EBE-Jazz:Dumbledore an der Gitarre

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Gitarrist John Scofield, Bill Stewart an den Drums und Vicente Archer am Bass zelebrieren im Alten Speicher ihr neues Album. (Foto: Thomas J. Krebs/oh)

John Scofield beschert dem Publikum im Alten Speicher magische Momente. Doch seine Triokollegen, Bill Stewart an den Drums und Vicente Archer am Bass, stehen dem Bandleader in nichts nach.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Was macht die "Sendung mit der Maus" so aufregend und glaubwürdig? Da wird ein Gegenstand gezeigt, sagen wir: ein Kugelschreiber. Dieser wird in seine Bestandteile zerlegt, deren Herstellung erklärt, dann alles zusammengesetzt. Heraus kommt wieder ein Kugelschreiber - den man nun nicht mehr nur in die Hand nehmen kann, sondern versteht. So ähnlich war das am Samstagabend im Ebersberger Alten Speicher, als sich das John Scofield Trio des "Mr. Tambourine Man" annahm.

Die allseits vertraute Melodie anspielen, dann hier einen Akkord der Byrds, da ein Motiv Bob Dylans herausnehmen, in eine neue Form gießen, mit einer anderen Form zerfließen lassen, für einen kurzen Besuch ins Vertraute zurückkehren, dann aber tollkühn in eine neue Welt ausbrechen - es war ein Lehrstück für improvisierten Jazz, an dem der ausverkaufte Saal teilhaben durfte. Aber ein Lehrstück von jener Sorte, die einen nicht klein und hilflos fühlen lassen, sondern groß und erfüllt und verständig - letztlich inspiriert, sich mehr von dieser Musik zu gönnen, weil man sich im Leben ärmer fühlte, hätte man diese Gelegenheit verpasst.

Die Leidenschaft des Trios geht weit über verkaufsfördernde Maßnahmen hinaus

Gitarrist Scofield und sein Trio auf eine Cover-Version zu reduzieren wäre indes viel zu kurz gegriffen. So, als reduziere man die Wegbeschreibung von Woodstock, dem Geburtsort des Bandleaders, nach Ebersberg auf den Flug Boston-München. Zusammen mit Vicente Archer am Bass und Bill Stewart an den Drums zelebriert Scofield sein jüngstes Album "Uncle John's Band", das auch einige Eigenkompositionen enthält, mit einer Ausdauer und Leidenschaft, die weit über verkaufsfördernde Maßnahmen hinausgeht.

"TV Band" zum Beispiel ist ein fast anarchischer Gegenentwurf zum durchdigitalisierten Klangbild hinter jeder Art von Bildschirm. Scofield wandelt sich zum Dumbledore an der Gitarre und vollführt magische Artistik, wie sie nur jene "Alten" beherrschen, in denen ein ewig junges Herz schlägt. Gerade im Wechselspiel mit seinem Drummer ergeben sich intensive Bewegungen klanglicher Schwerelosigkeit, die das Publikum staunend auf diese fliegenden Künstler am Trapez schauen lässt.

Nicht nur im Alten Speicher ist EBE-Jazz los, sondern auch im Alten Kino. Hier begeistern der Pianist Claus Raible und Saxofonist Brad Leali in einem internationalen Tentett das Publikum. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Konzentriert im Ausdruck und lebensfroh in den Klangbildern - das prägt das Spiel des Trios den ganzen Abend hindurch. Da gibt es keine Phasen des Ausruhens oder des Versinkens in Routine: Hellwach widmen sich die drei Musiker ihren Themen und Instrumenten, wobei Schlagzeuger Stewart mehr ist als zuverlässiger Taktgeber und treibende Kraft. Einer wie er ist Landschaftsgärtner für die Fantasie, weil die Linien, die er zeichnet, die Wege in die Melodien hinein öffnen. Gleichzeitig platziert er die Blickfänge so, dass sie der Musik der beiden anderen einen verlockenden Rahmen geben.

Damit nicht genug: Obwohl Stewarts Schlagzeugaufbau kompakt und unspektakulär ausfällt, kitzelt er ein Maximum an Effekten heraus, etwa beim Einsatz der Besen, die er so variabel benutzt, als hätte er nicht nur zwei davon zur Hand, sondern Dutzende. Wie der Drummer unter diesen Vorzeichen den kleinen Scofield-Diamanten "Nothing is Forever" zum Schmuckstück des Abends fasst, hat, dem Titel zum Trotz, Ewigkeitswert.

