Mitten in Grafing:Ermahnung ohne Zeigefinger

Lesezeit: 2 min

Der Kiebitz steht gerade wieder kurz vor der Familiengründung und möchte dabei gern ungestört sein. (Foto: Landratsamt Ebersberg/oh)

Wie man Menschen charmant zur Ordnung ruft und gleichzeitig die Wiesenbrüter schützt.

Kolumne von Michaela Pelz, Grafing

Der gemeine Stadtmensch kann auf dem Land ja so einiges falsch machen: Weidezäune ignorieren, um ein Kälbchen zu streicheln. Dem Bulldog auf dem Feldweg so ungeschickt ausweichen, dass der Fahrer keine Chance hat, vorbeizukommen oder gar wieder rückwärts zurück muss. Davon ausgehen, dass landwirtschaftliche Flächen und Kulturen, weil draußen, ein Selbstbedienungsladen sind. Dem ist nicht so. Gilt übrigens auch für Blühstreifen.

Doch selbst für landnah sozialisierte Wahl-Ebersberger hat ein simpler Spaziergang rund um Grafing so seine Tücken. Dann nämlich, wenn sie die malerisch zwischen Feldern und Wiesen mäandernde befestigte Strecke verlassen, in der irrigen Annahme, der hübsche Feldweg bringe sie zurück zum abgestellten Auto. Leider endet der Weg aber im Nirgendwo. Was also tun? Auf den eigenen Spuren komplett retour gehen oder die Abkürzung querfeldein nehmen? Mitten durch den frisch eingesäten Acker würde man natürlich nie stapfen, das ist sonnenklar, aber direkt am Saum einer noch nicht allzu hohen Wiese? Man tut es, kommt gut voran, wird nach der Mittagspause wieder pünktlich im Büro sein. Die letzte Hürde ist ein Bach - nein, den zu überspringen traut man sich definitiv nicht. Also schnell am Ufer entlang, zurück zur Teerstraße.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Dort hält direkt neben den Spaziergängern kurze Zeit später ein geräuschlos heranfahrendes E-Auto. Wahrscheinlich ein Ortsunkundiger, der nach dem richtigen Weg sucht. Weit gefehlt. Der distinguierte, ältere Herr mit dem sorgsam gestutzten Bart, der erst durch die heruntergekurbelte Scheibe spricht, bevor er aussteigt, stellt sich als Naturschützer vor. Zunächst fragt er, ob man die Kiebitze gesehen habe. Hat man nicht (psst, man hätte sie ohnehin nicht erkannt). Diese stünden nämlich kurz davor, ganz in der Nähe des Wassers zu brüten, was der Grund ist, warum man genau dort eben nicht entlanggehen sollte.

Das alles trägt er unaufgeregt mit leiser, sonorer Stimme vor, ohne auch nur einen Hauch von erhobenem Zeigefinger. So sorgt der Mann dafür, dass man zwar beschämt ist und sich schuldig fühlt, der Rechtfertigungsdruck und die automatische Abwehrhaltung, die sich bei einer besserwisserischen Zurechtweisung reflexartig einstellen, dabei aber komplett ausbleiben.

Stattdessen lauscht man fasziniert den Ausführungen über die "Akrobaten der Lüfte", erkennbar an ihrem weißen Bauch, und hofft, selbst einmal die spektakulären Kapriolen sehen zu dürfen, von denen der Kiebitz-Experte so schwärmt. Das bleibt einem zwar an diesem Tag verwehrt, aber zumindest erhascht man kurz vor der Unterführung noch einen Blick auf zwei gefiederte Geschöpfe auf dem Feld direkt neben der Umgehung. Ohne Fernglas kann man nur spekulieren, ob es die richtigen sind - der Autolärm scheint sie auf jeden Fall nicht zu stören.

Bleibt zu wünschen, dass das, sobald die Kiebitze mit dem Brüten begonnen haben, das auch ohne aufmerksamen Naturschützer in der Nähe kein gedankenloser Spaziergänger tun wird. Zumal diese Vögel, das weiß man nun, als "stark gefährdet" auf der bayerischen Roten Liste stehen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiebe und Partnerschaft
:"Verliebtsein umfasst einen Zeitraum von rund neun Monaten"

Je mehr Zeit man mit Dating-Apps verbringt, desto weniger investiert man in die Möglichkeit einer Beziehung, sagt Singlecoach Peter C. Ecker. Was also hilft bei der Suche nach einem passenden Match - und beim Formen einer festen Beziehung? Ein Gespräch.

Interview von Franziska Langhammer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: