Doppelte Premiere:"Wir sollten um Verzeihung bitten"

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Wer, wenn nicht Lokalmatador Hans Klaffl, hätte die neue mobile Bühne für den "Kultursommer" im Landkreis testen sollen? Wie gut, dass der Kabarettist aus Ebersberg die Corona-Zeit für ein neues Programm, ein Best-of, genutzt hat. (Foto: Christian Endt)

Der Ebersberger Kabarettist Hans Klaffl spielt sein neues Best-of, das nicht nur zurück blickt - und erprobt dabei die mobile Bühne für den "Kultursommer" im Landkreis.

Von Anja Blum

Man muss sagen: Er hat alles gegeben. Für sein Ebersberger Publikum. Für das Alte Kino. Für den, zumindest inoffiziellen, Auftakt des "Kultursommers" im Landkreis. Seine besten Nummern, die persönlichsten Anekdoten, seine vielsagendsten Lieder hat Hans Klaffl in einen neuen, sagenhaft dichten Abend gepackt, ein Best-of, wie es besser nicht sein könnte. Zweieinhalb Stunden Spielzeit hat der 70-Jährige dem Publikum gegönnt - und sich selbst abverlangt. Denn ja, auch an dem ehemaligen Musiklehrer nagt zumindest ein wenig der Zahn der Zeit. Schmal ist er geworden, und manchmal, wenn es allzu rasant zugeht am Kontrabass, wird die Luft schon etwas dünn. Sogar einen formidabeln Texthänger dürfen die Zuschauer erleben - "Premiere!" Doch Klaffl wäre nicht Klaffl, würde er's nicht mit Humor nehmen und sogleich ein Loblied aufs Altern anstimmen. "Vergessen ist was Wunderbares." Vor allem sorge es dafür, dass der Senior per se in Bewegung bleibe, und verhindere so die partielle arterielle Verkalkung der Beine. Stichwort: Wo ist denn jetzt schon wieder meine Brille?

Doch der Abend ist nicht nur für's neue Programm ein Testlauf, sondern auch für EBE-AB 79: Erstmals wurde am Montag der neue Bühnen-Anhänger in den Klosterbauhof gefahren, aufgebaut und bespielt. Mehrere Veranstalter aus unterschiedlichen Gemeinden haben sich für das Projekt zusammengetan, um den Menschen im Landkreis trotz Pandemie einen "Kultursommer" bescheren zu können. Die mobile Bühne, gefördert von diversen politischen Ebenen, soll in den kommenden Wochen quasi flächendeckend Open-Air-Abende ermöglichen. Und wie es aussieht, wird das zumindest an der Technik nicht scheitern. Die fahrbare Spielstätte macht einen höchst soliden, professionellen Eindruck. Allein, gutes Wetter kann man leider nicht dazu pachten, das hat der Montagabend wieder eindrücklich gezeigt: Pünktlich zur Pause wird die Lage am blitzerfüllten Himmel über Ebersberg derart kritisch, dass Hausherr Markus Bachmeier den Umzug in den Alten Speicher anordnet. Doch Chaos bricht deswegen mitnichten aus: Team und Publikum haben dieses Procedere schon so oft eingeübt, dass es völlig geräuschlos über die Bühne geht.

Was für die Wandertage und Schulstunden, von denen Klaffl selbstverständlich wieder zu berichten weiß, so gar nicht gilt. Vielmehr ist pure Verzweiflung das Grundgefühl des Lehrers - angesichts von Schülern, die alles andere tun, als brav ihrer Klasse zu folgen, aufmerksam zuzuhören und Wissen anzuhäufen. Gleich zu Beginn steht Klaffl stöhnend an einem altmodischen Holzpult, in der Hand einen Rotstift in XXL, vor sich eine Flasche Rotwein und einen sehr, sehr dicken Stapel Papier. Lauter bearbeitete Musik-Extemporalen, eine schlimmer als die andere. "Ned amoi des Datum is richtig!" Und das Wort "Rhythmus" schreibt nur der Legastheniker korrekt - "denn die sind tatsächlich nach ein paar Stunden Training meist besser als alle anderen", erklärt Klaffl. Damit untermauert der Ebersberger die These, dass sein Kabarett fast immer einen realen Hintergrund habe. "Ich muss mir gar nichts ausdenken." Ein wenig Beobachtungsgabe und Sinn für Kurioses genüge völlig. Sogar den Trick, Weinflecken auf einem Stapel Proben mit Kaffe zu übermalen, habe er einst wirklich angewandt. Wie gut, dass an diesem Abend der Wind irgendwann zu korrigieren hilft und die Exen quer über die Bühne bläst.

