EHC Klostersee:Besser so

Lesezeit: 6 min

Fan-Urgestein Armin Fichter freut sich über den Neuanfang, auch wenn die Bezirksliga sportlich keine Herausforderung für den EHC ist. (Foto: Christian Endt)

Der EHC Klostersee musste wegen Fan-Krawallen von der dritten in die unterste Eishockey-Liga, dennoch sind fast alle Spieler geblieben. Geschlägert wird immer noch, aber nicht mehr in Grafing - über einen Verein, der seinen guten Ruf zurück will.

Report von Korbinian Eisenberger (Text) und Christian Endt (Fotos)

Im Strafenkatalog des EHC Klostersee war der Platzverweis immer ein teueres Vergehen. Wer sich eine "Spielstrafe" einhandelte, der musste 20 Euro in die Mannschaftskasse zahlen, so stand es auf der Preisliste, die in der Kabine aushing. Mit Beginn der neuen Saison hängt der Strafenkatalog wieder dort, wieder hinten an der Klotür, schwarze Lettern auf weißem Grund. Alles sieht aus wie immer, nur dass die Preise halbiert wurden, und dass kleinere Vergehen nicht mehr auf der Liste stehen. Dafür hängt jetzt noch etwas in der Kabine, ein Banner mit großen schwarzen Buchstaben und einer klaren Botschaft: "Aufstieg".

Der größte Verein der Region muss sich gerade an eine neue Situation gewöhnen. Grafing spielt nicht mehr in der dritthöchsten Liga, sondern in der untersten, der Eintritt ins Stadion ist billiger geworden, die Spieler des EHC verdienen nur noch einen Bruchteil ihres Gehalts aus der Vorsaison. Und trotzdem hängen in der Kabine über den Umkleidebänken viele bekannte Namensschilder aus der Vorsaison. Als der langjährige Kapitän Gerd Acker sein Karriereende verkündete, rief sein Nachfolger Bernd Rische, 30 Jahre EHC, die Mannschaft in der Kabine zusammen: Wer den Weg nicht mitgehen will, der könne jetzt aufstehen und gehen.

1 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Trotz Abstieg von der dritten in die sechste Liga: Im Grafinger Eisstadion wird weiter Eishockey gespielt. Am Sonntag kam das Team des EV Berchtesgaden (blaue Trikots).

2 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Nikolo Bumbum: Auf dem Eis wird sich gleich warmgeschossen, Dieter Wilnauer ist derweil bei den Kids im Stadion die Schau. Der frühere Eismeister des EHC Klostersee ist natürlich mit dabei beim letzten Heimspiel vor Weihnachten.

3 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

In der Kabine laufen gerade die letzten Vorbereitungen. EHC-Stürmer Raphael Kaefer (rechts) ist zwar auf dem Eis schwer zu bändigen, beim Umziehn lässt er es eher gemächlich angehen, wie unser Fotograf Christian Endt feststellte.

4 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Trainer Dominik Quinlan ging früher selbst für die Grafinger auf Torejagd, jetzt dirigiert er das Geschehen von außen. Seine bisherige Bilanz: 11 Spiele, 11 Siege, 128:8 Tore.

5 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

In den vergangenen Jahren wurden manche Spiele des EHC von Krawallen überschattet. An diesem Sonntagabend verleben die wenigen Beamten im Stadion eine stade Zeit.

In den vergangenen Jahren kam es im Grafinger Eisstadion auch immer wieder zu Szenen, wo die Polizei in Schutzkleidung den Gang absperrte. Diese Aufnahme aus dem Februar 2014 beim damaligen Oberliga-Heimspiel des EHC gegen Selb stammt von SZ-Fotograf Peter Hinz Rosin.

6 / 11
(Foto: Christian Endt)

Seit dieser Saison geht es im Grafinger Stadion wieder entspannt zu. Beim Einlaufen lachen die Spieler mit den Fans, die Polizisten sehen aus der Ferne zu.

Auf den Rängen ist die Stimmung gelöst, nicht sonderlich laut, Spannung kommt in dieser Saison nicht auf, Mitte des zweiten Drittels steht es gegen Berchtesgaden 10:1.

