Mitten in Grafing:Entschuldigung für nichts

Lesezeit: 1 min

Grafing ist nicht Neuperlach, das ist klar. Nun hat der örtliche Stadtrat diese Gewissheit aber auch schwarz auf weiß.

Glosse von Thorsten Rienth

Wenn es im Umgang mit Lokalpolitikern um Lokales geht, empfiehlt sich eine gewisse Vorsicht. Mit dem Lokalstolz so mancher Herren ist nämlich nicht zu spaßen, wie ein aktueller Postverkehr zwischen dem Ramersdorf-Neuperlacher Bezirksausschuss und dem Rathaus in Grafing zeigt. Vor ein paar Wochen war es dort im Stadtrat um die Bebauung des nächsten Aiblinger-Anger-Bauabschnitts gegangen. Und Claus Eimer (FDP) traute sich zu sagen: "Wir wollen kein Neuperlach schaffen." Also nicht zu eng und nicht zu hoch bauen. Was am Stadtrand einer Großstadt, also München, Sinn machen möge, könnte am Stadtrand einer Kleinstadt, also Grafing, schnell in Unsinn wechseln. Was in der Sitzung niemanden erregte, weil der Aussage prinzipiell jeder in der Runde zustimmte, erregte allerdings andernorts.

So sehr, dass Thomas Kauer aus Neuperlach zur Tastatur griff. Und Kauer ist, wie man nun auch im Grafinger Stadtrat weiß, nicht irgendwer. "Als Vorsitzender des Bezirksausschusses 16, der den etwa 120 000 Einwohner zählenden Stadtbezirk Ramersdorf-Perlach vertritt, in dessen Gebiet Neuperlach liegt, möchte ich mich gegen derartige, eindeutig negativ konnotierte Äußerungen strikt verwehren", verteidigte er seine Stadt, die, anders als Grafing, genaugenommen gar keine ist, sondern nur ein Stadtteil. Betreffzeile des "Brief an den OB Grafing": "Die Wahrheit über Neuperlach." Auf knapp eineinhalb Seiten klagt Kauer über die "absolute Unkenntnis von Neuperlach" sowie "gegenseitiges Fingerzeigen" aus "politischem Kalkül", das die "zahlreichen Bewohnerinnen und Bewohner Neuperlachs in ihrer heimatlichen Wertschätzung" verletze.

Angesichts der möglicherweise verletzten Gefühle von bis zu 120 000 wechselte dann Kauers CSU-Parteikollege und Grafings Bürgermeister Christian Bauer eilig in den Verzeihungsmodus. "Ich habe mich bei ihm für den Redebeitrag aus unserer Sitzung entschuldigt", e-mailte Bauer durch den Stadtratsverteiler. "Vielleicht sollten wir mit solchen Aussagen, wie sie in dem Schreiben zitiert werden, in Zukunft vorsichtiger sein." Denn: "Ich kann seinen Unmut verstehen."

Nicht überliefert ist, ob Bauer im Nachgang auch noch eine E-Mail an seinen Grafinger CSU-Ortsverband schrieb. Wenn es dort nämlich in der Vergangenheit um neue Grafinger Baugebiete gegangen war, apostrophierte man gerne: Grafing möge doch bitte kein zweites Poing werden. Nicht, dass sich Bauer am Ende auch noch für Beschwerdepost aus dem eigenen Landkreis entschuldigen muss.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: