Kunst im Landkreis:Formensprache für Entdecker

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Fliegende Quader, stimmungsvolle Landschaften und immer wieder Menschen. In Sabrina Sperls Ausstellung "knapp sichtbar" im Ebersberger Kunstverein kann man sich in dunklen Gründen und sonniger Schwerelosigkeit verlieren.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

24 MDF-Elemente hat "Rekonstruktion" von Sabrina Sperl, Eyecatcher der Ausstellung "knapp sichtbar" in der Alten Brennerei. (Foto: Christian Endt)

Das Kniffligste war der Transport. Vor allem der jener sonnengelben Verspannung namens "Rekonstruktion", die gleich beim Betreten der Alten Brennerei mit ihrer Anmutung von Schwerelosigkeit überrascht. Um das Gebilde unbeschadet nach Ebersberg zu bringen, musste Künstlerin Sabrina Sperl dessen mit gelbem Faden verbundene 24 Elemente zunächst im heimischen Saarbrücken sorgfältig zusammensetzen, dann in ein Gerüst einhängen, das Ganze in den Passat ihres Freundes, der auch ihr Assistent ist, verfrachten und gleichzeitig dafür sorgen, dass auch die anderen Ausstellungsobjekte im Gefährt noch Platz fanden.

Insgesamt 42 Werke enthält "knapp sichtbar", jene Ausstellung, die eigentlich schon 2020 hätte stattfinden sollen. Nur der Titel ist geblieben. Konzeption und Formensprache hingegen haben sich geändert, ganz neue Arbeiten wurden integriert.

So wie das eingangs erwähnte Exponat, beeindruckend, weil fest und dynamisch zugleich. Der Aufwand bei der Anreise hat sich definitiv gelohnt. Denn die 2,25 Meter hohe, ebenso breite und 1,40 Meter tiefe Installation bildet nicht nur einen Eyecatcher in der rechten Ecke des Eingangsraums.

Den klassischen Arbeiter nennt man im Saarland "Beschaffer". "Teilchen", so der Titel des Bildes von Sabrina Sperl, sind hingegen nicht nur in NRW süße Gebäckstücke. (Foto: Christian Endt)

Sondern sie befindet sich, steht man in der Türöffnung des kleinen Kabinetts, auch in einer Sichtachse mit dem Bild "Teilchen", angebracht im Westraum. Darauf zu sehen ist ein Arbeiter in klassisch orangefarbener Jacke mit Reflektorstreifen, der zügig und entschlossen seiner Wege geht, während er von zahlreichen Partikeln, offenen und geschlossenen Quadern, umschwirrt wird. Ist er, den man, wie Sperl erläutert, auf Saarländisch einen "Beschaffer" nennen würde, vielleicht selbst nur ein "Teilchen" im Getriebe?

Künstlerin Sabrina Sperl neben "Welcome to Saturnia (2)". Den Mann und das Kind auf der Treppe kennt sie aus ihrem persönlichen Umfeld. (Foto: Christian Endt)

Die Interpretation überlässt die Künstlerin dem Publikum. Wie auch bei "Welcome to Saturnia (2)", wo man sich vom pulsierenden Kreismotiv mit von innen ausgehendem Farbrapport sowohl hineingezogen fühlen als auch den Eindruck haben könnte, die Elemente kämen einem entgegen.

Was aber auch ohne ausführliche Erklärung deutlich wird: Der Kubus hat es ihr angetan. Schon seit den Anfängen ihres künstlerischen Schaffens inspiriert dessen kantige, spannungsreiche Form sie zu immer neuen bildnerischen Erfahrungen, dazu, von der reinen Arbeit in der Fläche hinauszugehen in den Raum, der damit aufgesplittert, gesprengt wird. Zusätzlich hat Sperl für sich den Kasten entdeckt - als "reales Gebilde mit Innenraum", in den man durch Öffnungen hineinschauen kann.

Den Kubus platziert sie - und zwar daheim im Atelier, mit zeitlichem Abstand - auf den Landschaftsbildern ihrer Serie "unterwegs", für die Sperl vorpräpariertes, mit Tempera grundiertes Büttenpapier mit in den Urlaub nimmt, auf das sie abends die Eindrücke des Tages bannt. Licht und Stimmung der sieben Exponate gleich rechts im Eingangsraum stammen übrigens aus dem Hinterland von Burgund.

Ein besonderes räumliches Gedächtnis ist gefragt, will man die zerteilten Würfel von Sabrina Sperls "Unterm Radar" gedanklich wieder zusammensetzen. (Foto: Christian Endt)

Quader zeichnet sie aber auch auf Papier, baut dann diese Elemente aus der Malerei wie in "Unterm Radar" real mit dem Holzmaterial MDF nach, bevor sie sie monochrom bemalt, in zwei Teile zerlegt und mit den Schnittflächen an der Wand befestigt. So betont die Installation, zu sehen im Oberlichtenraum, die Durchlässigkeit der Wand. Wer ein besonders gutes, räumliches Gedächtnis hat, kann übrigens versuchen, herauszufinden, welche Teile ursprünglich einmal eins waren.

Das strukturierte Arbeiten mit Material hat sich Sperl bei ihrer Ausbildung zur Glasmalerin und Glasschleiferin angeeignet - ausgeübt hat sie diesen Beruf allerdings nie, zu groß war der Drang, sich der Kunst zuzuwenden. Ihr Spektrum dabei ist außerordentlich breit, wie der Blick ins kleine Kabinett zeigt. Dort hängt etwa das dreidimensionale Objekt "Eberstraße", bei dem die Perspektive erst zusammengesetzt werden und das Auge ergänzen muss, was in einer anderen Ebene liegt, um das Ensemble mit seinen winzigen Verkehrsschildern richtig erfassen zu können. Im selben Raum findet sich auch die Arbeit "kleiner Mann schaut fern", eine auf einem Holzwürfel befindliche Zinnfigur. Diese wiederum steht in Beziehung zu "M", dem Gemälde einer jungen Frau in zerrissenen Jeans vor regenbogenfarbenem Hintergrund.

"Der Mensch schaut auf den Menschen"

Beide Sujets hat man schon einmal gesehen: Auf einem Bild im Westraum hat der Mann mit der blauen Kappe in einer Chaoslandschaft aus Kuben einen offenen Quader erklommen, um sich mit seinem Fernglas einen Überblick zu verschaffen. Und in "Versuchung 1" hat sich zwar die Farbe ihrer Bluse geändert, doch die in "M" dargestellte Frau ist deutlich wiederzuerkennen. Auffallend hier wie auch auf anderen Bildern die Strahlenkränze im Hintergrund. Per Lineal gezogen und aufwändig mit der Feder ausgeführt.

Eine Bekannte von Sperl ist die Dame übrigens nicht - im Gegensatz zu den in letzter Zeit auf ihren Bildern abgebildeten Männern, Frauen und Kindern. Wo sie früher unbekannte Passanten nahm und verfremdete, stammen die Vorlagen jetzt oft aus ihrem persönlichen Umfeld. "Der Mensch schaut auf den Menschen", erklärt Sperl die Bedeutung ihrer stets sehr realistischen Figuren.

Ob die Frau in "Ungenaue Koordinaten" von Sabrina Sperl mit ihrem Koffer wirklich diese Richtung einschlagen wollte? (Foto: Christian Endt)

Es ist eine der ganz wenigen plakativen Aussagen der zarten Frau mit dem zurückgenommenem Wesen, die meist lange und gründlich überlegt, was sie zum Ausdruck bringen möchte, gleichzeitig aber genau weiß, was sie will. Deren feiner Humor nicht nur im Gespräch immer wieder aufblitzt, sondern sich zuweilen auch in den Titeln ihrer Werke zeigt, wie "Weck mich nicht vorm Morgengrauen", "Das nächste Bild wird anders" oder "Ungenaue Koordinaten". Am liebsten spricht sie darüber, wie ihre Bilder durch Schichtung der selbst hergestellten Tempera Tiefe erlangen. "Die dunklen Gründe haben mich nie verlassen".

Bevor man sich endgültig von der Ausstellung verabschiedet, lohnt noch ein letzter Stopp bei "Rekonstruktion": 23 unterschiedliche Formen sind unter den 24 Elementen vertreten - wer findet das Zwillingspaar? Und an welchem Punkt muss man stehen, um alle Elemente einzeln wahrzunehmen, ohne dass sich im Blickfeld irgendetwas kreuzt? Unter anderem diese Details machen "knapp sichtbar" für Entdeckungsfreudige so außerordentlich spannend. Und nicht nur für sie.

10. Juni bis 3. Juli: Sabrina Sperl "knapp sichtbar". Freitag, 10. Juni, 19 Uhr: Vernissage. Samstag, 2. Juli, 20 Uhr: Konzert Jeremiah & very special guest. Sonntag, 3. Juli, 16 Uhr: Finissage und Künstlergespräch. Kunstverein Ebersberg. Öffnungszeiten: Freitag 18 bis 20 Uhr, Samstag, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Für diese Ausstellung werden noch dringend Aufsichten gesucht. Interessenten melden sich unter info@kunstvereinebersberg.de

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