Ja, wie immer bekommen alle am "Biotop Schule" Beteiligten ihr Fett weg; Schüler, Lehrer und Eltern. Es ist dies die große Kunst Klaffls, dass er alles aufspießt - außer vielleicht die Musik sowie die Mathematik, seine beiden geliebten Kunstformen. Die Schwächen der eigenen Zunft etwa führt er vor an seinen vier legendären Lehrertypen, ein freudiges Wiedersehen mit Schwellendidaktiker Sedlmayer, Bedenkenträger Gütlich, Brachialrhetoriker Gmeinwieser und Schöngeist Gregorius. Doch zu welcher Sorte zählt Klaffl sich selbst? Das lässt er auch beim Best-of im Dunkeln. Nur so viel: "Es gibt diese Typen sehr selten in Reinform, in jedem Lehrer stecken alle vier, nur in unterschiedlicher Gewichtung." Doch insofern erbringe der Schüler eigentlich die bemerkenswerteste Leistung: sich alle 45 Minuten auf einen neuen Charakter vorne an der Tafel einzustellen. "Diese Assimilation verlangt größte geistige Flexibilität!"

Nun ist Klaffl schon länger in Rente, Zeit also, Bilanz zu ziehen. Doch die fällt durchwachsen aus. Da ist die Freude über das freie "Leben nach dem Gong", ein Intermezzo am Klavier zur Melodie von "I will survive" - aber da ist auch viel Wehmut, diesen letztlich doch als sinnvoll erachteten Job nicht mehr ausfüllen zu dürfen. "Diese Bande, sie fehlt einem auch." Trotz Blockflöten-Desaster, chemischen Kampfstoffen nach dem Sportunterricht, hormoneller Überdosierung und "erschöpfender Behandlung des Lehrkörpers". Wie sehr sich Klaffl in die Nöte eines Schülers einfinden kann, zeigt auch sein "Abituralbtraum", ein Lied, das der ehemalige Lehrer auswendig vortragen muss - denn "so schnell lesen kann ich nicht". Es handelt von einem Karussell des Wissens in der Nacht vor der Prüfung, wenn all die in den Kopf gestopften Termini wild durcheinander wirbeln. "Es ist alles da, aber nichts an seinem Platz!" Ein schwindelig machender Reigen aus Mandelbrot, Subdominante, Cosinus, Ablativ, Baselitz und vielem, vielem mehr. Chapeau!

Doch Klaffl blickt nicht nur zurück, sondern richtet sein Brennglas auch auf die aktuelle Situation, die ja bestimmt ist von Corona, der "Seuche", wie der Kabarettist sagt. Für Lehrer allerdings sei die ganze Aufregung nicht sonderlich verständlich, "schließlich kennen wir das alles schon lange": Jede Schule sei bevölkert von Querdenkern im Sinne von Intelligenzverweigerern. Und die 80 Millionen deutschen Virologen seien im Hauptberuf ja eigentlich Bildungsexperten. Insofern sei für viele Eltern im Homeschooling ein lang gehegter Traum wahr geworden: "Unterrichtshospitation! Mit anschließender Manöverkritik." Auch nicht gehaltene Versprechen vonseiten der Politik seien für Pädagogen nichts Neues, genauso wie rätselhafte, aber alles bestimmende Zahlen. "Das hatten wir zehn Jahre lang, bei der Ein- und dann wieder Abführung des G 8." Die bayerische Schulpolitik sei schon immer ein einziges Tohuwabohu. Und das ist nicht nur Polemik, auch sehr ernste Töne schlägt Klaffl bei dem Thema an: Wechselunterricht sei ein Euphemismus für Chaos, sagt er, und dass Grundschüler fürs Lernen dringend einen anwesenden Lehrer bräuchten. "Und überhaupt wird es langsam Zeit, dass wir die Kinder und Jugendlichen um Verzeihung bitten für alles, was wir ihnen zuletzt angetan haben." Großer Applaus im Saal. Ja, Hans Klaffl gibt alles. Als Kabarettist und als Lehrer, der er im Herzen immer noch ist.

Offiziell eröffnet wird der Kultursommer am Montag, 28. Juni, im Klosterbauhof Ebersberg mit Michael Mittermeier. Er spielt sein Jubiläumsprogramm "Zapped - Ein TV-Junkie kehrt zurück!" Beginn ist um 20.30 Uhr. Die Veranstaltung findet auch bei Regen statt. Karten gibt's im Foyer des Alten Speichers, unter (08092) 255 92 05 oder unter www.kultur-in-ebersberg.de.

© SZ vom 23.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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