Flüchtlinge:Wenn Kinder keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen

Lesezeit: 4 min

Die eritreische Familie ist in Zorneding zwar in Sicherheit. Doch nach Haft und Folter bleibt die Angst vor der Regierung ihres Heimatlandes (Symbolfoto). (Foto: dpa)

In Zorneding kämpft eine eritreische Familie gegen die bürokratischen Hürden des Familiennachzugs. Das Ausländeramt verlangt, dass Frau und Kinder jene Botschaft kontaktieren, vor der sie flüchteten.

Von Jan Schwenkenbecher, Zorneding

Senai Gebre spricht ein wenig Deutsch, seine Frau Ruta Aman noch gar nicht. Sie ist erst seit kurzem hier, in Deutschland, in Zorneding. Nun sitzen sie gemeinsam in der Wohnung ihres Asylhelfers Albert Burger. Die Familie - Senai Gebre, Ruta Aman und die vier und sechs Jahre alten Töchter - kommt aus Eritrea, wo es üblich ist, dass Ehepartner den eigenen Namen behalten. Mittlerweile wohnen sie in Zorneding. Gebre ist seit Ende 2014 hier, Frau und Kinder sind im Januar als Familiennachzug eingereist.

Eine Aufenthaltsgenehmigung haben sie aber noch nicht, nur ein vorläufiges Aufenthaltsrecht, eine Fiktionsbescheinigung, die für drei Monate gilt. Denn bei ihrem Antrag gibt es ein Problem: Aman und die Kinder haben keinen Reisepass. Die Ausländerbehörde sagt, sie sollen ihn bei der eritreischen Botschaft beantragen, dann bekommen sie die Genehmigung. Doch die Familie will das nicht. Gebre und Aman wollen sich nicht an die eritreische Regierung wenden. Denn die Regierung war der Grund für ihre Flucht.

Gebre und Aman heißen eigentlich anders, aus Selbstschutz möchten sie nicht, dass ihre Namen in der Zeitung stehen. Ihre Geschichte erzählt Albert Burger, so wie er sie mit Hilfe einer Übersetzerin protokollierte. Danach war Senai Gebre von 2002 an bei der eritreischen Militärpolizei, bis diese ihn Ende 2013 ins Gefängnis steckte. "Weil sie an seiner Loyalität zweifelten", sagt Burger. Nach vier Monaten habe es im Gefängnis eine Revolte gegeben - und Gebre konnte fliehen. Über Äthiopien, Sudan, Libyen und Italien kam er so nach Deutschland, so steht es im Protokoll. Erst hier, zehn Monate nach seinem Verschwinden, konnte er seine Frau kontaktieren, die keine Ahnung hatte, wo er war. Nicht mal wusste, dass er inhaftiert worden war.

In der Zwischenzeit habe die Militärpolizei Aman mehrmals aufgefordert, den Aufenthaltsort ihres Mannes zu nennen, so erzählt es Burger. Schließlich sei sie mit den Kindern sogar ins Gefängnis gekommen. "Sie wurde gefoltert und mit dem Tode bedroht", so hat es Burger festgehalten, "kaum Wasser, fast kein Brot, keine Toilette. Sie standen und lagen in ihrer eigenen Kloake." Nach zwei Wochen seien die drei entlassen worden und sofort geflohen.

Zunächst sah es gut aus, doch dann fehlte das entscheidende Dokument

Im Dezember 2015 kamen sie in einem Lager in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba an, wo sich die Deutsche Botschaft befindet. Zur selben Zeit wurde Gebres Asylantrag in Deutschland bewilligt, er bekam eine Aufenthaltsgenehmigung. Damit bekamen auch Aman und die Kinder das Recht, nachzukommen. Im Januar 2017 flogen die drei schließlich mit einem vorläufigen Dokument nach Deutschland.

