Spekulationen aus Ebersberg:Dystopisches aus Kanada, Pop aus Japan oder doch Afrika?

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Woher wird wohl der Preisträger oder die Preisträgerin des Literaturnobelpreises stammen? Die "Ebersberger SZ" hat Buchhändler nach ihrer Meinung gefragt

Von Michaela Pelz

Spekulieren ist ein Gesellschaftsspiel. Die meisten Menschen haben einen Tipp, fragt man sie: Welches Team holt sich den DFB-Pokal? Wem gibt der Bachelor die letzte Rose? Oder: Wer bekommt den Oscar? Der gemeinsame Nenner all dieser höchst unterschiedlichen Wettbewerbe: Es gibt eine öffentlich zugängliche Übersicht der Mannschaften, Kandidatinnen oder Filme auf der Shortlist. Nicht so beim Literaturnobelpreis. Welche Vorschläge überhaupt für die seit 1901 mit wenigen Ausnahmen jährlich vergebene Auszeichnung zur Wahl stehen, bleibt ebenso 50 Jahre lang unter Verschluss wie die fünf Finalisten, deren jeweiliges Gesamtwerk die 18-köpfige Akademie im Sommer prüft, bevor dann im Herbst der Gewinner oder die Gewinnerin verkündet wird. Wo auf der Welt am Donnerstag, 8. Oktober, 2020 um 13 Uhr MEZ die Korken knallen werden, ist also noch völlig offen. Die Süddeutsche Zeitung in Ebersberg hat daher mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern aus der Region gesprochen und sie nach ihrer Einschätzung gefragt - und nach der Relevanz des Literaturnobelpreises.

Margot Bartl von AP-Buch in Vaterstetten etwa ist sich sicher, dass die Querelen der vergangenen Jahre dem Preis geschadet haben. Auch wirke er sich auf den Umsatz nur dann aus, wenn bekannte Personen ihn verliehen bekämen. Selbst ein prominenter Name sei kein Garant - Peter Handke habe deswegen längst nicht mehr Bücher verkauft als sonst. Und an die Preisträgerin 2018, Olga Tokarczuk, hätten sich "die wenigsten Leser drangewagt". Sebastian Otter von der gleichnamigen Buchhandlung in Ebersberg wiederum bezeichnet gerade die Auszeichnung dieser, bis dato eher unbekannten, Autorin als "Idealfall" für den Buchhandel: So hätten viele Menschen die Chance gehabt, deren "tolle, gut lesbare Bücher" zu entdecken. Eher nur für das Genre sei interessant, wenn ein sonst wenig in der Öffentlichkeit stehender Dramatiker oder Lyriker den Preis bekomme. Generell misst Otter der Preisvergabe eindeutig eine politische Komponente zu: Nicht unbedingt richte sie sich danach, wer die Auszeichnung wirklich verdient habe.

Wer wird wohl am Donnerstag die Korken knallen lassen? Die Buchhändler im Landkreis kennen viele potenzielle Kandidaten für den diesjährigen Literaturnobelpreis: die Kanadierin Margaret Atwood zum Beispiel. (Foto: Arthur Mola/picture alliance/dpa)

Ähnlich sieht es Catherina Slawik von der Bücherstube in Grafing. Sie sagt: "Manchmal wird das Ganze nicht dem Anspruch an einen Nobelpreis gerecht, stattdessen hat man das Gefühl, dass jemand "dran" war." Trotzdem findet sie lobende Worte für die in ihren Augen wichtige Institution. "Das Lesen wird so wieder ins Bewusstsein gerückt. Außerdem profitieren alle von den mit dem Preis verbundenen Diskussionen", so Slawik. In der Tat zeichneten sich die prämierten Autorinnen und Autoren oft durch ihr Aufgreifen aktueller Strömungen aus, meint Margot Bartl. Für 2020 denke sie dabei spontan an "Rassismus" und "Me Too". Daher glaubt sie, eine "farbige, weibliche Stimme" könnte den Preis bekommen. Genauer will sie sich aber nicht festlegen - "gönnen würde ich ihn vielen".

Auf die Fragen, wer den Preis wohl bekommen wird und wer ihn verdient hätte, nennt Catherina Slawik hingegen nur einen einzigen Namen: Margaret Atwood. Nicht nur sei die 80-Jährige vom Können, aber auch von der Abdeckung der behandelten Themen sehr breit aufgestellt. Nein, sie habe immer schon "ein Gespür dafür gehabt, was kommt" - sei es in "Der Report der Magd" (1985) oder "Oryx und Crake." (2003). Eine Auszeichnung der Kanadierin käme also sicher nicht völlig überraschend.

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(Foto: Jordi Bedmar/dpa)

Potenzielle Kandidaten sind auch Haruki Murakami aus Japan,...

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(Foto: imago)

...die Amerikanerin Siri Hustvedt...

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(Foto: Alejandro Garcia/imago)

...oder Ngũgĩ wa Thiong'o aus Kenia.

Dasselbe gilt für Sebastian Otters Tipp: "Haruki Murakami hat ihn immer noch nicht, oder?", fragt er lachend. Allerdings unterscheiden sich bei dem Ebersberger Literaturexperten Spekulation und Wunschdenken deutlich: Sein Favorit ist, "wie seit Jahren!", Ngũgĩ wa Thiong'o, ein 82-jähriger Kenianer, der seit 1982 im Exil lebt; erst in Großbritannien, nun in den USA. "In unseren Medien wird Schwarzafrika fast ausschließlich als Problem wahrgenommen, dabei gibt es auch dort Kunst und Literatur." Das müsse viel deutlicher werden, so Otter. "Ich finde es einfach toll, wenn uns ein Autor einen anderen Blick auf seinen Kontinent vermitteln kann und das auch noch mit wunderbaren, dramaturgischen Spannungsbögen."

Auch Björn Hartung, ab November Otters Nachfolger, nennt diverse Namen. "Ich tippe auf Siri Hustvedt, in meinen Augen Forscherin, Philosophin und Schriftstellerin zugleich." Wünschen wiederum würde er den Preis Ottessa Moshfegh, "weil sie ihre Charaktere stark und intensiv zu zeichnen weiß und ein gutes Auge für die Gesellschaft und deren Randbereiche hat." Als noch nicht 40-Jährige sei sie aber natürlich noch zu jung, wobei er ihr zutraue, das hohe erzählerische Niveau auch noch über Jahre zu halten. Altersmäßig besser in die Riege der potenziellen Kandidaten passen seine beiden anderen Wunsch-Nominees: James Lee Burke und Castle Freeman. Beide setzen Hartungs Meinung nach "literarisch für das Krimigenre neue Maßstäbe".

Beim Literaturnobelpreis kann man aktuell also noch mitraten. Was künftige Fußball-Champions anbetrifft, ist das momentan eher, nun ja ... nicht so spannend.

© SZ vom 07.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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