Mitten in Ebersberg:Rettender Stimmbandeinsatz

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Unverzichtbarer Auto-Begleiter. (Foto: Achim Scheidemann/dpa)

Warum Singen nicht nur das Gemeinschaftsgefühl fördert und befreiende Wirkung hat, sondern auch als therapeutisches Mittel nicht zu unterschätzen ist.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Neulich, direkt nach dem Auffahren auf die Autobahn, als der Magen noch wilde Kapriolen schlägt von der abrupten Beschleunigung, ist er plötzlich wieder da, dieser Reflex, im Handschuhfach nach dem Allheilmittel für solche Situationen zu suchen. Vor vielen Jahrzehnten war dies stets Aufgabe der Mutter gewesen, denn ihre Wirkung hatte diese therapeutische Maßnahme nie verfehlt. Aufgrund einer von klein auf direkt nach dem Platzieren auf der Rückbank einsetzenden Übelkeit gehörte nämlich zur Grundausstattung jedes elterlichen Fahrzeugs, neben der von einer Häkelabdeckung verhüllten Klorolle, mindestens eine Mundorgel.

Später dann wurde das rote Büchlein mit Volks- und Lagerfeuerliedern ersetzt durch kleinformatige Top-Schlagertexthefte, noch später enthielten die weißen Folk- und Rocksongbücher auch Noten und Tipps für Gitarrenbegleitung. Über deren Umsetzung soll an dieser Stelle besser der Mantel des Schweigens gebreitet werden - nicht jedoch darüber, wie dieses Instrument inmitten jeder Gruppe gleich für ein Gemeinschaftsgefühl sorgt - ganz abgesehen von der imagefördernden Wirkung beim gekonnten Einsatz von Fingern und Stimme.

Auch in anderen Kulturen bedient man sich in vielen Lebenslagen der stimmungsaufhellenden Wirkung von Musik. Unvergessen hier der turbulente Rückflug von einer Hochzeitsfeier in Manila (auf die Erinnerung an den in einer Hotelbar stattgefundenen Karaoke-Auftritt im pfirsichfarbenen Brautjungfernkleid, Marke überdimensionales Osterei, könnte man hingegen gut verzichten). Ungeniert, lautstark, aber auch unfassbar tonsicher, begleitete der Nebenmann den aus seinem Walkman schallenden Michael-Jackson-Hit. Die restlichen Passagiere sahen dabei nicht einmal von ihrer Lektüre auf - zu vertraut war ihnen offenbar ein solches Phänomen.

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In hiesigen Breitengraden wird Gesang in der Öffentlichkeit statt in öffentlichen Transportmitteln (außer in wirren S-Bahn-Tagträumen oder selbstvergessen hinter einer Maske) im Sommer gern in Bierzelten, im Winter auf den Tanzflächen von Après-Ski-Lokalitäten gepflegt. Denn dort wirkt auch der schrägste Laut nicht befremdlich, so lange sich der begleitende Output auf reinen Gesang beschränkt.

Wer sich dem mehr oder minder melodischen Artikulieren von Tönen wiederum lieber in privater Umgebung hingibt, dem bleibt immer noch die eigene Dusche. Ungemein befreiend so ein aus vollem Herzen geschmettertes "Hit the Road, Jack!" Sollte das als zu anspruchsvoll empfunden werden, tut es zum Stressabbau wahrscheinlich auch ein "Na na na na, na na na na, hey, hey, hey, goodbye".

Auch ohne diese explizite Aufforderung hat sich die beschleunigungsinduzierte Übelkeit glücklicherweise schnell gelegt. Offene Fenster wirken hier Wunder. Und sorgen sogar für freie Fahrt, verschreckt man andere Verkehrsteilnehmer nur rechtzeitig genug mit dem passenden Soundtrack. Selbst gesungen, natürlich.

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