Und zunächst schien sich alles zum Positiven zu wenden. Burger mietete eine Wohnung, die er an die Familie untervermietete, für die Töchter fanden sie Kindergartenplätze. Dann stellten sie den Antrag für die Aufenthaltsgenehmigung. Doch das Ausländeramt im Ebersberger Landratsamt lehnte ab, weil die Reisepässe fehlten.

Wenn Burger diesen Teil erzählt, wird er lauter. "Mir geht der Hut hoch, wenn ich Politiker sagen höre, die werfen ihre Pässe weg", sagt er. "Die haben keine." Er habe versucht, dem Amt zu erklären, dass es Reisepässe in Eritrea quasi nicht gibt. Dass, wer einen Reisepass beantragt, als Landesverräter gilt. Dass es aber eritreische Personalausweise gibt und Aman einen solchen auch hat. Dass es sogar einen DNA-Nachweis über Vater- und Mutterschaft gibt, durchgeführt von einem deutschen Labor. Die Behörde bestand auf den Reisepass.

Die vier sind "überzeugt, dass sie vom eritreischen Regime nach wie vor verfolgt werden und einen Besuch der Botschaft nicht überleben würden", so Burger. Er weiß, dass das in Deutschland absurd klingt. Er habe zunächst auch versucht, sie dazu zu bewegen, einfach den Antrag zu stellen. Doch seit Aman nach einer heftigen Diskussion darüber für zwei Tage nicht aus ihrem Zimmer und unter der Bettdecke hervorgekommen sei, habe er diesen Weg aufgegeben.

Hoffen auf die Alternativ-Lösung

Burger hofft nun darauf, dass die Behörde doch noch eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, auch ohne die Reisepässe. Dass sie ihren "Ermessensspielraum" ausnutzt. Fabian Helmerich, stellvertretender Sachgebietsleiter des Ausländeramtes, sagt aber: "Ein Pass muss sein, da gibt es keinen Ermessensspielraum." Zwar sagt er auch, dass es kein Reisepass sein muss, dass manchmal auch ein Nationalpass ausreichen würde, "grundsätzlich sind wir da offen". Ein eritreischer Personalausweis etwa, den Aman ja hat.

Burger aber sagt, dass ihnen bei mehreren Gesprächen mit der Behörde immer wieder gesagt wurde, es müsse der Reisepass sein. Auch hat Burger schon E-Mails mit Landrat Robert Niedergesäß (CSU) über den Fall ausgetauscht, der sich zunächst mit dem Leiter der Behörde, Martin Thurnhuber, in Verbindung setzte. In einer Mail schrieb Niedergesäß dann an Burger: Bei mehreren Gesprächen wurde "Ihnen und der Familie mitgeteilt, dass eine der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis der Besitz eines gültigen Reisepasses ist". Weiter schreibt er: "Alleine an dieser nicht gegebenen Voraussetzung scheitert die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse."

Zwei weitere Wege gäbe es für Ruta und ihre Kinder noch, um trotzdem, auf anderem Wege, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Der eine: ein regulärer Asylantrag, so wie ihn Gebre stellte. Dann aber würden Aman und die Töchter das ganze Programm durchlaufen, müssten in eine Asylbewerberunterkunft umziehen, die Kinder verlören ihre Kindergartenplätze, Gebre müsste aus der Wohnung ausziehen, weil sie für ihn alleine zu groß wäre, um von der Behörde bezahlt zu werden.

Der zweite Weg wäre ein Reiseausweis für Ausländer, als Ersatz. Dieser kann beantragt werden, wenn ein Ausländer "nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann", so steht es in der Aufenthaltsverordnung. Das Problem ist aber das Wort "nachweislich", denn wer kann schon nachweisen, dass er etwas nicht hat. Und für die Ausländerbehörde ist erst dann nachgewiesen, dass die drei keine Pässe haben, wenn sie solche beantragt und nicht bekommen haben - bei der Botschaft.

Burger und die Familie wollen nun klagen. Sie hoffen, dass ein Gericht ihre Geschichte versteht.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: