Musik im Landkreis:"Unser Beuteschema sind Männer über 40"

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...und die jungen Sänger bleiben aus. Männerchöre im Landkreis sorgen sich wegen Überalterung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Männerchöre haben im Landkreis Ebersberg eine lange Tradition. Doch wie die Zukunft aussieht, ist ungewiss, denn alle haben das gleiche Problem: Es fehlt an Sängern, vor allem an jungen. Wie kann es gelingen, die Ensembles am Leben zu halten?

Von Pia Hitzer, Ebersberg

"Tradition ist nicht die Anbetung der Asche - sondern die Weitergabe des Feuers!", davon ist Gabor Fischer überzeugt. Er ist Vorsitzender des Männerchores Kirchseeon und seit mehr als zwanzig Jahren begeisterter Sänger. Momentan zählt sein Chor etwa 26 aktive Mitglieder und ist damit der größte im Landkreis. Obwohl einige der Männer erst Anfang 40 sind, klagt Fischer über Überalterung, denn das Durchschnittsalter liegt auch im Kirchseeoner Chor bei etwa 70 Jahren. "Deshalb kann es sein, dass wir in zehn Jahren schon wesentlich weniger sind", sorgt sich der Vorsitzende.

Gabor Fischer singt bereits seit 20 Jahren. Derzeit leitet er den Verein des Kirchseeoner Männerchors. (Foto: Christian Endt)

Immer weniger Männer, das zählen auch die vier weiteren Männerchöre im Landkreis. Am stärksten betroffen vom Mangel ist dabei die Sängerrunde Liederfreiheit Markt Schwaben mit nur sechs bis acht aktiven Sängern. Solche Zahlen erschweren den Chorbetrieb erheblich, das weiß auch Elisabeth Hamel. Sie leitet den Männerchor Aßling-Bruck, der momentan aus zehn Herren besteht. "Vielstimmigkeit ist da schwierig", erklärt sie. Die Überalterung bringe zudem noch ein weiteres Problem mit sich: Oft könne in Kirchen nicht mehr aufgetreten werden, zu steil und verwinkelt seien die Treppen hoch zu den Emporen.

Jugendarbeit beim Männerchor gestaltet sich schwierig

Es fehlt also an jungen Stimmen. Doch weshalb kommen diese nicht? Die Gründe für den Mangel an Nachwuchs sind vielfältig. Reinhard Lerner, Vorsitzender der besonders unterbesetzten Sängerrunde in Markt Schwaben, sieht vor allem die Landflucht junger Menschen in die Städte als Grund. Denn: Wo keine jungen Leute mehr leben, können diese auch nicht im Chor singen. Eine weitere Ursache könnte der Rückzug ins Private sein, den man auch beim Männerchor Steinhöring beobachtet.

Reinhard Lerner ist erster Vorsitzender der Sängerrunde Liederfreiheit Markt Schwaben. 114 Jahre ist dieser Verein schon alt, besonders seit Corona sorgt man sich aber auch hier wegen sinkender Mitgliederzahlen (Foto: Christian Endt)

Der Vorsitzende Karl Heinz Ernst erzählt, dass das Vereinsleben allgemein schwieriger geworden sei. "Viele junge Menschen möchten sich nicht verpflichten, fixe Termine ausmachen". Dazu komme ein riesiges Angebot an anderen Freizeitaktivitäten sowie der Fakt, dass man heute gar nicht mehr selber musizieren müsse. Schließlich könne man seine Lieblingsmusik ja einfach per Handy überallhin mitnehmen und abspielen. Die Chorleitung Bärbl Starringer ergänzt, dass dieser Wandel bereits in der Schule beginne. "Musik fällt meist am ehesten weg, wenn etwas gekürzt werden muss." Auch seien Volkslieder früher einfach weiter verbreitet gewesen, sagt sie.

Chorprobe in Steinhöring: Bärbl Starringer ist nicht nur Chorleitung, sondern begleitet auch oft am Klavier. Erster Vorsitzender ist Karl Heinz Ernst (Vierter von rechts). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gabor Fischer vom Männerchor Kirchseeon erklärt außerdem, dass die Kapazitäten für eine gute Jugendarbeit, wie etwa die Freiwillige Feuerwehr oder Fußballvereine sie leisten, bei Chören einfach nicht vorhanden seien. "Spätestens wenn die Jungen ein Studium beginnen, würden wir sie verlieren", sagt er. Das liege auch am Karrierebestreben vieler junger Männer, das wenig Zeit lasse für ein Hobby. Dabei könne Singen gerade nach einem stressigen Berufstag sehr entspannend sein, weiß Reinhard Lerner von der Sängerrunde Markt Schwaben aus eigener Erfahrung zu berichten.

Auch Stefan Riedl, Chorleiter des Männerchores Berganger, ist von der positiven Kraft des Singens überzeugt. "Obwohl ich den Chor leite, was doch auch anstrengend ist, kann ich während den Proben mal eineinhalb Stunden an nichts anderes denken und total runterkommen." Außerdem bereichere das gemeinsame Singen ungemein: Wenn man zusammen auf einen Auftritt hinarbeite und am Ende ein tolles Ergebnis präsentieren könne, sei das ein tolles Gemeinschaftsgefühl.

Stefan Riedl leitet den Männerchor Berganger und kann bei der Probe dennoch immer "total runterkommen" (Foto: Christian Endt)

Diese Gemeinschaft ist bei allen Männerchorproben im Landkreis deutlich spürbar. Immer ist die Stimmung gut, es wird gelacht, oft auch schon vor oder während der Probe die Stimme mit einem Bier oder einer Schorle "geölt", wie es unisono heißt. "Der Flaschendienst ist fast genauso wichtig wie der Notenwart", sagt Gabor Fischer.

Stimmen müssen "geölt" werden, gerne auch schon während der Probe (Foto: Christian Endt)

Das regelmäßige Zusammenkommen, nicht nur um gemeinsam zu musizieren, sondern auch, um sich auszutauschen, ist eine der wichtigsten Facetten des Chorbetriebs. Oft findet im Anschluss an die Probe sogar noch ein Stammtisch oder eine Brotzeit statt. Auch gemeinsame Ausflüge werden unternommen, manche Chöre verreisen sogar einmal jährlich gemeinsam für mehrere Tage. Für viele der älteren Herren ist gerade die Gemeinschaft und der feste Probentermin, zu dem sich Jugend anscheinend so ungern verpflichtet, das Schöne und Wichtige am Chorleben.

Auf der Suche nach Lösungen müssen die Chöre kreativ werden

Wie kann es also gelingen, diese Tradition am Leben zu erhalten? Oder ist das ein Ding der Unmöglichkeit? Nicht unbedingt, wie alte und auch neue Ideen aus dem Landkreis beweisen.

In Kirchseeon beispielsweise versucht man das ganze Jahr über durch öffentlichkeitswirksame Auftritte Männer für das Singen zu begeistern - und zwar mit Erfolg. Im vergangenen Jahr seien fünf neue Mitglieder beigetreten, berichtet der Vorsitzende. Immer im Januar gebe es eine Jahresauftakt-Feier, bei der fleißig Flyer verteilt würden. Aber auch auf dem Hobbymarkt in Kirchseeon seien sie jedes Mal mit einem Stand vertreten, erzählt Fischer.

Aufwärmen bei der Chorprobe in Kirchseeon. Die Stimmen klingen genau wie die Stimmung - nämlich sehr gut. (Foto: Christian Endt)

2023 habe man außerdem zum ersten Mal ein neues Format ausprobiert: einen Karaoke-Abend unter dem Motto "Kirchseeon sucht den Superstar". Und das sei sehr gut angenommen worden, berichtet Fischer. So gut, dass es dieses Angebot heuer gleich zwei Mal geben soll. Auch eine andere neue Idee wollen die Sänger bald umsetzen: Ein kleinerer Teil des Chores wird in Gasthäuser gehen, einige Stücke vortragen und den Besuchern damit Lust machen auf das gemeinsame Singen. Vor allem jüngere Herren sollen so gewonnen werden. "Unser Beuteschema sind Männer über 40", erklärt der Vorsitzende.

Doch nicht nur mit tollen Auftritten und schönem Gesang lässt sich locken. Auch ein aktives Vereinsleben mit vielen Angeboten kann anziehend wirken. Der Männerchor Berganger etwa unternimmt jedes Jahr einen Ausflug nach Südtirol, der Kirchseeoner Chor hat sogar schon im Petersdom in Rom gesungen und auch in den Alben des Männerchores Steinhöring lassen sich einige Bilder von gemeinsamen Wanderausflügen und Reisen bestaunen.

Ob es funktioniert, als Frau einen Männerchor zu leiten? Elisabeth Hamel erzählt, sie habe sich damals gedacht, wenn eine Frau Bundeskanzlerin sein kann, könne sie auch den Männerchor leiten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was aber kann man tun, wenn sich einfach nicht genügend Sänger finden? Der Männerchor Aßling etwa stand 2005 vor einem großen Problem: Nachdem der Leiter verstorben war, konnten keine weiteren Proben, geschweige denn Auftritt organisiert werden.

Die Lösung war ein Zusammenschluss mit dem Männerchor Bruck. Dieser wird seit 2003 von Elisabeth Hamel geleitet. Sie kann sich noch gut an die erste gemeinsame Probe erinnern. Die Freude sei groß gewesen, erzählt sie, da der Chor nun endlich einmal größer gewesen sei. Die Männer hätten sofort mit großer Begeisterung nach Liedern gesucht, die möglichst alle kannten. Fürs Erste waren die beiden Chöre also gerettet, man konnte wieder auftreten auf Feiern und Beerdigungen.

"Wer Zuhause für die Kinder gesungen hat, kann das auch hier"

Wer nun Lust bekommen hat, mit einem Chor aufzutreten oder einfach seinen Kopf freizusingen, kann sich gerne bei den Chorleitungen oder Vorsitzenden melden. Oder einfach direkt bei einer Probe vorbeikommen. Viel musikalisches Vorwissen ist nicht erforderlich, in den meisten Chören wird mehr nach Gehör als nach Noten gesungen. Geprobt wird auch, wenn gerade kein Auftritt vor der Tür steht, schließlich geht es auch einfach um "den Spaß an der Freud", wie Reinhard Lerner erklärt. Er ist überzeugt: "Wer Zuhause für die Kinder gesungen hat, kann das auch hier."

Probentermine und Ansprechpartner der Männerchöre im Landkreis:

Männerchor Markt Kirchseeon: Dienstags um 19 Uhr in der ATSV-Halle, Gabor Fischer (erster.vorsitzender@maennerchor-kirchseeon.de)

Sängerrunde Liederfreiheit Markt Schwaben: Donnerstags um 20 Uhr im Schloss Markt Schwaben, Reinhard Lerner ( TuR.Lerner@arcor.de )

Männerchor Steinhöring: Mittwochs um 19.30 Uhr in der Aula der Volksschule, Karl Heinz Ernst ( k-heinz.ernst@k-hernst.de )

Männerchor Berganger: Mittwochs um 19.30 Uhr im Gemeindesaal, Stefan Riedl ( stefan.riedl.berganger5@gmail.com )

Männerchor Aßling-Bruck: alle zwei Wochen freitags um 19.30 Uhr im Pfarrsaal Aßling, Elisabeth Hamel ( elisabeth.hamel@t-online.de )

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