Neue Literaturreihe:"Goethe war ein wüster Kerl"

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Der Autor, Journalist und Theaterkritiker Michael Skasa aus Grafing bestreitet die ersten beiden Ausgaben des neuen Formates "Litera-Turm" im Programm der Stadthalle. Wichtig ist dem 78-Jährigen, dass es dabei nicht zu steif zugeht. (Foto: Maria Obermaier/oh)

Auf der Kleinkunstbühne der Stadthalle gibt es ein neues Format: "Litera-Turm". Theaterkritiker Michael Skasa macht den Anfang

Interview von Anja Blum

Allerhand Kleinkunst gibt es in der Turmstube der Grafinger Stadthalle. Kabarett, Mixed Shows, Jazz-Sessions, Poetry-Slams, sogar Quizabende. Kein Wunder, denn der künstlerische Leiter des Hauses, Sebastian Schlagenhaufer, ist selbst auf diversen Wegen kreativ unterwegs und für die Stadthalle stets auf der Suche nach neuen Formaten. Und nun hat er ein weiteres ersonnen: die Reihe "Litera-Turm". Als Mitstreiter für dieses kulturelle Kaffeekränzchen konnte Schlagenhaufer einen ausgewiesenen Kenner aus Grafing gewinnen, den Autor, Journalist und Theaterkritiker Michael Skasa. In Grafing hat er zuletzt 2014 von sich Reden gemacht, mit einem Projekt zur Nachkriegszeit: In dem Buch "Nix gehabt - und so viel erlebt" schildern 25 Grafinger ihre Kindheit zwischen Überlebenskampf und völliger Freiheit.

Zum Auftakt von "Litera-Turm" gibt es nun zwei Termine: Jeweils sonntags, am 1. und 22. März, um 17 Uhr werden in der Turmstube der Stadthalle zwei Schriftsteller vorgestellt, erst Johann Wolfgang von Goethe, "der Wilde", dann Lena Christ aus Glonn: "Millisuppn und Zyankali - ein Dorfmadel wird Dichterin". Die Ebersberger SZ hat bei Skasa nachgefragt, was genau das Publikum erwarten darf.

SZ: Herr Skasa, gleich mal zu den beiden Themen: Kann man über Autoren wie Goethe und Christ überhaupt noch etwas Neues erzählen?

Michael Skasa: Ich denke schon, dass man sie aus einem neuen Blickwinkel beleuchten kann. Vor allem, weil es mir nicht nur um ihr Werk und Leben geht, sondern um die ganze Atmosphäre ihrer Zeit. Um Kulturgeschichte. Ich will nicht chronologisch Jahreszahlen herunterbeten, sondern zeigen, wie alles zusammenhängt. Bei Goethe zum Beispiel die Aufklärung, Kant, die Französische Revolution, die vielen anderen Dichter des Sturm und Drang. Es war Europas gärende Zeit: Der Glaube wankte, die Throne wackelten, Goethe dichtete.

In welcher Form wollen Sie dem Publikum im Turm Literatur kredenzen?

Auf keinen Fall als trockene Vorlesung, sondern in einer Art Plauderstunde bei Kaffee und Kuchen, ganz frei von der Leber weg. Auch über Fragen oder Anregungen aus dem Publikum freue ich mich. Oft umgibt die Literatur und ihre Anhänger ja etwas Elitäres. Aber ob das im Sinne der Autoren gewesen wäre? Im Litera-Turm soll niemand voller Ehrfurcht stramm stehen! Das würde gerade dem jungen Goethe auch gar nicht gerecht.

Weshalb das?

Weil er ein wüster Kerl war! Ein Nest war Weimar damals, halb so groß wie Grafing heute, aber genau hier hockten die Dichter und Künstler, schlugen sich Ideen um die Ohren, stritten und reimten. Mittendrin der junge Anwalt Goethe, der die Weiber hinriss, mit dem Herzog ritt und abends trank. Kein Klassiker, ein Stürmer war er, die Spießer fuhren aus dem Schlaf und rieben sich die Augen. Goethes "Werther" löste eine Selbstmordwelle aus, sein "Faust" verführt eine 15-Jährige - und so was wurde Minister im Herzogtum!?

"Faust" wird ja nach wie vor viel gespielt ..

. Ja, ja, vor zwei Jahren erst im Residenztheater, vor fünf Jahren im Volkstheater, hab ich gesehen, das hat mich sehr wütend gemacht: da waren nur noch fünfzig Zeilen Goethe drin, der Rest war irgendwelcher Zinnober. Man kann die Klassiker ja gerne modern inszenieren, aber der Text sollte schon erhalten bleiben. Schließlich ist das Original doch hinreißend aktuell! Und gerade der Gegensatz von altmodischer Sprache und frech-dreckigem Inhalt kann doch wunderbar funktionieren und faszinieren. Goethe war wirklich ein toller Bursche!

Sie haben 40 Jahre lang mit literarischen wie musikalischen Beiträgen Radio gemacht und etwa 50 Hörbild-Porträts von Dichtern und historischen Personen verfasst. Wie bereiten Sie sich auf den neuen Litera-Turm vor?

Naja, ich werde ein paar Seiten zum Vortragen mitbringen und einige Zitate, damit ich nicht bloß selber rede, aber das war's. Ich erzähle eben, was ich so weiß. Und wenn ich eine Antwort schuldig bleiben müsste, dann ist das eben so.

Wissen Sie schon, ob es noch weitere literarische Nachmittage im Turm geben wird?

Das ist jetzt erst mal ein Experiment. Wir werden sehen, wie diese zwei Termine laufen, ob wir alle zufrieden sind, und dann weiter entscheiden. Ich habe auch extra zwei ganz unterschiedliche Autoren ausgesucht, um rauszufinden, was besser ankommt. Mir persönlich wäre es aber natürlich am liebsten, wenn sich diese neue Kaffee-Plauderstunde querbeet durch die Literatur- und Kulturgeschichte arbeiten würde. Das wäre lebendiger. Fest steht für mich aber jetzt schon, dass "Litera-Turm" eine sehr hübsche Idee ist.

Haben Sie und Ideengeber Sebastian Schlagenhaufer auch mal über ein anderes Format nachgedacht? Über eine Plauderei zu zweit oder gar ein Grafinger Literarisches Quartett?

Ja, das haben wir. Und so etwas kann sich ja auch noch entwickeln, das muss keine One-Man-Show sein. Mal sehen, wer alles zu den ersten Ausgaben kommt, und welche Dispute sich da entspinnen ..

. Ein Experiment also - was wäre für Sie der "worst case"?

Wenn es albern werden sollte. Oder wenn die Menschen denken: "Der will sich doch nur reden hören". Aber es geht da ja gar nicht um mich.

Wie groß ist Ihr Bezug zu Grafing, der Stadt ihrer Kindheit und Jugend, heute?

Nach wie vor sehr groß. Hier steht mein Elternhaus, wo ich etwa 30 Prozent der Zeit verbringe.

Wie stehen Sie als Kulturmensch zur Diskussion um die Stadthalle? Abreißen? Sanieren? Oder erst einmal abwarten?

Zuerst: Wir brauchen ganz unbedingt eine Stadthalle in Grafing! Als ich bei einer Führung die schaurige Situation innen drin erfahren musste, war ich entsetzt. Das ist ja eine bauliche Katastrophe! Technik, Architektur, Platzausnutzung - alles nicht zu halten. "Renovieren" brächte leider nur Bruchwerk. Es muss wohl entsetzlicherweise auf einen Neubau rauslaufen. Wobei ich sehr für das alte Erscheinungsbild plädiere. Und: Wir brauchen spendenfreudige Mitbürger, die tief in ihre tiefen Taschen greifen. Früher hat eine Gemeinde zusammen ihre große Kirche gestemmt - also, auf geht's!

Sie sind jetzt 78 Jahre alt, aber von nachlassender Energie ist nichts zu spüren. Sie halten immer noch regelmäßig Vorträge?

Ja, genau. Mein liebster ist einer über die Geschichte der Migration, den ich vor ein paar Jahren für die Grafinger VHS entwickelt habe. Denn es ist wirklich bemerkenswert, wie sich Flucht und Vertreibung durch die ganze Menschheitsgeschichte und die Literatur ziehen, von Adam und Eva bis heute. Da staune ich selbst immer wieder. Und Staunen - das wäre auch schön im Litera-Turm!

"Litera-Turm" in der Grafinger Stadthalle, mit Michael Skasa, am Sonntag, 1. März, (Goethe) und Sonntag, 22. März, (Lena Christ), jeweils um 17 Uhr. Karten gibt es an den bekannten Vorverkaufsstellen (Buchhandlungen in Grafing, Aßling und Kirchseeon) sowie im Internet unter www.stadthalle-grafing.de.

© SZ vom 20.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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