Grafinger Bücherkinder:Alle Ideen fliegen hoch

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Dan Schmidt lässt die "Grafinger Bücherkinder" nicht nur schreiben und zeichnen, sondern musiziert auch mit Annie, Nia und Leo. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ohne konkrete Vorgaben und feste Regeln entstanden die Geschichten der "Grafinger Bücherkinder". Nun geht das Projekt des Musikers, Künstlers und Physiotherapeuten Dan Schmidt in die zweite Runde.

Von Michaela Pelz, Grafing

Was für ein Wuseln und Toben in der Glonner Straße 17 in Grafing! Nia, Leo und Annie bewegen sich mit einer Selbstverständlichkeit durch das Atelier von Dan Schmidt, als seien sie dort zu Hause. Was in gewisser Weise auch stimmt - zwei der Achtjährigen sind Teil der Patchwork-Familie des Künstlers. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie genau wissen, wo Stifte, Papier und Zeichenunterlagen sind. Denn die drei, die alle eine zweite Klasse besuchen, wenn auch an unterschiedlichen Schulen, gehören zur ersten Truppe der "Grafinger Bücherkinder". Diese wiederum hatten in den Herbstferien 2021 die als Lagerraum angemieteten und dann schnell als Bandprobenraum und Atelier genutzten Räumlichkeiten in Besitz genommen.

Das Ganze kam so: Dan Schmidt ist nicht nur Musiker, Künstler und Physiotherapeut, sondern auch Dozent an verschiedenen Hochschulen, wie etwa der Akademie für Mode und Design, wo er unter anderem Anatomisches Zeichnen und Kompositionslehre vermittelt. Außerdem veranstaltet er freie Zeichenkurse. Und sieht als Familienvater, wie sehr durch die Coronazeit auch die Sozialkontakte der Kinder leiden.

Kinder sollen ihre Gedankenwelt mit der Gesellschaft teilen können

Das bringt den engagierten 38-Jährigen dazu, ein Konzept zu entwickeln. Er will einen Workshop durchführen, in dem sich Kinder ungeachtet von Herkunft oder Glauben begegnen und austauschen können. Außerdem sollen sie ihre Kreativität ausleben dürfen und Gelegenheit haben, durch die Herstellung eines eigenen Buches ihre Gedanken und ihre Lebenswelt ungefiltert mit der Gesellschaft zu teilen. "Ich möchte einer Menschengruppe eine Stimme geben, die sich sonst wenig durchsetzen kann", fasst er sein Anliegen zusammen.

Für die finanzielle Unterstützung der Stadt ist Dan Schmidt Bürgermeister Christian Bauer sehr dankbar. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch das kostet Geld, also nimmt Schmidt Kontakt auf zu Bürgermeister Christian Bauer. Der kennt den Wahl-Grafinger seit zwei Jahren und ist sofort begeistert von der Idee eines außerschulischen Kreativprogramms. "Ich weiß, dass solche Projekte nicht ganz günstig sind, möchte aber gern jedem Kind unserer Stadt die Teilnahme ermöglichen, unabhängig von der finanziellen Ausstattung der Eltern." Auch schon die Kleinen seien "in der Mühle von früh bis spät", darum wolle man ihnen etwas außerhalb bieten.

Leo (8) zeigt die Lieblingsseite aus seinem Buch. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Ergebnis kann sich fürwahr sehen lassen, denn entstanden sind Geschichten von teils erstaunlicher Tiefe, die von den Autorinnen und Autoren selbst illustriert wurden. Leo, wie die anderen zum Zeitpunkt des Kurses sieben Jahre alt, beschreibt in "So war das Leben früher" das spannende Schicksal eines kleinen Compsognathus, der eine furchteinflößende Begegnung macht. "... der T.rx fersuchte mit seinen kleinen amen an den komsuknaturs ran zu komen, doch er kam nicht an in ran ...". Spoiler: Es geht alles gut aus.

Rechtschreibfehler werden bewusst akzeptiert

Sich in die teils originelle, beim "Freien Schreiben" aber alles andere als ungewöhnliche Orthographie einzulesen, erfordert ein wenig Zeit, macht aber Spaß. Schmidt sagt: "Rechtschreib- und Grammatikfehler sollen bewusst akzeptiert werden, sind sie doch Ausdruck der Persönlichkeit des Autors." Leo selbst fand es vor allem cool, dass er sowohl Bilder malen als auch schreiben durfte, diese Mischung habe er sonst nicht, da mache er immer nur das eine oder das andere.

Dan Schmidts Tochter Nia (8) musste zur Teilnahme nicht überredet werden. Sie schreibt sehr gern Geschichten und führt auch Tagebuch. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nia wiederum, Schmidts Tochter, schätzte vor allem die komplette Freiheit beim Arbeiten: "In der Schule schreiben wir Geschichten zu einem vorgegebenen Bild und es kommt auf die Rechtschreibung an." Weil sie diese in "Das was man nicht denkt wirt wa" nicht perfekt findet, hat sie die märchenhafte Story über einen Mantel mit einem geheimnisvollen Knopf, der seinem Besitzer erstaunliche Erlebnisse beschert, ihrer Lehrerin noch nicht gezeigt. Ausgesprochen schade, denn sowohl die detailreichen Bilder in leuchtenden Farben als auch die dazugehörigen Texte zeugen von viel Kreativität. Die wurde, so berichtet Nia, dadurch gefördert, dass man den Platz wechseln konnte, wenn einem gerade nichts einfiel.

Bewegung und Musik sind Teil des Konzepts

Auch das ist Teil des Konzepts; als Physiotherapeut weiß Schmidt, dass es gut ist, wenn sich die Kinder zwischendurch bewegen, ihre Position verändern. Darum gab es für jeden eine Zeichenunterlage als mobilen Arbeitsplatz.

"Man durfte frei rumlaufen und sitzen, wo man wollte. Auf dem Teppich, auf der Bühne ...", sagt Annie, der das ebenso gut gefiel wie die Tatsache, mit anderen Zeit verbringen zu können und Musik zu machen. Ihr Vater, Jakob Berr, berichtet, wie seine Tochter jeden Tag ganz beseelt nach Hause gekommen sei und von ihrem "Regenbogenmensch" erzählt habe.

Annie (8) hat, so erzählt Vater Jakob, angefangen Geschichten zu erfinden, sobald sie sprechen konnte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Geschichte der Heldenreise eines kleinen Mädchens und seines Reisebegleiters spielt in einer Welt, in der ursprünglich "alles grau und tintendunkel" war, bis der Mensch ohne Namen kam, der die Farben brachte. Dabei zeugen die in beeindruckend poetischer Sprache eng beschriebenen Seiten von viel Gefühl für Spannungsbögen.

Zur Finanzierung eines Zusatzkurses bräuchte es Sponsoren

Kein Wunder also, dass Annie auch für die zweite Auflage des Kurses schon angemeldet ist. Der startet nach den Pfingstferien - diesmal nicht als Block, sondern im wöchentlichen Rhythmus, bis November. Die acht Plätze des Workshops waren alle sofort vergeben, mehrere ukrainische Kinder werden auch dabei sein. Wieder trägt die Stadt Grafing den Löwenanteil - die Eltern zahlen monatlich einen kleinen Beitrag. Zu gerne würde Schmidt auch den vielen Kindern auf der Warteliste die Chance geben, miteinander kreativ zu sein. Doch "um einen zweiten Tag in der Woche zu finanzieren, bräuchte es Sponsoren".

Kontakt: info@danschmidt.de

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