7 / 11
(Foto: Christian Endt)

Fan-Urgestein Armin Fichter steht seit Jahrzehnten im EHC-Fanshop. Als Sechsjähriger bekam er daheim hinter die Löffel, wenn er sich ins Grafinger Stadion schlich.

8 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Bei über 20 Spielern kann immer nur ein Bruchteil auf dem Eis stehen.

9 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Vor dem Tor der Berchtesgadener ging es zu wie auf dem Grafinger Volksfest, nachdem gerade das erste Fassl angezapft wurde.

10 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

14:1 ging es am Ende aus. Grafings Keeper Andreas Zinnäcker musste schaun, dass er sich bei klirrender Kälte nicht eine Erkältung einfing. Berchtesgadens Schlussmann Stefan Quintus hatte andere Sorgen, dafür wurde er am Ende zum besten Spieler seines Teams gewählt.

11 / 11
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Die Berchtesgaden traten die Heimreise mit einer Kiste Bier aufs Haus an, immerhin hatten sie zwischendurch 1:0 geführt. Was der Nikolo auf seinem Schlitten transportierte, bleibt das Geheimnis des früheren Eismeisters.

Es gibt im Vereinssport wohl kaum eine härtere Strafe als das, was die erste Mannschaft des Eishockeyklubs EHC Klostersee in diesem Jahr durchmachen musste. Zur neuen Saison rutschte der frühere Zweitligist aus der Oberliga Süd in eine von vier bayerischen Bezirksligen ab (die sechshöchste Klasse). Besonders hart war es für Grafing, weil das alles weniger mit sportlichen Problemen zu tun hatte. Die gab es zwar auch, Klostersee verlor 28 von 40 Spielen und wurde am Ende Vorletzter. Eskaliert ist die Situation aber abseits des Eishockeyfelds - auf den Fanblöcken und vor dem Stadion des EHC.

Sonntagabend, das letzte Bezirksliga-Heimspiel des EHC in diesem Jahr. Ungefähr 300 Fans sind gekommen, im Schnitt kommen in dieser Saison um die 350 pro Heimspiel - deutlich mehr als bei allen anderen bayerischen Bezirksligisten, aber eben auch deutlich weniger als in den vergangenen Jahren. Ein Grund: In der Oberliga kamen immer ein bis zwei Busse mit Gästefans, mittlerweile ist der Gast-Stellplatz immer frei. Vom EV Berchtesgaden sind an diesem Abend keine Fans auszumachen.

Wie ein Fels in der Brandung: EHC-Urgestein Armin Fichter und sein Fanshop

Eishockey lebt von der Spannung, genau das kann Grafing derzeit jedoch nicht bieten. Der EHC hat alle elf Saisonspiele haushoch gewonnen und führt die Liga mit einem Torverhältnis von 121:8 an. "Klar ist das keine Dauerlösung", sagt Sascha Kaefer, der zu den Glanzzeiten des Grafinger Eishockey spielte, es gab Zeiten, da spielte der EHC in der zweiten Liga um den Aufstieg ins Oberhaus. Statt des rot-weißen Trikots trägt Kaefer bei Heimspielen mittlerweile Hemd und Jeans, das Handy ist immer griffbereit. Kaefer hat das Amt im Sommer von Alexander Stolberg übernommen, der lange der Chef war, jetzt bestimmt Kaefer über Gehälter, Verträge und den Umgang mit Fans - und sogenannten Fans, auch darum geht es beim EHC.

In den vergangenen Jahren wurde der Sport in Grafing zunehmend von Krawallmachern verdrängt, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. In Presseberichten ging es zuletzt weniger um die Ergebnisse der Ersten Mannschaft als um das, was sich immer wieder abseits des Eishockeyfeldes abspielte. Weil eine Gruppe von Randalierern die Spiele des EHC Klostersee zunehmend für Angriffe auf Gästefans nutzte, rückten teilweise bis zu 40 Polizeibeamte an, nicht selten stand die Polizei für die Spieler Spalier.

