Premiere am Freitag:Der Zauber von Rio

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Die Big-Band von EBE-Jazz bläst mit ihrem brasilianischen Sound den Staub aus der Grafinger Stadthalle. (Foto: Christian Endt)

"EBE-Jazz" startet mit brasilianischen Momenten, gelebt und zelebriert von Cliff Korman und der Big Band des Festivals.

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Ein lauer Herbstabend vor der Grafinger Stadthalle. Menschen mit Instrumentenkoffern schlendern Richtung Eingang, ein paar andere sitzen plaudernd auf den Bänken vor dem Gebäude. Einer davon hat einen langen Weg zurückgelegt. Cliff Korman ist aus Rio de Janeiro angereist. Er wird bei der Eröffnung von "EBE-Jazz" am Freitag die Festival-Big-Band dirigieren, Motto: "The Brazilian Shape of Jazz".

Ein bisschen merkt man Korman die Spannung an, wie gleich die vorletzte Probe vor dem Konzert verlaufen wird. Trotzdem bleibt Zeit für einen entspannten Plausch darüber, wie es bei ihm mit der Musik angefangen hat - auf der Klarinette in New York - und wo sich seine Karriere vervollkommnet hat - am Piano in Brasilien. Dort vermittelt er als Musikprofessor jungen Menschen den Zugang zu jener Verbindung aus musikalischem Können und Persönlichkeit, wie sie der Jazz braucht und fördert.

Bandleader Josef Ametsbichler wünschte sich einen echten "Maestro" - und bekam einen

Dort, in der Ferne, haben sich auch die Fäden jenes Netzwerks verbunden, das Korman nun zum ersten Mal zu EBE-Jazz bringt. Martin Zenker, Kontrabassist und ebenfalls weit in der Welt des Jazz bereist, hat ihn empfohlen, als Josef Ametsbichler, Initiator und Leader der Big Band, sich für die brasilianische Note im diesjährigen Festival einen echten "Maestro" wünschte. Schließlich soll die Musikfarbe nicht aus der Konserve kommen, sondern aus dem richtigen Leben.

So einfach lassen sich anspruchsvolle Aufgaben lösen, wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt. Davon lebt die Musik allgemein, der Jazz aber ganz besonders, weil dort "kennen" stets "verstehen" bedeutet. Denn obwohl die Arbeitssprache in diesen Tagen vor der Premiere, beim Besprechen, Erwerben und Entwickeln der Stücke Englisch ist: die universell improvisierbare Kommunikation mit Instrumenten sprengt alle Barrieren, sie ist Sprache in Vollendung, individuelle Interpretation eingeschlossen.

Eine Big Band wie aus dem Bilderbuch. (Foto: Christian Endt)

Auf der Bühne drinnen in der Halle sieht alles zunächst aus wie immer. Links Piano, Gitarre und Bass, im Hintergrund die Rhythmusgruppe, rechts vorne die Saxofone, dahinter die Posaunen und Trompeten. Big Band aus dem Bilderbuch. Korman kritzelt noch ein paar Notizen in seine Partitur, Ametsbichler hat am Regietisch Platz genommen, ein paar Musiker reihen sich gerade noch ins Ensemble ein. Noch plaudern die einen oder anderen miteinander, doch ein kleines Handzeichen des Bandleaders später, ist alles konzentrierte Stille.

"A one, two, two, two..." zählt Korman an - und dann fliegt das Dach weg, als die Band mit mächtigem Fanfarenstoß den Staub aus der Halle bläst. Ein startender Jumbo würde vor Neid erblassen, brächte er diesen Schub zustande. Was beim Zuhören gleich auch eine Assoziation wachruft: Ist das nicht der Sound, mit dem in den 1960er Jahren das Jet-Zeitalter musikalisch begleitet wurde? Eine startende 707, die sich im eleganten Steigflug über den Pão de Açúcar schwingt, die Schwerkraft überwindet?

Der Sound klingt beileibe nicht wie Ebersberger Jazz im Samba-Kostüm

Wenige Töne nur, die Signal dafür sind, dass sich die Big Band in den zurückliegenden Workshops und Proben frisch verliebt hat. Das macht sich in einem Sound hörbar, der authentisch brasilianisch klingt. Nicht wie Ebersberger Jazz im Samba-Kostüm. Wobei die Maßstäbe zunächst niedrig gesetzt sind. Was man sich eben so erwartet, wenn man in der Tanzschule oder beim Faschingsball ein paar Samba-Schritte absolviert und im Fernsehen ein bisschen Copacabana-Stimmung inhaliert hat.

Aber, und da werden die Handschrift Cliff Kormans und das Selbstverständnis der Big Band erkennbar, es entsteht dann doch kein Stereotyp von Carioca und Copacabana. Weil alle in der Band für sich und alle zusammen nicht nur ihren Instrumenten ein anderes Kostüm angezogen, sondern ihrer musikalischen Leidenschaft eine frische Seele geschenkt haben. Greift der Gitarrist nicht kraftvoller in die Saiten als sonst? Ist die Atmung der Saxofonisten nicht beherzter? Der Ansatz der Trompeter frecher? Die Lust der Percussionisten an den flirrenden Momenten sinnlicher? Irgendwann hört man auf, Fragen zu stellen und Vergleiche zu ziehen. Das Zusammenspiel lässt etwas entstehen, das "nuevo" ist, vom "ânimo" getragen, von "intimidade" erfüllt.

Oft sind es Kleinigkeiten, die den Charakter prägen und die Ausstrahlung potenzieren

Proben können mitunter zermürbend sein. "Life is not a beach", auch wenn es sich so anhört. Bei der Aufforderung "Let's go to bar 98" denkt keiner an kühle Getränke, sondern nur an den Takt, an dem sich das Gelingen eines ganzen Stücks entscheiden kann. "Everybody happy?" fragt der Bandleader zwischendurch mal kurz und bekommt allseits Daumen hoch als Antwort. An diesem Abend in Grafing, die meisten haben schon sieben, acht Stunden musikalische Arbeit hinter sich, überwindet der Zauber von Rio alle Müdigkeit, alle Anstrengung.

Es ist aber auch zum Staunen und Wundern, wie sich von Stück zu Stück ein Wandel vollzieht, weg aus dem Erwartbaren, hinein ins Überraschende. Sie stecken sich gegenseitig an, da auf der Bühne, lassen den Lohn der Probenarbeit durchs Ohr in die Seele dringen und von dort wieder in ihre Münder und Hände zu neuen Klangspielen. Oft sind es Kleinigkeiten, die den Charakter prägen und die Ausstrahlung potenzieren. Da genügt es schon mal, ein Crescendo über zwei Takte aufzuziehen, statt über einen. Oder den Drums vorübergehend etwas Zurückhaltung aufzuerlegen, damit die Posaunen noch klarer ihre Signale senden können. Oder der ersten Trompete ihr Solo so ans Herz zu legen, als wäre es der einzige Moment des Konzerts, in dem sie zu hören ist. Die Wechsel der Tempi und Tonarten könnten einen verrückt machen, entwickelten sie sich nicht zum Suchtfaktor. Cliff Korman steht an seinem Pult, klopft mit dem rechten Fuß den Takt mit, schaut auf. Ein mächtiges Lächeln im Gesicht, deutet er mit den Händen bestätigend zur Band: Das wird ein Konzert, wie es Grafing noch nicht gehört hat!

Eröffnung des Festivals "EBE-Jazz" durch die Big Band am Freitag, 13. Oktober, in der Stadthalle Grafing. Einlass um 19 Uhr, Beginn 19.30 Uhr. Karten gibt es online oder an der Abendkasse.

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