Mitten in Fürstenfeldbruck:Sprechende Beine

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So bunt wie die Kunstwerke an den Wadln dieser Skater beim Flashmob 2016 am Münchner Gärtnerplatz waren die Tattoos der Aufzugbegegnung nicht. Und von Socken wurden sie auch nicht verdeckt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Körperschmuck in Gestalt von Tattoos kann eine Menge über den Träger erzählen - und beim Betrachten ein Kaleidoskop von Gefühlen auslösen.

Von Michaela Pelz

Mit so einer Fahrt mit dem Lift ist es ja immer wie mit Forrest Gumps legendärer Pralinenschachtel: Man weiß nie, was einen erwartet. Beste Unterhaltung? Bemühter Smalltalk über das Wetter? Peinliche Stille? Bei der kurzen, kaum vier Stockwerke langen Begegnung an diesem Tag, ist nichts peinlich. Es wird einfach nicht geredet.

Ein junger Mann, vielleicht Ende 20, schaut in sein Handy, alle anderen auf den Boden. Von dort allerdings wandern ihre Augen unweigerlich zu den Beinen des Mitfahrers, der trotz der frischen Temperaturen in kurzen Hosen steckt. Wie magisch werden die Blicke angezogen von dem, was sich auf den unbestrumpften Waden abzeichnet: blau-schwarze Tätowierungen. Deren Bedeutung erschließt sich leider nicht direkt - schon gar nicht ohne Brille. Gerne würde man länger und intensiver schauen, doch das gehört sich nicht. Oder? Zumal ein verstohlener Zweitblick zeigt, dass es auf Knien und Oberschenkeln weitere Motive gibt.

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Über die historische Bedeutung von Tattoos wurde schon viel geschrieben: das, womit manche Kulturen Auszeichnungen zum Ausdruck brachten, diente anderswo dazu, Verbrecher zu brandmarken. Hierzulande lange Zeit verpönt oder gar ganz untersagt in manchen Berufen, gehört diese Form von Körperschmuck heute zum Alltagsanblick. Ganz junge oder sehr reife Menschen beweisen sich und anderen per Schmetterling unterm Schulterblatt ihren Mut. Andere wiederum verewigen dadurch wichtige Lebensereignisse auf ihrer Haut: Die Namen der Kinder. Bedeutsame Koordinaten. Ein Phoenix nach schwerer Krankheit dient als sichtbares Zeichen dafür, dem Schicksal getrotzt und gesiegt zu haben. Doch egal, ob Blümchen, Girlanden, eine Schreibmaschine oder andere aussagekräftige Symbole: Für den, der sie trägt, sind sie wichtig und für Betrachter häufig eine Augenweide.

Warum also sollte man das nicht aussprechen? Während sich der Gedanke noch Bahn bricht, gibt man es auf, den bewundernden Blick zu verstecken, tut im Gegenteil kund, wie schön man dieses Kaleidoskop an unterschiedlichen Bildern und Ornamenten findet. "Sie haben ja beeindruckende 'sprechende Beine'! Würde man mit Ihnen im Aufzug steckenbleiben, wäre es ganz sicher nicht langweilig, man hätte auf jeden Fall eine Menge zu sehen", sagt man mutig. Das Risiko, durch diese offenherzige Bemerkung seltsam zu wirken, geht man ein. Manchmal ist das Bedauern, nichts gesagt zu haben, im Nachgang deutlich größer als ein kurzer Moment der Überwindung.

Der junge Mann ist zum Glück weder beleidigt noch verärgert. Mit einem Lächeln verlässt er den Aufzug und sagt: "Mit mir ist es nie langweilig - egal, unter welchen Umständen." Gerne hätte man noch ganz viel gefragt - nach dem "was" und "wieso". Doch vielleicht muss selbst die Reporterin nicht immer allen Dingen auf den Grund gehen, sondern manches einfach stehen lassen und nur den Moment genießen.

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