30 Jahre Altes Kino:Im Mahlstrom von Aberwitz und Groteske

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Autor und Kabarettist Alexander Liegl hat nicht nur die Rahmenhandlung ersonnen, sondern ist auch als Darsteller mit von der Partie. Unter anderem als Kapitän Ahab. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit voller Kraft rauscht die "MS Old Cinema" bei der Jubiläums-Revue durchs stürmische Meer der hohen Kabarett-Kunst. An diesem Samstag wird ein letztes Mal gespielt.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Nein, es sind nicht die Chaoten, Narren und Verirrten, die den Kahn zum Sinken bringen. Es sind vielmehr die Rechthaber, Prinzipienreiter und Erbsenzähler, an deren Sturschädel auch das beste Schiff zerschellt. Diese Moral von der Geschicht' wird der Jubiläums-Revue zum 30-jährigen Bestehen des Alten Kinos noch nachhängen, wenn die "MS Old Cinema" dereinst längst an den ewigen Gestaden vor sich hin rostet, aber der Geist des Ebersberger Kleinkunst-Tempels und seiner Epigonen weiter munter durchs kollektive Gedächtnis der Kabarettszene irrlichtert wie der "Fliegende Holländer" durch die Opernwelt. In einem dicht gepacktem Bordprogramm, zwischen herzzerreißend und unglaublich, zwischen abgrundtief und bodenlos, zwischen verspielt und kokett hat das Ensemble der üblichen Ebersberger Esprit-Verdächtigen bei der Premiere alles gegeben, um in der Applaus-Flut zu surfen, auf den Wellen der Begeisterung zu schwimmen, sich in der Brandung des Beifalls zu suhlen...

Ja, Glückwunsch zu der Idee, das Jubiläum in maritimes Umfeld zu verlegen: Das liefert unendliche Möglichkeiten, aus den Tiefen der Gag-Ozeane zu schöpfen und in ein Meer von Anspielungen einzutauchen. Die "MS Old Cinema" ist genau deshalb eines dieser seltenen Stücke, bei denen man gern schon während der Entstehung dabei gewesen wäre. Woher kam zum Beispiel der Einfall, den Alt-Bürgermeister in Mundart aus der Ortsgeschichte vorlesen zu lassen? Oder wie viele TV-Show-Zauberer musste sich das Ebersberger Magie-Duo ansehen, um eine derart hingebungsvolle Parodie zu entwickeln, dass wir Bezauberten uns kringeln werden, wenn uns derlei wieder mal am Bildschirm begegnet?

Absurditäten auf hoher See: vier Kapitäne und "wir sind die Matrosen in den kurzen Hosen". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die bunt aufeinander folgenden Szenen sprühen von einer Spiellaune, wie sie kein vorgegebenes Textbuch hergibt. Es sind Dialoge und Aktionen, die im freien, wilden Tanz um eine Idee kreisen und immer neue Varianten ergeben, Hauptsache "Schiff". Das spricht für eine erstaunliche innere Kraft des Ensembles, das sich diese Aufführung umständehalber in nur wenigen Proben erarbeitet hat. Saint-Exupéry bewahrheitet sich: "Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer." Der hohe Frauenanteil auf der "MS Old Cinema" zeigt indes glaubwürdig, dass dieser Gedanke die klassische Rollenverteilung längst hinter sich gelassen hat.

Eine Beobachtung, die direkt in den Maschinenraum des Dampfers führt. Wie es sich für aktuelles Kabarett gehört, spießt das Ensemble laufende Diskussionen auf, auch jene ums Gendern. Genretypisch wird hier mal mit Kantscheiten geklopft und mal mit dem Florett gefochten. Da gibt es zum einen den eher albernen Ansatz, ein fiktives TV-Nachrichten-Duo sich immer mehr zwischen "Sehenden und Seherinnen" verhaspeln zu lassen, wofür leichtes Kichern eine angemessene Reaktion des Publikums ist. Viel tiefer geht hingegen eine andere Attacke, die Benamung des Ortes, an dem die MS Old Cinema havariert: Indem aus "dem" Klostersee eine "die" wird, wandelt sich ein stiller, übersichtlicher "maskuliner" See in einen alles verschlingenden, unergründlichen "femininen" Ozean. Derlei versteckte sprachliche Schätze sind auf der Piratenkarte des Abends in bester Valtorta-Tradition reichlich versteckt. Weshalb die Ankündigung am Tisch "Das sehen wir uns morgen nochmal an" mehr als berechtigt ist. Zumal sich dann die Auseinandersetzung fortführen lässt, ob es "gemahlt" oder "gemahlen" heißt in diesem Mahlstrom von Aberwitz und Groteske.

Ran an die Nudeln: Auch Aerobic gehört zu einem ordentlichen Bordprogramm, Babsi Lux gibt dabei das Leader-Girl. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wobei "sehen" ein wichtiges Stichwort ist, denn die Tanzeinlagen sind von überraschend hoher Kreativität und Lebendigkeit. Die drei Matrosen lassen sich genauso als Spiel mit erotischen Klischees wie auch als Nordlichter-Parodie der Holzhackerbuam verstehen. Von mitreißendem Charme und blendenden Popfarben geprägt ist das Ballett zum Abba-Hit "S.O.S" oder der zwitscherhaft berührende Auftritt der "Singenden Sittiche" oder die kraftvoll-muntere Interpretation des "Wellermen"-Ohrwurms. In der Summe entsteht eine dynamische Abfolge von Nummern, wie sie eine erstklassige Revue auszeichnet, wobei der thematische Rahmen konsequent durchgespielt wird. Kompromisslos genug, um selbst abgehobene Diskussionen über "aggressive Lyrik" ins Bordgeschehen zu integrieren. Die dort erörterten "Kellner" werden manche im Publikum noch ein Leben lang verfolgen.

Ebenso souverän wie eindringlich servierte "Hirntratzerl" wie die Wortstolpereien des Kapitän Ahab oder die Spitzfindigkeiten des Schiffspsychologen sind das Salz in der Suppe beim "Captain's Dinner". Sie zergehen auf der Zunge, während sie gleichzeitig die Sensoren des Publikums bis zu den Grenzen des differenzierten Denkens ausreizen. Ein wahres Qualitätsmerkmal von Kabarett sind sie, diese subkutanen, spät zündenden Geschmacksperlen, mal scharf, mal hintergründig gefüllt mit Sprache und Satzbau: "Was hat der gerade gesagt? Echt? Also wirklich..."

Reminiszenz an die "Valtorta"-Vergangenheit: Gründungsmitglieder Martin Pölcher, Marleen Reichert und Alexander Liegl mit der "Bernbeck"-Nummer. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Volle Kraft voraus" hat die MS Old Cinema die Klostersee durchkreuzt, ohne Rücksicht auf querende Eisbären und Wildsauen, begleitet von einer fünfköpfigen Bordkapelle im aufwühlenden "Nearer my riff to you"-Modus. Da können sie vom "Traumschiff" noch endlos Folgen drehen, um auch nur annährend das Spektrum abzuschippern, das sich hier in Ebersberg aufspannte. Die Stimmung an Bord fasste einer von drei ollen Seebären in einem Satz für die Geschichtsbücher zusammen: "Wer sich nicht erinnern kann an die alten Zeiten im Alten Kino, der war nicht dabei." Beim Klabauter, so ist das.

Jubiläum Altes Kino: "Das Boot - Schicksalsstunden der MS Old Cinema" an diesem Samstag, um 20.30 Uhr, Tickets und Infos unter www.kultur-in-ebersberg.de , ab circa 22 Uhr Geburtstagsfeier bei freiem Eintritt.

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