Hochwasserschutz Grafing:Fast ein Jahrhundertprojekt

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Obwohl bisherige Hochwasser glimpflich verliefen, gehört das Grafinger Stadtgebiet zu den gefährdeten Arealen. Geplant sind umfangreiche Rückhaltebecken, doch dazu müssten die Grundstückseigentümer kooperieren.

Von Thorsten Rienth

Das Pfingsthochwasser 1999, die Überschwemmungen 2013 etwa zur gleichen Jahreszeit. Wenn Hochwasser kommt, sind die Schäden groß und das Wehklagen laut. Doch die Umsetzung von Hochwasserschutzkonzepten ist auf lokaler Ebene langwierig und kostet viel Geld. Grafing steht beispielhaft für die Schwierigkeiten, die Gemeinden dabei bewältigen müssen - was aber auch an den Grundstückseigentümern liegt.

2013 kam es im Bereich Seeoner/Wieshamer Bach zu einer Überschwemmung. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die beiden großen Überschwemmungen aus den Jahren 2013 und 1999 verliefen in Grafing zwar glimpflich. Doch das Pfingsthochwasser 1999 war so etwas wie ein Warnschuss: Nur ein paar Kilometer weiter südlich war es in Glonn und Moosach zu großen Schäden gekommen. Sie waren Auslöser, dass sich die Stadt im Jahr 2012 erstmals mit einem konkreten Hochwasserschutzkonzept zu befassen begann.

Dessen Stoßrichtung erklärt Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) so: "Wir versuchen, das Hochwasser erst einmal außerhalb der Stadt abzufangen, um es dann kontrolliert durch sie hindurch abfließen zu lassen." In Grafing, wo Urtelbach und Wieshammer Bach zur Attel werden, eine Herausforderung. Und mit ein Grund, warum alles ein bisschen langsamer vorangeht, als Stadt und Stadtrat das gerne hätten.

Der Grafinger Auftakt war eine erste Hochwasserstudie. Im Jahr 2007 lag sie auf den Tischen. Die Schlussfolgerungen waren wenig ermutigend. Nicht einmal die 29 genannten möglichen Einzelstandorte für Retentionsflächen außerhalb der Stadt würden bei einem HQ 100, einem Hochwasser also, wie es statistisch nur alle 100 Jahre vorkommt, ausreichen. Es bräuchte noch einen Bypass für den Urtelbach, empfahlen die Autoren.

Zusätzlich noch einen Entlastungskanal für den Wieshamer Bach und einiges an Ertüchtigungen im Stadtgebiet. Die finanzielle Hiobsbotschaft: geschätzte Kosten von etwa 12,5 Millionen Euro. Das entsprach damals etwa der Hälfte des jährlichen städtischen Haushalts.

Vom Jahr 2008 an führte die Finanzkrise zu sinkenden Einnahmen. Den örtlichen Vereinen kürzte der Stadtrat in 500-Euro-Schritten die Zuschüsse. Die Priorität eines Hochwasserschutzkonzeptes sank. "Das ist halt kein Thema, mit dem sich gut Politik machen lässt", kommentiere es kürzlich CSU-Chef Sepp Carpus.

Die Stadt konzentriert sich auf zwei große Rückhaltebecken

Dann geschah, was bei Konzepten eben bisweilen passiert: Das Wasserwirtschaftsamt relativiert die Planungen. Das Untersuchungsergebnis sei in einigen Punkten nicht nachvollziehbar und überprüfbar. Die 29 kleinteiligen Retentionsflächen seien unpraktikabel. Zudem ließe sich auf den teuren Entlastungskanal am Wieshamer Bach verzichten. Kommando zurück.

Warum die Behörde so sicher war in ihrer Einschätzung? Das Grafinger Wassereinzugsgebiet ist etwa 30 Prozent kleiner als ursprünglich angenommen. Das machte sogar die Abflussleistung im Stadtgebiet wett, die sich zwischenzeitlich als deutlich geringer erwiesen hatte.

Schließlich konzentrierte sich die Stadt auf zwei große Rückhaltebecken für den Urtelbach im Westen der Stadt. Aus dieser Himmelsrichtung drohe Grafing die größte Gefahr, schrieben die Fachbehörden. Auf jeder Seite der Bahnlinie München-Rosenheim würde ein Becken liegen. Im Herbst 2011 fällte der Stadtrat den Maßnahmenbeschluss. Die Stadt soll den Bau der beiden Rückhalteflächen mit den Grundstückseigentümern abstimmen.

Die Verhandlungen mit den Grundbesitzern gestalten sich schwierig

Keine einfache Aufgabe, wie sich herausstellte. "Wenn die Maßnahmen kategorisch abgelehnt werden, ja sogar die Erforderlichkeit angezweifelt wird, macht es das natürlich nicht leicht", ordnete Bauamtsleiter Josef Niedermaier ein.

Für eine schnelle Umsetzbarkeit der Rückhalteflächen sind das keine guten Nachrichten. "An die Flächen wird man dann nur im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens herankommen", erklärt Niedermaier. Das wäre die Vorgehensweise, mit der beispielsweise auch die Grafinger Ostumfahrung geplant worden war. Ein Konstrukt, das Zeit braucht.

Dass sich der Plan mit den Rückhalteflächen damit früher oder später umsetzen lässt, daran zweifelt der Bauamtsleiter nicht: "Es existieren ja keine Alternativmaßnahmen." Planfeststellungsverfahren seien aber streitanfällig. "Umso akribischer muss eine Gemeinde dabei vorgehen."

"Es geht voran, aber es zieht sich"

Genau das ist die Strategie, mit der Grafing beim Hochwasserschutzkonzept unterwegs ist: "Das Thema ist auf dem Schirm, es geht voran, aber es zieht sich", beschrieb die Bürgermeisterin die Situation kürzlich.

Auf der anderen Seite der Gemeinde habe man aber schon erste Erfolge erzielt, berichtete sie. Die Renaturierungsmaßnahmen am Wieshamer Bach, zu denen auch eine kleinere Rückhaltefläche gehört, hätten den Abflussscheitel bei den vergangenen Hochwassern beispielsweise schon um etwa 20 Zentimeter reduziert.

Es wirkt, als würde das ganze Projekt gut zum 100-jährigen Hochwasser passen. Weil es eben beinahe ein Jahrhundertprojekt ist.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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