Kindeswohlgefährdung:Jeder Fall ist einer zu viel

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Viele Kinder, die zuhause Gewalt erleben, fühlen sich wertlos und ohnmächtig. (Symbolbild) (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Seit 2018 erfasst das Bayerische Landesamt für Statistik die Gefährdungseinschätzung für Kinder und Jugendliche. Während die Zahlen bayernweit steigen, sinken sie in Ebersberg. Grund zur Entwarnung ist das jedoch nicht.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Die Zahlen der Gefährdungseinschätzung für Kinder und Jugendliche im Landkreis Ebersberg waren 2022 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2018. Insgesamt 76 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls wurden vergangenes Jahr eingeleitet. Im Jahr davor waren es noch 101 Verfahren, im Jahr 2019 sogar 156.

Von den 76 Verfahren im vergangenen Jahr waren 30 Jungen und 46 Mädchen betroffen. In 18 Fällen handelte es sich um eine akute Kindeswohlgefährdung, worunter zum Beispiel körperliche Gewalt durch die Eltern fällt. "Das Kind kann in dieser Umgebung nicht belassen werden", erklärt Florian Robida, Jugendamtsleiter des Landkreises Ebersberg. "Bei einer akuten Gefährdung kommt es immer zu einer Inobhutnahme."

Bei einer latenten Gefährdung wiederum handelt es sich beispielsweise um unzureichende Aufsicht oder emotionale Vernachlässigung. 2022 wurden 15 dieser Fälle gemeldet.

Bayernweit steigt die Zahl der gefährdeten Kinder

21 Mal, als das Jugendamt kontaktiert wurde, fanden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Kindeswohlgefährdung, wohl aber Hilfebedarf vor. "Die Eltern sind hier oft mit der Erziehung überfordert", erklärt Florian Robida. "Wir bieten dann Hilfe an, die die Eltern allerdings nicht annehmen müssen."

Bei 22 der Verfahren lag schließlich weder eine Kindeswohlgefährdung, noch ein Hilfebedarf vor. Häufig handle es sich um Situationen, "wo es beim Nachbarn laut wird und dann die Polizei oder das Jugendamt kontaktiert wird", so Robida. Nicht selten würde dadurch ein Nachbarschaftsstreit ausgetragen.

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Dass die Zahlen in Ebersberg sinken ist insofern bemerkenswert, als dass sie in Bayern insgesamt steigen. Das geht aus einer Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Statistik hervor. Demnach meldeten die Bayerischen Jugendämter im Jahr 2022 insgesamt 21 102 Gefährdungseinschätzungen. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einem Plus von acht Prozent. 15 Prozent der Gefährdungseinschätzungen ergaben eine akute, 13 Prozent eine latente Kindeswohlgefährdung. Auf die anderen beiden Einschätzungen - keine Gefährdung, aber Hilfebedarf und weder noch - entfielen je 36 Prozent.

Weshalb die Zahlen in Bayern steigen, aber in Ebersberg sinken, darüber kann Florian Robida nur spekulieren. Zum einen würden die Zahlen natürlicherweise fluktuieren, "mal sinken sie, mal steigen sie". Zum anderen gibt er zu bedenken, dass es Unterschiede darin geben könne, was verschiedene Jugendämter als Gefährdung betrachten. "Es gibt zwar einheitliche Regeln", sagt er, "allerdings ist die genaue Auslegung vermutlich immer unterschiedlich." In Ebersberg werde etwas in die Statistik aufgenommen, wenn zwei Mitarbeiter des Amtes sich zum Wohnort des Kindes begeben, um eine Einschätzung vorzunehmen.

Es sei darüber hinaus zu beachten, dass es stets eine Dunkelziffer gibt, die "hoffentlich nicht zu groß" ist. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 geht Robida dennoch davon aus, dass sie gewachsen ist.

Florian Robida, Leiter des Jugendamtes Ebersberg, sagt: "Wir haben starke Partner." (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einerseits hängt das damit zusammen, dass Eltern und Kinder in oftmals beengten Wohnverhältnissen aufeinander hockten, was zu Konfliktsituationen führte. Gleichzeitig würden die meisten Gefahrenmeldungen durch Schulen und Jugendgruppen beim Amt eingehen. "Wir haben starke Partner", so Robida. Sportvereine, Kirchengruppen oder Trachtler würden alle einen Beitrag dazu leisten, ein "engmaschiges Netz" im Landkreis Ebersberg aufrecht zu erhalten. Zwar besteht auch in diesen Institutionen die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung. Allerdings beträfen die meisten Verfahren das häusliche Umfeld der Kinder und Jugendlichen.

Unter anderem deswegen seien Vereine und Institutionen so wichtig, auch, wenn sie keine hundertprozentige Sicherheit bieten könnten. "Natürlich ist jeder, der durchs Netz geht, einer zu viel", sagt der Jugendamtsleiter. Aber man tue alles, um diese Zahl so gering wie möglich zu halten.

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