Wo jetzt die Spieler einlaufen und Zuschauer abklatschen, sperrten in den vergangenen Jahren immer mal wieder bewaffnete Beamte mit Schutzwesten den Gang ab. Die Polizei ist auch diesmal da, fünf Beamte stehen auf der Tribüne neben dem Würstelstand, mit Schlagstöcken aber ohne Westen und Schutzanzug. Hinter dem Tor, wo früher die Anhänger der gewaltbereiten Gruppierung "Brigade" Schmähgesänge anstimmten, hängt jetzt eine Fahne mit dem Schriftzug "Red Society", die Brigade-Nachfolger, wenn man so will. Gepöbelt wird nicht, gesungen auch nicht, beim 10:1 für den EHC geht ein kurzes Raunen durch die Halle.

"Mei, es fallen halt viele Tore", sagt Armin Fichter. Der 53-Jährige steht auch heute in seinem Fanshop-Stand, rot-schwarzes Käppie, rot-weißer Schal, EHC durch und durch. Fichter schiebt die Brille nach unten, zeigt aufs Eis, sein Blick wird ernst. "Man sieht, dass die nur 50 Prozent geben müssen", sagt er. Fichter ist einer, der trotzdem zum EHC geht, einer, der vom Papa eine hinter die Löffel bekommen hat, weil er sich als Sechsjähriger schon heimlich ins Eisstadion schlich. In 18 Jahren als Vorstand des EHC-Fanclubs hat Fichter große Spielzeiten erlebt, Abstiege und Aufstiege, und trotzdem steht er auch an diesem bitterkalten Bezirksliga-Abend hinter seinem Tresen: "Besser so, wie wenn's uns wie den anderen ergeht".

Geldprobleme sind im Eishockey keine Ausnahme, eher ein verbreitetes Phänomen, nicht nur in Bayern. Erst vor einer Woche hat es den sächsischen Klub EHV Schönheide erwischt, der Verein hat Insolvenz beantragt, die genauen Hintergründe sind noch offen. Im Frühjahr standen sich der EHV und der EHC noch gegenüber, jetzt haben beide ihre Teams aus der Oberliga Süd zurückgezogen. Ähnlich Dramatisches ist aus Landshut zu vernehmen, dort steht einer der traditionsreichsten bayerischen Eishockeyklubs vor dem Aus. Den Oberligisten plagen knapp 600 000 Euro Schulden, auch hier droht die Insolvenz. Landshut hat zwar kein Fanproblem, dennoch erinnert der Fall an Klostersee - die Spielergehälter der ersten Mannschaft brachten beide Klubs finanziell in Bedrängnis. So oder so ähnlich erging es Eishockeyvereinen immer wieder, auch den ganz Großen, erst vor eineinhalb Jahren löste sich etwa der frühere Deutsche Meister EV Füssen auf, ebenso insolvent, mittlerweile gibt es einen unterklassigen Nachfolgeverein.

Im Grafinger Fall half der Rückzug, um den totalen Kollaps zu verhindern. "Der Fokus liegt jetzt nicht mehr ganz so stark auf der Ersten Mannschaft" sagt EHC-Vorstand Kaefer. "Einige Spieler verdienen nur noch ein Fünftel von dem, was sie in der Oberliga bekommen haben", sagt er. Finanziell gehe es dem Verein deshalb so gut wie lange nicht, zur neuen Saison hat der Klub einen Jugendkoordinator engagiert, für solche Posten ist jetzt Geld da. Fast alle EHC-Spieler hätten wechseln und so deutlich mehr verdienen können, sie hätten aufstehen können, als der Kapitän sein Team vor die Wahl stellte. Doch aufgestanden ist niemand, auch nicht Stürmer Raphael Kaefer, der Sohn des Vorstands, von dem viele in Grafing sagen, dass er es mit seinen 22 Jahren nochmal weit bringen wird.

