SZ-Adventskalender:Nach der Flucht ist alles anders

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Deutschunterricht gehört zu Integrationskursen. Mit kleinen Kindern ist das nicht so einfach, dann wird auch die Wohnungssuche schwerer. (Foto: Catherina Hess)

Um nach Europa zu kommen, hat Milad sein Leben riskiert. Doch hier ist alles anders, als sie es zu Hause erzählt haben. Seine Zukunft liegt in den Händen der Behörden.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Milads Geschichte ist nur eine von vielen, die man genauso erzählen könnte. Und doch ist sie eine typische Geschichte. Natürlich heißt Milad nicht wirklich Milad, denn von den jungen Flüchtlingen, die nun auch im Landkreis Ebersberg untergebracht sind, soll nicht einer herausgehoben werden, weil jeder von ihnen genug gute Gründe hatte, nach Deutschland zu kommen.

Milad stammt aus einem kleinen Dorf in Afghanistan. Eine Schule hat er nie besucht. Die Schiiten, zu denen seine Familie gehört, sind in Afghanistan eine Minderheit, und die Paschtunen, die in der Region in der er lebte, das Sagen haben, verweigern ihnen den Schulbesuch. Schreiben kann er dennoch. Die lateinischen Buchstaben hat ihm eine alte Frau aus dem Dorf beigebracht, wie er erzählt. Bis zu dem Tag, an dem sein Vater ermordet wurde.

Für die Reise benötigen Flüchtlinge Geld und Kondition

Rebellen seien es gewesen. Der Vater hatte für die Polizei gearbeitet. Dann seien sie gekommen und hätten gedroht, auch Milad zu töten, weil er der älteste Sohn der Familie ist. Seine Mutter aber hat ihn gerettet. Seine Mutter, die er hier so sehr vermisst und der er immer wieder geschrieben hat, ohne Antwort zu bekommen. Telefonisch kann er sie nicht erreichen, es gibt kein Telefon in seinem Dorf.

Die Mutter habe einem Mann Geld gegeben, damit er Milad in Sicherheit bringen konnte. Zuerst mit dem Auto, dann mit einem Esel, schließlich zu Fuß. Über ein Gefängnis in der Türkei, wo ihm Polizisten das Geld abnahmen, mit dem er das Boot übers Meer bezahlen wollte. Aber er habe sich neues Geld "organisieren" können, damit er weiter fliehen konnte.

Milad und ein paar andere kamen in einem kleinen Boot nach Griechenland. Im Dunkeln, natürlich. Einige im Boot konnten nicht schwimmen, das wusste er, doch sie überstanden die Fahrt. In Griechenland schlief er dann an einem Bahnhof, jobbte, um an Geld für die Reise nach Deutschland zu bekommen. Der Lkw-Fahrer, den er bezahlte, setzt ihn in einem Café beim Münchner Hauptbahnhof ab und verschwand. Irgendwann ging Milad dann zur Polizei.

Arbeit zu finden, ist schwieriger als vermutet

Ob es ihm gut gehe hier? Es ist für Milad nicht leicht, die Frage zu beantworten. Seine Mama und seine Geschwister fehlen ihm sehr, manchmal träumt er davon, sie wiederzusehen. Als er endlich einen Brief von seiner Mutter bekommen hat, erfuhr er, dass sie krank ist und Medikamente braucht. Er solle ihr Geld schicken, hatte sie gebeten. "Ich weiß aber nicht, wo ich es hernehmen soll, da ich nicht arbeiten darf. Und das macht mich sehr traurig." Er hatte geglaubt, dass es einfacher sein würde, in Deutschland Geld zu verdienen. Das hatten zumindest zu Hause alle erzählt. "Hoffentlich glaubt mir das meine Mama."

Milad sehnt sich danach, eines Tages als reicher Mann in sein Dorf zurückzukehren. Jetzt wolle er erst einmal richtig Deutsch lernen, sagt er, und würde sogar auf die Ferien verzichten, damit das schneller geht. Zugleich hat er Angst, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen, er hat keine Anerkennung als Asylberechtigter, sondern lediglich eine Aufenthaltsgestattung.

Die Sorge, das neue Zuhause aufgeben zu müssen, ist groß

Seinen afghanischen Ausweis hat er abgeben müssen, als er herkam. Der hatte sein Geburtsdatum in islamischer Zeitrechnung angegeben, wonach er jetzt 19 wäre. Genau weiß er nicht, wie alt er wirklich ist. Alle paar Jahre seien Leute in sein Dorf gekommen und hätten den Kindern Ausweise gegeben, die in der Zwischenzeit geboren worden waren. "Aber die Leute hier" hätten eh nicht geglaubt, was da drin stand. Aber als Afghane fühlt sich Milad ohnehin nicht.

Wenn sein neuer Ausweis jetzt abläuft, so fürchtet er, könnte er Deutschland verlassen müssen. Oder den Ort, an dem er ein vorübergehendes Zuhause gefunden hat. Wo er mit den anderen Jungen Fußball spielen kann. Oder Ausflüge machen mit seinen Betreuern. "Die Regierung und die Polizei können einen durch ganz Deutschland verschicken und sagen: 'Hier bleibst du', wie ein Stück Tuch." Dabei, glaubt er, gehe es ihm jetzt doch eigentlich ganz gut.

Das Ebersberger Jugendamt, das für die unbegleiteten jungen Flüchtlinge im Landkreis zuständig ist, finanziert mit den Spenden aus dem SZ-Adventskalender vor allem Schulmaterialien für den Deutschunterricht.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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