Grafing:Mit Fakten gegen Vorurteile

Lesezeit: 4 min

Weniger Straftaten trotz steigender Asylbewerber-Zahlen: Bei einer Infoveranstaltung setzt die Stadt Grafing auf Zahlen und Statistiken. Ein Großteil im Publikum ist überzeugt - doch es gibt auch Gegenstimmen, die sich weiterhin gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehren

Von Thorsten Rienth und Korbinian Eisenberger, Grafing

Um drei Minuten vor sieben baute sich Franz Oswald vor der Eingangstür der Grafinger Stadthalle auf. Zwischen den Türflügeln der Stadthalle, die Arme zwischen die Holzrahmen gepresst, jetzt musste er die schlechte Nachricht überbringen: Es ist voll, verkündete er. "Das ist doch nicht ihr Ernst jetzt, oder?", rief jemand aus dem Pulk der Abgewiesenen. Sehr ärgerlich, wenn einem der Einlass verwehrt wird. "Das zeigt zumindest, dass Interesse da ist", sagt eine Frau, die ebenfalls draußen bleiben muss.

Die Informations-Veranstaltung am Donnerstagabend in der Grafinger Stadthalle hatte vor allem ein Ziel: Fakten liefern, zu diesem Zwecke hatte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) den Polizisten Hendrik Polte eingeladen. Anlass war die Frage, mit der sich die Menschen in diesen Wochen nicht nur in Grafing beschäftigen: Wie viele Flüchtlinge kommen auf die Länder, Kreise und Gemeinden in den nächsten Monaten zu? Anlass war aber auch die Angst, die bei einigen Grafingern umgeht. Angst, die entstanden ist, nachdem klar wurde, dass der Zustrom von Flüchtlingen nicht abreißen dürfte. Und die in Grafing darin gipfelte, dass ein ausländerfeindliches Flugblatt die Runde machte.

Polte, Leiter der Ebersberger Polizeiinspektion, ging darauf gar nicht erst ein, stattdessen präsentierte er Zahlen: "Im Vergleich zu 2014 verzeichnen wir in Grafing auch 2015 einen Straftatenrückgang", sagte er. Von 951 Einsätzen in Grafing seien im vergangenen Jahr 40 im Zusammenhang mit Flüchtlingen gestanden. "Das sind zwei Prozent mehr als im Vorjahr." Von Mitte April 2014 bis Ende Januar 2016 stieg die Zahl der Asylbewerber in Grafing dagegen von 73 auf 120 - ein Zuwachs von 80 Prozent. Und dennoch: Diebstähle, Sachbeschädigungen, Rauschgift- und Straßenkriminalität sind seither in Grafing rückläufig. Ein Sexualdelikt habe es in der Polizeistatistik 2015 auch gegeben, sagt Polte. Auf dem Grafinger Volksfest habe ein Flüchtling auf seinem Tablet ein pornografisches Bild hergezeigt.

1 / 3
(Foto: Peter Hinz-Rosin)

So voll wie seit Jahren nicht:

2 / 3
(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor der Grafinger Stadthalle wurden wegen der Brandschutzbestimmungen etwa 50 Leute abgewiesen.

3 / 3
(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bürgermeisterin Angelika Obermayr und Landrat Robert Niedergesäß sprachen vor 400 Gästen.

Erst vergangene Woche hatte der Stadtrat den Bau einer Unterkunft für 120 Asylbewerber und 30 Obdachlose am neuen Bauhof zwischen Grafing und seinem Ortsteil Schammach beschlossen. Eine Woche zuvor war die Grafinger Mühlenstraße in den Negativschlagzeilen. Ein Unternehmer wollte dort eine Unterkunft für 40 Flüchtlinge errichten. Nachbarn gingen ihn derart massiv an, dass er die Pläne wieder fallen ließ.

Alles hängt mit allem zusammen, das zeigt sich auch in diesen Wochen in Grafing. Seit den Silvesterübergriffen von Köln steigt bundesweit die Zahl derer, die sich in Habachtstellung begeben, wenn es um Flüchtlinge in ihrer Umgebung geht. Auch Grafing hat mit diesem Phänomen zu kämpfen, für die Gemeinde ist das ein Problem: "Seit ein paar Wochen sind die Angebote aus der Bevölkerung für Wohnungen oder Grundstücke massiv zurückgegangen", sagte Angelika Obermayr. Ähnlich sei das im ganzen Landkreis, bestätigte Landrat Robert Niedergesäß (CSU).

Obermayr wählte klare Worte. "Wir sind naiv, wenn wir meinen, der Flüchtlingsstrom geht schon irgendwie an Grafing vorbei." Aktuell wohnten in der Gemeinde 120 Flüchtlinge. Bis Jahresende rechne die Stadt mit weiteren 150, knapp 300 wären es also insgesamt bis Jahresende, die in Grafing untergebracht werden müssen. Die Frage ist nur: wie? "Wenn wir 200 oder 300 an einer Stelle unterbringen, bekommen wir das, was wir als Ghettobildung empfinden", sagte Obermayr. Die Stadt brauche deshalb unbedingt Unterkünfte. Bestenfalls solche, wie sie etwa in der Mühlenstraße angedacht waren. Warum Obermayr diese Art der Unterbringung so wichtig ist, zeigte ein zweiter Blick in Poltes Statistik.

Anders als die übrigen Delikte verzeichnete die Ebersberger Polizei bei den Körperverletzungen einen Anstieg. Knapp zehn Prozent davon hätten Asylbewerber begangen, hochgerechnet auf Grafings Einwohnerzahl von knapp 13 000 ist das eine hohe Quote. Auffällig daran: Die Opfer dieser Vorfälle waren laut Polte "größtenteils Asylbewerber selbst". Niedergesäß formulierte es im Umkehrschluss so. Wenn man auf engstem Raum in einer Turnhalle mit Dutzenden anderen Männern untergebracht ist, "da würde auch bei dem ein oder anderen Niederbayern oder Oberbayern Aggression oder Frust aufkommen."

Landrat Robert Niedergesäß informiert die Grafinger über Flüchtlinge. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kritik an dieser Haltung gab es auch an diesem Abend. Einer der aufstand und protestierte, war Max Wallenöffer. Er wundere sich, "warum alle die Flüchtlingssituation so positiv sehen" würden. Auch deshalb habe er das Flugblatt verteilt, sagte Wallenöffer und beendete das Geheimnis um den Verfasser. "Wie viele tausend Flüchtlinge wollen wir noch reinlassen?", fragte er. "Wir sind doch nicht auf der Insel der Glückseligen". Es gab Pfiffe und Buh-Rufe, ehe ein Grafinger Kontra gab. "Wir leben auf der Sonnenseite der Welt", sagte er. "Was wir mehr haben, ist woanders weniger, wenn wir die Flüchtlingskrise nicht lösen, wer dann?"

Oheikhouma Fall, 36, verfolgte die Debatte von der Empore aus. Es geht um Flüchtlinge und damit auch um ihn. "Ein bisschen Angst und Verunsicherung ist normal", sagte der Senegalese. Die "totale Angst" der Menschen, die auf der Straße nicht zurück grüßten, sei für ihn aber "schwer zu begreifen". Fall ist seit drei Jahren in Grafing und wartet auf seine Anerkennung. Einen Job habe er bereits gefunden, sagte er. "Servus", ruft er im Vorbeigehen dem Hausmeister zu, Servus zurück. Dann hält Fall einer Frau die Tür auf.

Hochgerechnet auf ihre Einwohner nimmt Grafing deutlich weniger auf als andere Landkreisgemeinden, etwa Emmering oder Poing. Und dennoch: "Ein zweites Jahr 2015 schaffen wir nicht", sagte Niedergesäß. Derzeit sieht es auch nicht danach aus, dass es soweit kommt. Nach Angaben des Landratsamts kommen wöchentlich im Schnitt 37 Menschen im Landkreis an und werden auf die Städte und Gemeinden verteilt. Das sind 40 Prozent weniger als noch 2015.

Ganz am Ende sprach Angelika von Sarnowski ins Mikrofon, eine ehemalige Deutsch- und Französischlehrerin am Grafinger Gymnasium. Auch sie habe Angst, sagte sie. "Angst davor, den Syrer, der bei mir in einem Zimmer wohnt, wieder zu verlieren."

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: