Kultur im Landkreis:Endlich wieder lachen!

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Bitte nicht schießen! In "Der Bär" lockt der ungehobelte Grigori Smirnow (Emanuel Dürr) die Witwe Jelena Popowa (Martina Gerner) aus der Reserve. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Ebersberger "Theater Zwischenton" erweckt zwei Einakter von Anton Tschechow zum Leben: humorvolle Charakterstudien mit hohem Identifikationspotenzial.

Von Ulli Kuhn

Es ist ein gemütliches Ambiente "Unterm First" im Ebersberger Klosterbauhof. Die langen Holzbalken überall verströmen unverkennbar den Charme der Fachwerkskunst. Der Raum scheint wie geschaffen für die beiden Einakter von Anton Tschechow, die das Theater Zwischenton nun hier aufführt: "Der Bär" und "Der Heiratsantrag". Denn beide Stücke spielen in einem bäuerlichen Gutshaus, irgendwo im weiten Russland. Und so fällt es auch ohne große Kulisse ganz leicht, sich gedanklich in eben diese Szenerie zu versetzen.

Der Zuschauer sitzt mit im Esszimmer, wenn der verärgerte Gutsbesitzer Grigori Smirnow bei der trauernden Witwe Jelena Popowa die Schulden ihres verstorbenen Mannes eintreiben möchte. Und man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wenn Hypochonder Iwan Lomow sich mit Natalia Stepanowa ein ums andere Mal wegen Nichtigkeiten überwirft - wo er sie doch eigentlich heiraten will.

Das konfliktreiche Verhalten der Figuren gibt Anstoß zur Selbstreflexion

Tschechows Stücke sind humoristische Charakterstudien, die - obwohl schon weit mehr als hundert Jahre alt - auch heute noch herrlich aus dem Leben gegriffen scheinen. Immer wieder kann der Zuschauer sich selbst im Verhalten der Figuren wiederfinden. In den innerlichen, aber auch zwischenmenschlichen Konflikten der Akteure, die nur zu sehr an Situationen aus unserem Alltag erinnern.

Und dann fühlt man sich ertappt. Zum Beispiel, wenn der Hypochonder Lomow seine stressinduzierten Krankheitssymptome für das Ende seiner Tage hält. Wie oft wohl hat man selbst schon rätselhafte Symptome in die Suchmaschine eingetippt, um zu erfahren, an welch schrecklichen Krankheiten man wohl leiden könnte? Genauso aber fühlt das Publikum mit, wenn der Gutsbesitzer Grigori Smirnow von sich selbst enttäuscht ist, da er seine Interessen einmal mehr nicht durchsetzen konnte.

In "Der Heiratsantrag" bringt Hypochonder Iwan Lomow (Robert Rudolph-Torgany) die Zuschauer zum Lachen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In den Akteuren toben den ganzen Abend widerstreitende Emotionen und haufenweise Konflikte mit Konventionen. Und das Publikum? Amüsiert sich köstlich über die oft so vermeidbaren Abgründe, in die sich die Protagonisten ein um das andere Mal selbst stürzen. Doch jedes Mal, wenn der Zuschauer über das Handeln und Denken einer der Figuren herzlich lacht, lacht er vielleicht auch ein bisschen über sich selbst.

Zur Premiere des Tschechow-Programms ist der Ebersberger Saal gut gefüllt, nur vereinzelt bleiben Stühle frei. Eine schöne Bestätigung für die viele Mühe der Theatertruppe. "Ein Jahr lang haben wir geprobt", sagt Regisseurin Bina Schröer. "Alle unsere Schauspieler sind Laien, und die Stücke von Tschechow durchaus anspruchsvoll - ich bin sehr stolz auf das Team!" Alle Darsteller seien von Beginn an hochmotiviert gewesen. "Sie wollten unbedingt Tschechow spielen", so Schröer. Und alle seien natürlich froh, nach dieser langen, einsamen und kulturarmen Corona-Zeit wieder proben und auftreten zu können.

Tschechows Stücke sind unpolitisch - das Leben leider nicht

Bei der Planung des Programms, erzählt die Regisseurin weiter, sei aber unter den Schauspielern auch eine Frage aufgekommen: "Können wir wirklich ein russisches Stück spielen?" Doch man habe letztlich eine gemeinsame Antwort darauf gefunden: "Ja, es geht, die Kultur hat nichts mit diesem Konflikt zu tun." In der Folge habe man sich bewusst von dem Thema ferngehalten. "Wir sind ja nicht mit dem russischen Volk im Krieg", so der Tenor am Premierenabend. Wenn man sich von der russischen Kultur jetzt auch noch trenne, wäre das kein Gang in eine gute Richtung. Als sich nach der Vorstellung noch einige Zuschauer mit den Schauspielern unterhalten, wird allerdings hier und da dann doch über die Krise in der Ukraine gesprochen. Das bleibt in solchen Zeiten wohl nicht aus.

Und noch ein anderes Thema gibt es: Die Regisseurin erzählt, wie sehr sie und viele ihrer Künstlerkollegen in der Corona-Krise zu kämpfen gehabt hätten, und wie froh sie sei, dass das Geschäft jetzt langsam wieder an Fahrt gewinne. Auch wenn sich noch lange nicht alles wieder so anfühle wie vor der Pandemie. "Man fühlt trotzdem noch seine gewisse Unsicherheit und auch Kraftlosigkeit", so Schröer. Auch mit der Gruppe Zwischenton habe sie mehrere Male ein Stück einstudiert - und dann doch nicht aufführen dürfen. "Das alles hat uns schon sehr mitgenommen."

Proben lohnt sich wieder: Regisseurin Bina Schröer ist sehr froh, dass das kulturelle Leben nun an Fahrt gewinnt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf der Bühne ist davon allerdings nichts zu spüren: Die Schauspieler sind alle mit vollem Einsatz dabei. Kleine Textfehler hier und da werden unmerklich kaschiert. Die Laien machen bei Tschechows Stücken wirklich eine sehr gute Figur. Und wer sich nun ärgert, weil er die Vorstellung im Klosterbauhof möglicherweise verpasst hat, kann aufatmen: Sie war der Auftakt zu weiteren Vorstellungen der Ebersberger Schauspielgruppe. Auch Iwan Lomov wird dann die Zuschauer erneut zum Lachen bringen. Wenn, wie der Hypochonder wohl selbst sagen würde, "...ich bis dahin noch lebe!"

Das "Theater Zwischenton" spielt "Der Bär" und "Der Heiratsantrag" von Anton Tschechow erneut am Freitag, 31. März, um 20 Uhr im Ebersberger Alten Kino, am Freitag, 8. April, um 20 Uhr in der Stadtbücherei Grafing sowie am Freitag, 19. Mai, um 20 Uhr in der Kultur-Etage Messestadt.

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