Im Grafinger Eisstadion ist der Frieden zurück, die Gegner reisen nicht mehr unter Polizeischutz aus Grafing ab, stattdessen freut sich Berchtesgadens Torwart Stefan Quintus nach dem Spiel über die ungewohnte Kulisse. "Die Grafinger Fans machen Stimmung, das ist man in unserer Liga nicht gewohnt", sagt er. Die Ebersberger Polizei teilt mit, dass es in Grafing seit Saisonbeginn so gut wie keine Vorfälle mehr gab. Verein, Stadt und Polizei haben ein Konzept überlegt - die Heimspiele finden jetzt nur noch am Sonntag statt, nicht wie sonst häufig am Freitagabend, nicht, wenn bei den jungen Fans der Alkohol fließt.

Die Grafinger Hooligan-Szene ist immer noch aktiv

"Das und die Stadionverbote zeigen Wirkung", sagt Gerhard Freudenthaler. Der stellvertretende Polizeichef kennt die Szene seit Jahren, war oft dabei, wenn die Fangruppen getrennt werden mussten. Freudenthaler traut dem Frieden aber nicht restlos, allein schon deshalb, weil es in der Bezirksliga außer beim EHC kaum Fans gibt. "Ohne gegnerische Gruppen gibt es kaum Konfliktpotential", sagt er.

Die Grafinger Hooligan-Szene ist immer noch aktiv, allerdings nur in der Fremde: Beim Auswärtsspiel in Aich (Landkreis Fürstenfeldbruck) rissen Männer in EHC-Kluft gegnerische Fanbanner herunter, am Rande eines Zweitligaspiels des EHC Bayreuth schlugen Grafinger Fans einen Rosenheimer nieder. Und beim Spiel der Klosterseer in Dachau zündeten EHC-Anhänger Pyrotechnik, zerstörten Verkehrszeichen und zerbrachen Stühle. "Solche Meldungen kommen von keinem anderen Verein in der Bezirksliga", sagt Freudenthaler. "Im Kern besteht die Szene noch."

Die Grafinger Fans haben sich einen unrühmlichen Ruf gemacht. In den vergangenen Jahren häuften sich Schlägereien, einmal bewarfen EHC-Anhänger einen Fanbus mit Steinen. Für Aufsehen hatte schließlich die Aussage des Spieleiters der beiden Oberligen Nord und Süd, Oliver Seliger vom Deutschen Eishockeybund, gesorgt. In einem SZ-Interview attestierte er dem EHC die schlimmsten Krawallmacher überhaupt, wenig später kündigten wichtige Sponsoren der Klosterseer ihren Rückzug an - bald war klar, dass es damit nicht mehr für die Oberliga-Lizenz reicht.

Abhaken, Mund abputzen, weitermachen. Armin Fichter hat ein Grinsen auf dem Gesicht, kurz vor Schluss ist noch das 14:1 gefallen, standesgemäß, mit dem Ergebnis kann man das Jubiläumsspiel zum 60. Geburtstag des EHC am 2. Weihnachtsfeiertag (16.30 Uhr) gegen eine Auswahl früherer Grafinger Größen angehen. Kinder mit Klostersee-Mützen und Fanschals haben jetzt ein Spalier für die Spieler gebildet, abklatschen, "guad habt's gspuit", dann geht's in die Kabine, Radler und Bier, eine Kiste für die Verlierer, Respekt, immerhin gelang ihnen die 1:0-Führung.

Die Mannschaft von Trainer Dominik Quinlan wird aufsteigen, daran zweifelt in Grafing niemand ernsthaft. Nach derzeitigem Stand und Modus dürften die beiden Ligabesten am Ende in die Landesliga, es würde demnach reichen, wenn Grafing in den Play-offs das Endspiel erreicht. "Wir wollen direkt rauf", sagt Vorstand Sascha Kaefer, 2018 könnte der EHC dann in die Bayernliga zurückkehren, in die Vorstufe zur Oberliga - rein theoretisch, falls sportlich und finanziell alles passt. Wenn die Saison im Frühjahr endet, wollen sie die Mannschaftskasse für einen Teamurlaub in Budapest plündern, sagt Raphael Kaefer. Für ein Hotel wie im Vorjahr in Wien werden die Einnahmen aus der Strafkasse diesmal nicht reichen. Raphael Kaefer sagt, dass es dann halt eine Jugendherberge tun muss.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: