fast 30 Grad dann aber wieder hinauf mit der Hebebühne, sei das ein tolles Erlebnis gewesen. "Einmal haben wir uns zusammen mit Rafael beim Malen auch Musik angemacht - und es war total beeindruckend, dass wir in diesem Moment so hoch oben die Größten auf dem Gelände waren", erinnert sich van Dam. So ist innerhalb einer guten Woche ein abstraktes Wandbild entstanden, das ein buntes Durcheinander aus Papierschnipseln, Fehldrucken und Altpapier formt.

Über diese "Verschönerung unserer Halle" freut sich auch Michael Erdmenger. Er ist Geschäftsführer der Entsorgungsgesellschaft und musste nicht lange überlegen, als ihn die Gymnasiasten um einen Platz für ihr Mural baten. "Besonders spannend finde ich, dass das Kunstwerk wirklich etwas mit Recycling zu tun hat und dieser Kreislauf jetzt dauerhaft sichtbar ist", sagt Erdmenger. Das Interesse an nachhaltiger Müllentsorgung und -verwertung findet der Geschäftsführer eine schöne Entwicklung: "Mittlerweile erkennt man schon eine Art Imagewandel hin vom einfachen Müllentsorger zum grünen Recyclingunternehmen". Auch für die Schülerinnen und Schüler waren die Besuche auf dem Gelände sehr aufschlussreich: "Wenn man hier durchläuft, sieht man als erstes: haufenweise Müll", sagt Jannik Hoog. Diese schiere Masse habe ihn total beeindruckt und auch zu einem Hinterfragen des eigenen Konsums geführt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Trotz Gewitterschauern und extremer Hitze haben es die 15 Schülerinnen und Schülern nun geschafft, auf der Hallenrückwand eine Botschaft zu hinterlassen. "Der Kunstanspruch ist wichtig, dennoch möchte ich bei dem Wandbild nicht mit dem Zeigefinger daherkommen und Leute ermahnen, nachhaltiger zu leben", betont Gerlach. Abstrakte Arbeiten hätten ohnehin die Wirkung, ein zweites Mal hinzuschauen - und in diesem Fall vermutlich zudem, zwei Mal darüber nachzudenken. Aber auch die Lage ist dem Künstler zufolge spannend: "Das Tolle an der Arbeit finde ich, dass sie für die Öffentlichkeit so nicht zugänglich ist und man die nur im Vorbeifahren, zum Beispiel von der S-Bahn aus, sieht". Das wecke Neugier.

Um die Message des Murals dennochmöglichst vielen Menschen zu vermitteln, werden Fotos und Hintergrundinformationen zum Projekt auf der Webseite des Kirchseeoner Gymnasiums veröffentlicht. Da Gerlach zudem von einer Kamera begleitet wurde, kann man den Prozess von der Inspiration über die ersten Linien bis hin zum gemeinsamen Gestalten mit den Jugendlichen auch auf seiner Homepage nachverfolgen. Und was bleibt den Gymnasiasten von dieser Zeit? "Ein Statement zum Thema Nachhaltigkeit, das mich an ein tolles Projekt erinnert, wenn ich in zehn Jahren vielleicht mal wieder mit der Bahn dran vorbeifahre", sagt Hoog.

© SZ vom 02.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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