Grafinger Stadtportal:Viel Tadel und ein bisschen Lob

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Weihnachtszeit ist Einkaufszeit, nicht nur in Grafing. Dort gibt es seit einem halben Jahr ein spezielles Internetangebot, das den örtlichen Einzelhändlern zugutekommen soll. Ob das klappt, ist umstritten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit gut einem halben Jahr ist das Portal "Hey Grafing" online. Bürgermeister und Werbering sehen das Projekt positiv, aus dem Stadtrat kommt teils beißende Kritik.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Wer einen schnellen Überblick über die anstehenden Veranstaltungen in Grafing haben möchte, der kann https://hey.bayern/stadt/grafing-bei-muenchen in den Browser eintippen und die Entertaste drücken. Fix über die "beliebte Bären-Stadt vor den Toren Münchens - Heimat von Einzelhandel, Gewerbe und Kultur" nach unten gescrollt, gibt's dort die "Veranstaltungen in der Stadthalle", die "Weiteren Events" und dann die "Sportveranstaltungen". Darunter kommen Buttons wie "Freizeit & Tourismus", "Essen & Trinken" oder "Beauty & Wellness". Auf dass die Leute mehr vor Ort unternehmen, erleben, verzehren und konsumieren. So etwa lautet der Gedanke hinter dem Grafinger "Mini-Google", das als "Hey Grafing"-Portal vor gut einem halben Jahr online gegangen ist.

Das neue Stadtportal "Hey Grafing" zeigt Veranstaltungstipps und soll auch dem Einzelhandel helfen. (Foto: SZ)

Mit "großer Begeisterung" hätten sich Vertreter aus Einzelhandel, Dienstleistungsgewerbe, Gastronomie und Vereinen für das "Hey Grafing"-Portal ausgesprochen, warb das Rathaus damals. Von der Begeisterung musste einiges in den Sitzungssaal geschwappt sein. Mit einer satten Zweidrittelmehrheit gab das Gremium rund 30 000 Euro für drei Jahre "Hey Grafing"-Betrieb frei. Grob noch einmal so viel steuerte die EU aus dem Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) bei.

Der Chef des Werberings ist vom Nutzen des neuen Angebotes überzeugt - wenn es denn besser genutzt würde

"Alles, was es in der Stadt gibt, gibt's hier auf einen Blick", lobt heute der Chef des örtlichen Werberings Ludwig Bitto. "Ein Portal, wo sich die Grafinger Geschäfts- und Veranstaltungswelt neben Website und Social Media online präsentieren kann, das hat schon ein wahnsinniges Potenzial." Er fügt aber hinzu: "Ich find's ein bisschen schade, dass es nicht mehr genutzt wird."

In der Tat sei die digitale Vermarktungsplattform für Einzelhandel, Dienstleistungsgewerbe, Gastronomie und Vereinen auf eine gewisse Mithilfe angewiesen, erklärt "Hey Grafing"-Macher Hans Wembacher. "Aber das ist nicht viel: Einmal uns den Schwung Basisinfos durchschicken und Bescheid sagen, wenn zum Beispiel jemand einen Tag der offenen Tür veranstaltet. Den Rest übernehmen wir." Bitto bestätigt die Unkompliziertheit: "Das Mitmachen ist extrem einfach. Ein paar Minuten, mehr nicht."

Weil, warum auch immer, viele diese Minuten nicht investieren können oder wollen, sind die Lücken groß. Unter der Rubrik "Online einkaufen" steht das "VomFass" allein auf weitem Bildschirm. Von etwa 187 "Plätzen" - so heißen bei "Hey Grafing" die einzelnen Einträge - aus der Kategorie "Freizeit & Tourismus" zum Beispiel, ging zuletzt weniger als die Hälfte überhaupt über E-Mail- und Telefonkontakt sowie den Internetauftritt hinaus.

Wer die Wörter "barrierefrei" und "Grafing" in die "Hey Grafing"-Suchmaske eingibt, dem wird unter anderem die Grafinger Kletterhalle empfohlen. Oder der Spaziergang um den Alpsee bei Immenstadt im Allgäu. Gerade leichter Zugang und unkomplizierte Bedienung waren bei der Stadtratsentscheidung als Pluspunkt des Portals gelobt worden.

"Diese wilde Mischung aus Primärquelle und Suchmaschine war von Anfang an eine Totgeburt", findet der SPD-Chef

Angesichts solcher Skurrilitäten zeigt sich SPD-Chef Christian Kerschner-Gehrling kritisch. "Diese wilde Mischung aus Primärquelle und Suchmaschine war von Anfang an eine Totgeburt", sagt er. "Braucht jemand wirklich eine veraltete handgeschriebene Liste, wenn man sie bei Google oder Bing auf Knopfdruck bekommt?" Vielleicht spielt Kerschner-Gehrling ja auf eine gut sichtbare Restaurant-Tageskarte an, ihr Datum: Freitag, 2. Juni.

Jemand anders aus dem Gremium kommentiert: "Das kommt mir alles so vor, als würde heute wer das 2004er Facebook für neu verkaufen wollen." 2004 war das Gründungsjahr des sozialen Netzwerks.

Allerdings herrschen auch innerhalb des Stadtrats unterschiedliche Auffassungen über Sinn und Zweck des Portals. CSU-Chef Florian Wieser etwa reagiert auf die scharfe Kritik etwas verwundert. "Für mich liegt der Mehrwert vor allem darin, dass man als User einen sehr guten Überblick bekommt, was in der Stadt so alles los ist - geschäftlich wie kulturell." Zudem vergehe einfach Zeit, bis sich ein neues Portal etabliere. "Deswegen haben wir den Zeitraum auch auf die drei Jahre festgesetzt."

Bürgermeister Christian Bauer (CSU) versucht die Wogen zu glätten, indem er die Kosten einordnet. Keine Frage, die Haushaltssituation sei angespannt. "Aber wenn wir von einem Gesamthaushalt von über 44 Millionen Euro 30 000 Euro für das Portal aufwenden, dann halte ich das für absolut vertretbar." Richtig, Lücken seien unübersehbar. "Aber sie füllen sich. Das geht voran."

Ob derweil wenigstens die Nutzerzahlen steigen? "Hey Grafing"-Macher Wembacher kündigte vor einigen Tagen an, zeitnah Zahlen veröffentlichen zu wollen. Passiert ist bisher aber nichts. Eine entsprechende Nachfrage per E-Mail ließ Wembacher bislang unbeantwortet.

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