Neuer Kunstraum in Grafing:Vom Fahrradhändler zum Galeristen

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Reinhard Riederer aus Grafing stellt sein Haus am Marktplatz nun für Ausstellungen zur Verfügung. Am Samstag ist Finissage von Mike Froidl.

Von Anja Blum

Dieses Haus erlaubt mir mehr Freiheiten als jede Millionärsvilla", sagt Reinhard Riederer und lächelt. Klar, viel Geld ließe sich machen, mit der Hausnummer 18 am Grafinger Marktplatz, doch darauf kommt es dem Besitzer nicht an. Lieber nutzt er den Platz für sich, für andere, für in seinen Augen Sinnstiftendes. So ist mit der Zeit ein Sammelsurium an Zwecken entstanden, denen dieses historische Haus dient - und nun kommt ein weiterer hinzu: Riederer hat einen Raum für Kunst geschaffen, "Werkstatt 18" lautet der Arbeitstitel. Am Samstag, 30. Oktober, gibt es dort eine Finissage des Anarcho-Künstlers Mike "Spike" Froidl.

Bekannt ist das Brandstetter-Haus den meisten Grafingern wohl als Radelgeschäft, jahrzehntelang wurden hier Bikes verkauft, die allermeisten noch ohne "E", Riederer hatte den Laden des Schwiegervaters übernommen. Doch irgendwann, nach Jahrzehnten, verkaufte er das Geschäft, und nun ist es umgezogen, an einen anderen Standort in Grafing. Heute befinden sich am Marktplatz 18 der Fair-Weltladen und daneben ein Handel für Motorradersatzteile, der hauptsächlich online vonstatten geht. Dazu muss man wissen: Riederers Leidenschaft sind alte Motorräder, die er mit Engelsgeduld repariert und dann für Ausflüge nutzt, am Nordkap war er damit schon und in Kalabrien. "Ich freue mich jeden Tag darüber, dass ich noch so fit und wach bin", sagt der 68-Jährige, "dass ich solche Reisen schaffe".

Reinhard Riederer mit einem Gemälde, das er im Moosacher Meta Theater gekauft hat. "Da konnte ich einfach nicht nein sagen." (Foto: Christian Endt)

Ja, dieser Grafinger, eigentlich studierter Sozialpädagoge, hat ein bewegtes Leben und viele Talente, das wird beim Rundgang durch sein Haus schnell klar. Hier die Motorradkluft, dort ein Modellflugzeug oder ein selbst geschweißtes Rennrad, dazu unzählige Bücher und Gemälde. Manche Bilder stammen sogar von Riederer selbst, denn auch für die Malerei hat er schon früh Feuer gefangen. Er habe sich immer intensiv mit Kunst beschäftigt, sagt er, vor allem während eines Jahrs in den USA habe er viel gelernt, gemalt und fotografiert. Sogar ein Studium an der Akademie sei einmal sein Ziel gewesen, erzählt der 68-Jährige. Also habe er viele Vernissagen in München besucht - was ihn jedoch rasch desillusioniert habe. "Immer die gleichen Gesichter, und man muss sich einfach nur gut verkaufen können." Hinzu kamen erhebliche Selbstzweifel, die ihn irgendwann sogar dazu brachten, keinen Pinsel mehr anzufassen. Sein Lieblingsbild ist ein schönes Porträt eines jungen Mannes im Stile des Holländers Jan Vermeer, das jugendliche Unschuld und Zweifel gleichermaßen auszudrücken vermag. "Das ist mir wirklich gelungen - aber danach wusste ich, das schaffe ich nie, nie wieder", sagt Riederer und lächelt schmerzlich. Anspruch und Fähigkeiten klafften bei ihm eben zu weit auseinander. "An Kokoschka kommst du einfach nie hin!"

Und so wurde aus dem Maler ein Sammler. Reinhard Riederer begann, die "reiche und gute Szene" im Landkreis zu nutzen, Ausstellungen zu besuchen, Kontakte zu regionalen Künstlerinnen und Künstlern zu knüpfen und Werke zu kaufen. Besonders begeistert ist er von Franziska Polzer-Foreman, nennt ihre Werke "einzigartig". Und die Grafinger Künstlerin hat sich tatsächlich eine besondere Technik ausgedacht: Sie schafft abstrakte Bilder aus Stoffresten, die sie in Schichten zusammennäht und wieder auseinanderschneidet. Dadurch entstehen grafische Elemente mit repetitiven Linien, durchscheinenden Farben und spannender, weicher Dreidimensionalität. Riederer jedenfalls ist begeistert. "Kunst zu sehen, ist einfach ein erhebendes Gefühl für mich", sagt er, "genauso wie Motorräder".

Und da kommt nun eben wieder das Brandstetter-Haus ins Spiel. Es besteht nämlich nicht nur aus den beiden Läden in der Front, sondern bietet auch dahinter und im ersten Stock viel Platz. Dort, wo früher zahllose Fahrräder standen und repariert wurden, schraubt Riederer nun an seinen Motorrädern herum. Doch der Raum ist nun mitnichten nur Werkstatt, sondern nun eben auch eine zweistöckige Galerie. Der Grafinger nämlich schmückte die Wände alsbald mit seinen Ankäufen - und kam dann auf die Idee, die Fläche auch für Ausstellungen und Vernissagen zur Verfügung zu stellen.

Der erste Hinweis auf den neuen Kunstraum "Werkstatt 18" befindet sich im Schaufenster des Ersatzteillagers, hier stellt Riederer wechselnde Kunstwerke aus. Und zwar erstaunlich erfolgreich, wie er betont. "Die Leute sind interessiert, freuen sich und haben auch schon das ein oder andere aus dem Fenster rausgekauft." Momentan sind dort drei Werke zu sehen: ein Matrose namens "Poppei" des Moosacher Malers Stefan Heide und eine Fotografie von Marilyn Monroe aus dem Jahr 1951, auf der die Schauspielerin kritisch nach links blickt - direkt auf ein anderes Werk, ein Wackelbild, das ebenfalls Monroe zeigt, aber in zwei verschiedenen Versionen, einmal à la Warhol, einmal à la Banksy. "Wahrscheinlich denkt sie sich: Was habt ihr da nur für eine Ikone aus mir gemacht?", sagt Riederer und lacht ob seiner gelungenen Kombination. Ein kleines Plakat lädt zur Ausstellung von Froidl ein.

Alte Motorräder und zeitgenössische Kunst bietet die"Werkstatt 18" am Grafinger Marktplatz. (Foto: Christian Endt)

Geht man links an dem Haus vorbei in die Gasse, hängt an der Wand eine Schnur, an der, oben am Fenster, eine Fahrradklingel befestigt ist. Denn Riederer wohnt im ersten Stock, hat sich dort eine kleine Wohnung eingerichtet, so dass er fast jederzeit Einlass in die Galerie gewähren kann. Wer allerdings auf Nummer sicher gehen und dem Hausherrn entgegenkommen möchte, der sollte vorher telefonisch einen Termin vereinbaren.

Mit Werbung, vor allem im Internet, tut sich Riederer allerdings schwer. "Ich bin analog sehr gut vernetzt, aber digital eher nicht", sagt er. Deswegen ist er vor allem auf der Suche nach Künstlerinnen oder Künstlern, die selbst viele Menschen mobilisieren können. Momentan sei er zum Beispiel im Gespräch mit Ingrid Köhler aus Zorneding, "ich hoffe, sie zu einer Ausstellung überreden zu können". Zehn Prozent von möglichen Verkäufen veranschlagt der Hobbygalerist für sich, dafür bietet er seine großzügigen Flächen, Hilfe beim Transport und Getränke für die Vernissage. Was den Kunststil der Aussteller angeht, ist Riederer völlig offen, wie er sagt, auch wenn es ihn persönlich immer mehr zu abstrakter Malerei hinziehe. "Wichtig ist mir aber die Qualität, die muss schon stimmen."

So wie bei Froidl, der einst an der Akademie in München studiert hat. Zwar ist die politisch-provokative Kunst des Berliner Punks nicht unbedingt Riederers Fall, doch Froidl sei "ein Energiebündel und ein wahnsinnig guter Unterhalter mit einem cineastischen Händchen". Zur Finissage zeigt der Allroundkünstler seinen Experimentalfilm "Luther fuck off", passend zum Reformationstag will Froidl die dunklen Seiten des Theologen zeigen, die meist nur angedeutet oder verharmlost würden. Dabei habe Luther einen "rücksichtslosen Kriegszug gegen Menschenrechte, Hexen, Täufer, Behinderte und Juden" geführt. In der Kunst ist Mike Froidl dem Fluxus verpflichtet, hinzu kommt allerdings noch ein anderes Genre, die fernöstliche Kalligrafie. In Froidls Rollbildern vereinigen sich also östliche und westliche Kunst, wobei es zu wilden Kombinationen kommt, im Sinne von Kimono und Kalaschnikow.

Das Brandstetter-Haus stammt übrigens aus dem Jahr 1873. Es sei schon akut einsturzgefährdet gewesen, sagt der Besitzer, doch er habe viel Geld investiert, und nun sei es stabil. Nur der viele Verkehr rund um den Grafinger Marktplatz sei "ein Albtraum", wegen des Lärms und der Erschütterungen, die das Gemäuer derart erbeben ließen, dass die Fassade schon wieder Risse habe. Nichtsdestotrotz ist die Lage im Zentrum für Reinhard Riederer auch eine Verpflichtung, er wolle mit seinem Haus vor allem zur kulturellen Belebung beitragen, sagt er. "Und für mich persönlich ist die Galerie natürlich auch eine große Bereicherung."

"Werkstatt 18" am Grafinger Marktplatz: Mike Spike Froidl, "Masked Chaos! - Malerei, Grafik und Film", Finissage am Samstag, 30. Oktober, um 19 Uhr. Galerist Reinhard Riederer ist erreichbar unter (0162) 634 93 84.

© SZ vom 29.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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