Projekt "Spots" im Alten Kino:Der Rucksack muss draußen bleiben

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Ein Bild, das so jeden Tag zu sehen ist. Doch was, wenn Jugendliche nicht einfach mit ihrem Rucksack hingehen können, wo sie möchten? (Foto: Michael Gstettenbauer/Imago Images)

Eine achte Klasse der Mittelschule Ebersberg diskutiert anhand von Kurzfilmen über Diskriminierung. Schnell wird klar: Trotz ihres jungen Alters haben viele schon Erfahrungen mit Ausgrenzung gemacht.

Von Moritz Rosen, Ebersberg

Eine eigentlich alltägliche Szene: Eine Gruppe Jugendlicher geht nachmittags zusammen einkaufen. Doch bevor die Jungs und Mädchen den Supermarkt betreten, legen alle ihre Rucksäcke irgendwo davor ab. Eine Person bleibt draußen und passt auf, dass nichts wegkommt. Aber was soll das Ganze?

Die Erklärung ist so einfach wie traurig: Aus Erfahrung wissen die Heranwachsenden, dass ihnen, wenn sie den Laden mit ihren Taschen betreten, Diebstahl unterstellt wird. Jedenfalls wurden sie in der Vergangenheit schon sehr oft kontrolliert. Deswegen sind sie irgendwann dazu übergegangen, die Rucksäcke gleich draußen stehen zu lassen. Die Jugendlichen passen sich also den Vorurteilen ihnen selbst gegenüber an - eine einfache Lösung.

Doch ist das wirklich richtig so? Oder sollten nicht besser die Verantwortlichen einmal mit ihrem Schubladendenken konfrontiert werden? Um Fragen wie diese geht es an diesem Vormittag in einem Stuhlkreis im Ebersberger Alten Kino. Denn dort diskutiert eine achte Klasse der Mittelschule anhand ausgewählter Kurzfilme über Ausgrenzung - wobei auch immer wieder sehr persönliche Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler zur Sprache kommen.

Die Kurzfilme kommen trotz des schweren Themas gut bei den Schülern an

Der diskriminierungskritische Workshop ist Teil des bundesweiten Projekts "Spots" der Deutschen Filmakademie. Jugendlichen zwischen 15 und 21 Jahren soll es sowohl Filmbildung als auch Antidiskriminierung nähergebringen. Nachdem eine Klasse des Gymnasiums Grafing bereits zwei Kurzfilme gedreht hat, dürfen die Mittelschüler nun zum Thema passende Kurzfilme anschauen, diskutieren und anschließend kuratieren. Im Oktober findet nämlich zum Abschluss des Projekts in Ebersberg ein großes Kinofest statt, bei dem die beiden selbst gedrehten sowie auch die ausgewählten Filme gezeigt werden.

Referentin Dorsa Amirpur erklärt den aufmerksam zuhörenden Jugendlichen zunächst anhand von Beispielen, welche Diskriminierungsformen es gibt - wegen Geschlecht oder Aussehen zum Beispiel - und auf welche Weisen Menschen ausgegrenzt werden. Im Anschluss schaut die Gruppe mehrere Kurzfilme, die trotz des schweren Themas allesamt gut ankommen: Nach jedem wird laut applaudiert. In den Filmen geht es um ganz alltägliche Szenen der Diskriminierung. Allerdings wird dabei nicht nur der Vorfall an sich gezeigt, im Mittelpunkt steht vor allem das Gefühlsleben des jeweiligen Opfers.

Im Alten Kino in Ebersberg diskutiert eine achte Klasse der Mittelschule anhand verschiedener Kurzfilme und unter der Anleitung von Dorsa Amirpur über Diskriminierung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Kennt ihr überhaupt Filme mit Schwarzen Hauptdarsteller*innen?", fragt Amirpur - doch den Schülerinnen und Schülern fallen gleich ein paar ein: "Pulp Fiction" oder "Creed", viele rufen: "Black Panther". Allerdings, betont die Referentin, sei es wichtig, immer die Sicht der Betroffenen zu zeigen, was im Filmbusiness aber oft nicht so geschehe. "In vielen Filme wie ,The Green Mile' sind die Charaktere, die Diskriminierung erfahren, nur Nebenfiguren - während die weißen Hauptcharaktere, in diesem Fall Tom Hanks, als Retter inszeniert werden." Daher habe sie für den Workshop extra Filme ausgewählt, die die Leidtragenden in den Vordergrund stellten.

Die Jugendlichen lassen sich jedoch nicht nur informieren, sondern debattieren ganz engagiert wie reflektiert mit. "Vielleicht meinen es manche Leute gar nicht böse, sind aber trotzdem diskriminierend", wendet eine Schülerin ein, ein anderer Junge scheint bereits resigniert zu haben. Er sagt: "Das ist Alltagsrassismus, das muss man akzeptieren, da kann man leider nichts dagegen machen." Zwar erntet dieses Statement durchaus Widerspruch aus den Reihen der Klasse, doch die Diskussion bleibt die ganze Zeit sachlich und ernst.

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Am meisten Redebedarf gibt es nach einem schwedischen Film. Er erzählt von einer Frau, die in einem Supermarkt einkaufen möchte, dabei jedoch stets von einer Verkäuferin verfolgt wird, die ihr offenbar aufgrund ihres Aussehens Diebstahl unterstellt. Als die Kundin die Verkäuferin mit diesem Verdacht konfrontiert, bricht ein Streit aus. Am Ende verlässt die Frau das Geschäft, ohne eingekauft zu haben.

Anschließend berichten viele der Jugendlichen von ähnlichen Erlebnissen aus ihrem eigenen Leben: Oft würden sie beim Einkaufen aufgefordert, ihre Taschen zu öffnen. "Meiner Mama geht es genauso", sagt eine Schülerin. Ein Junge erzählt, dass er mal als Einziger einer Gruppe kontrolliert worden sei - vermutlich wegen seiner Hautfarbe. Genau aus diesen Erfahrungen heraus sind die Jugendlichen dazu übergegangen, immer eine Person mit den Rucksäcken draußen stehenzulassen.

Die Lehrerin ist ganz erstaunt über die Offenheit ihrer Schülerinnen und Schüler

"Ihr dürft selber entscheiden, wie ihr mit solchen Vorfällen umgeht", sagt daraufhin Amirpur. "Aber gerade wenn euer Denken und Handeln durch die Vorurteile anderer euch gegenüber beeinflusst wird, ist es wichtig, nicht alles zu akzeptieren." Die Klasse hört ihr durchgehend aufmerksam zu, niemand redet mit seinem Nachbarn.

Von vielen dieser Erfahrungen höre sie heute zum ersten Mal, obwohl die Klasse ein enges Verhältnis pflege, sagt Lehrerin Doro Görlitz. Wahrscheinlich mache es eben einen Unterschied, wer genau da vor den Jugendlichen stünde, erklärt Amirpur. "Bei mir können sich die Schüler vermutlich gut vorstellen, dass ich selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht habe, deswegen fällt es ihnen wahrscheinlich leichter, sich zu öffnen."

Die Workshopleitung Dorsa Amirpur regt die Klasse zum Nachdenken und Diskutieren ein und berichtet auch von eigenen Erfahrungen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zuletzt wird ein Film über einen Jungen in Lateinamerika gezeigt. Er tanz sehr gerne, muss aber auch schon im Geschäft seines Onkels aushelfen. Die Mutter findet sein Hobby "unmännlich" und will es ihm verbieten, am Ende setzt sich der Junge aber über sie hinweg. "Denkt ihr, er hat richtig gehandelt?", fragt Amirpur. Die Meinungen sind gespalten: Viele der Jugendlichen finden es gut, dass der Junge tanzt - doch seien die Unterstützung seiner Familie und seine Zukunft auch sehr wichtig. Ein Schüler erzählt: "Früher dachte ich, alle Jungs müssen Fußballspielen. Aber mittlerweile finde ich, alle sollen machen, was sie wollen." Viele seiner Klassenkameraden nicken. Vielleicht haben sie auch heute den ein oder anderen neuen Gedanken mitgenommen.

Das "Spots"-Kinofest findet statt am Donnerstag, 26.Oktober, um 20 Uhr im Alten Kino in Ebersberg. Zu sehen sind mehrere diskriminierungskritische Kurzfilme, es moderieren die Schülerinnen und Schüler. Der Eintritt ist frei.

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