Bassist Vicente Archer spielen zu hören, ist vergleichbar mit der Entdeckung einer Galaxie

Zu einem anderen eigenen Titel, "How Deep", hat Komponist Scofield ins CD-Booklet geschrieben: "I hope we swing." Die zustimmende Antwort auf diese Hoffnung ergibt sich aus dem Wechsel der Dimension von "Aufnahme" zu "live". Denn im Saal können es alle nicht nur hören, sondern auch sehen und spüren, dieses beeindruckend lässige, blinde Zusammenspiel des Trios.

Aber viel mehr noch durchdringt die Kunstfertigkeit des Bassisten alle Wahrnehmung. Vicente Archer wäre wohl die erste Adresse für ein Ausweichquartier, wenn es dem lieben Gott mit den Harfen im Himmel mal zu langweilig wird. Es sind begnadete Finger, mit denen Archer die vier Saiten seines Instruments singen lässt. Zeuge zu sein dieser Metamorphose heraus aus der Rhythmusgruppe hinein in die - eigentlich abwesenden - Vocals, ist vergleichbar mit der Entdeckung einer neuen Galaxie: pulsende Kraft, strahlendes Licht und eine Verschiebung der stellaren Kräfte.

Fester Bestandteil von EBE-Jazz sind auch Jam-Sessions zu später Stunde. Im Café Mala stand dafür das Trio von Pianist Niklas Roever bereit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für EBE-Jazz gereichen Besucher wie Scofield zur Auszeichnung, aber dieser Bassist an seiner Seite ist wohl das, was Ulrich Habersetzer vom aufzeichnenden Bayerischen Rundfunk bei seiner Anmoderation meinte, als er das Festival als eines der vielfältigsten und lebendigsten nicht nur Bayerns, sondern weltweit bezeichnete.

Wobei man diese Welt nicht allein geographisch verstehen sollte, sondern in der gelebten, musizierten Verbindung von Menschen aller Kulturen. Zwei Mal greift das Trio Melodien von Carla Bley auf, die vor wenigen Tagen verstorben ist. Einmal im regulären Set mit "Lawns", changierend zwischen Liebeslied und Lullaby, dann noch einmal als einzige Zugabe: So, wie sie "Ida Lupino" interpretieren, mit Poesie erfüllen und bewusst lang nachhallende Klänge erzeugen, befreit sich die Melodie von den Fesseln des Abgesangs und wandelt sich in den unsterblichen Klassiker, der sie schon immer war, seit ihre Komponistin sie erstmals am Piano spielte.

Nach Scofield war noch lange nicht Schluss: Im Jugendzentrum ging es weiter mit "Boom - Drum'n'Voice'" von Gerwin Eisenhauer und Layla Carter. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Solche Momente sind es, die Wellen erzeugen, wie der Stein, den man ins Wasser wirft: Sie verändern die Emotionen in einem Stück, dieses wandelt die Atmosphäre eines Konzerts, dieses wiederum weitet den Horizont des ganzen Festivals. Sie verstärken bei denen die Freude am Jazz, die sich auf das Scofield-Trio einlassen, weil sie ihm wegen dessen legendären Rufs einen großen Abend zutrauen. Sie geben jenen eine Rendite auf ihren Ticketkauf, die genau dieses Datum gewählt haben, um einen großen Namen auf ihrer Bucket-List abhaken zu können.

Sie sind aber, am meisten von allem, ein anregender, ermunternder Impuls für alle, die mit Zeit, Kraft und Begeisterung dieses Festival auf die Beine gestellt haben. Für sie, das konnte man den Gesichtern am Ende ablesen, ging das Vergnügen dieses "Hauskonzerts mit Scofield" gegen unendlich. Für alle anderen war es Anlass, heftig und mit vielen Bravos angereichert ihre Begeisterung fürs Gehörte und Erlebte zu zeigen.

Zum Nachhören gibt es die Konzerte vom 20. und 21. Oktober bei EBE-Jazz als Zusammenschnitt in der "Jazztime" von BR-Klassik am 10. November um 23.05 Uhr. Dort erfährt man dann auch, wann die einstündigen Sendungen zu den Einzelkonzerten folgen werden.

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