Kreideweiß und noch gänzlich unversehrt ist der Kreis, der über die Schwelle einer Garage in der Ebersberger Einkaufspassage gemalt ist. Seit April dient der Stellplatz dem Kunstverein unter dem Namen "La Garaasch" als zweite, kleine Galerie, alle zwei Monate residiert dort ein anderer Gast. An diesem Tag ist dies "Das Klo-Häuschen" aus München, ein kooperatives Projekt, das die Garage schon während des Arkadien-Festivals bespielt hatte. Und nun gibt es dazu ein erfreuliches Nachspiel: An diesem wolkenverhangenen Abend präsentiert Anja Uhlig, Initiatorin des Klo-Häuschens, dessen erste eigene Münze. Und hat dafür den Kreidekreis am Boden freilich nochmal extra frisch nachgezogen.
Als die letzten Gäste eintreffen, fallen bereits erste Regentropfen schwerfällig auf das Straßenpflaster. Behutsam versuchen die Zuflucht suchenden Besucher, die weiße Kreide über der Schwelle nicht mit nassen Fußabdrücken zu verwischen. Über dem Kreis baumelt eine tiefhängende Glühbirne von der Decke, ihr Lichtkegel ist auf den Mittelpunkt des Kreises gerichtet. Dort in den Boden eingelassen ist eine goldene Münze.
Nachdem das Rascheln der Regenschirme und Herbstjacken verstummt ist, begrüßt Uhlig ihre Gäste mit einem nervösen Lächeln und faltet einen Papierzettel auseinander. "Auch wenn ich mir gerade das erste Mal Notizen gemacht habe, kann ich die sowieso nicht mehr lesen, also fange ich einfach mal an, zu erzählen", sagt sie mit einem Blick auf die mit Bleistift geschrieben Stichpunkte, die beinahe schon genauso verwischt sind wie die Kreide am Garagenboden, und erntet für diese Einleitung verständnisvolles Kichern.
Die Münchner Künstlerin Anja Uhlig betreut das Klo-Häuschen, ein acht Quadratmeter großes ehemaliges Pissoir am Großmarkt, das sie mit Ausstellungen und Aktionen in ein dauerhaftes Kunstprojekt verwandelt hat. Eigentlich eine stationäre Einrichtung, erhält es 2021 dennoch eine Einladung nach Ebersberg zum Kunstverein. "Eigentlich liegt dem Klo-Häuschen das Reisen ja gar nicht so sehr", sagt Uhlig, doch für das Arkadien-Festival habe es eine Ausnahme gemacht.
Ergebnis des Ausflugs ist eine Miniaturausstellung in der Garage, an der sich rund 60 Künstlerinnen und Künstler beteiligen. Eine kleine, temporäre Kunsthalle also - für die das Akkadischen Komitee dem Klo-Häuschen schließlich den Kunstpreis der Stadt Ebersberg verleiht. Das Preisgeld beträgt 2000 Euro, doch da es laut Uhlig in Arkadien keine Konkurrenz gibt, will die Künstlerin die Summe nicht für sich alleine beanspruchen, sondern mit ihren vielen Kollegen und Reisegefährten teilen. So entsteht die Idee, von dem Preisgeld eine Münze prägen zu lassen, als Andenken an das Kunstprojekt. "Das ist vom Klo-Häuschen selbst gekommen, das flüstert mir manchmal wie ein Pumuckl aus der Ecke solche Gedanken zu", sagt Uhlig und lacht.
Um aber als Münze, und nicht bloß als Medaille anerkannt zu werden, müsse ein geprägtes Goldstück eine Reihe an Kriterien erfüllen, erklärt Uhlig: Auf einer Münze müssten eine Jahreszahl, ein Staat und der Wert des Geldstücks angegeben sein, außerdem müsse es als gültiges Zahlungsmittel in einem souveränen Staat akzeptiert sein. Auf der Vorderseite der Ebersberger Gedächtnismünze ist die Zahl 21 zu sehen, die sowohl als Wertangabe als auch als Prägungsjahr dienen soll. Auf der Rückseite schimmern die Buchstaben KH, die Initialen des Klo-Häuschens, was als Auskunft über den kleinen Staat betrachtet wird, in dem diese Münze geprägt wurde und als Zahlungsmittel gültig sei.
Das Projekt "La Garaasch" beinhaltet, dass jeder mitwirkende Künstler dem nächsten ein Stück seiner kreativen Arbeit hinterlässt. Und so sind auf Boden und Wänden bereits einige bunte Farbspuren und Abbildungen zu finden. Das Klo-Häuschen aber wird die im Boden der Garage einbetonierte Münze zurücklassen. Und auch der weiße Kreis ist ein Überbleibsel, der Künstler Rasso Rottenfusser hatte diesen für den Besuch des Klo-Häuschens entworfen.
Doch nun wird der Regen schon wieder stärker und die Kreide auf den Steinen immer blasser, bis das weißgetränkte Wasser sich über die Rillen im Straßenpflaster zu einer trüben Pfütze sammelt. "Deswegen habe ich beschlossen, den Kreidekreis regelmäßig nachzumalen", sagt Anja Uhlig und deutet auf schemenhaften Umrisse. An welchen Tagen sie in die Garage fährt, entscheidet die Münze: Bei Kopf macht die Münchnerin sich mit einem Stück Kreide auf den Weg nach Ebersberg, fällt Zahl, bleibt der Kreis unberührt.
Am Ende wendet sich Uhlig noch mal an ihren Ehrengast Lakhena Leng, die Dritte Bürgermeisterin der Stadt Ebersberg. Feierlich zieht die Künstlerin eine kleine Schatulle aus der Tasche. Beim Öffnen des Magnetverschlusses kommt, auf ein rotes Samtdeckchen gebettet, die goldene Münze zum Vorschein. Als Dankeschön für die Anerkennung durch den Kunstpreis und als Erinnerung übergibt Uhlig die Münze samt dem Etui an die Vertreterin der Stadt. Als im Inneren dann die Sektkorken knallen und die Gläser klirren, ist der Kreidekreis vor der Garage fast gänzlich vom strömenden Regen hinweggespült. Wann er wieder über die Schwelle der Garage hinausreichen wird, das entscheidet nun die Münze KH21.