Vorpremiere in Ebersberg:Wenn die Kühe nicht zurückwinken

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Noch spielt Alfred Dorfer ein paar weitere Vorpremieren, bevor am Donnerstag, 29. Februar, die Premiere im Münchner "Lustspielhaus" sowie weitere Spieltermine dort folgen. (Foto: Christian Endt)

Bei der Vorpremiere seines neuen Programms "Gleich" im Ebersberger "Alten Kino" erweist sich der Wiener Alfred Dorfer als geistreicher Kulturkritiker mit scharfem Florett - und erklärt, wie sich die Botschaft eines Zauns als Zeichen von Eigentum verändert hat.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Wie er den Titel seines Programms meint, überlässt Alfred Dorfer geschickt der Interpretation des Publikums. Ist es das elterliche "Gleich!" zur Beruhigung ungeduldiger Kinder? Oder das zeitverzögernde "Gleich!" beim Annehmen einer ungeliebten Aufgabe? Ist es das "Gleich" des menschenrechtlich verfassten Individuums - im Guten wie im Schlechten - oder ist es die mathematisch definierte Identität auf beiden Seiten des Gleich-Zeichens? Nur an einer Stelle in seinem Programm greift er kurz den Begriff auf, um gleich (!) danach wieder das Spotlight seiner Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, mithin eine weitere Option der Wortbedeutung ins Spiel zu bringen, das "Gleich passiert wieder etwas".

Andere könnten bei einem solchen sprachlichen wie intellektuellen Balanceakt ins Straucheln kommen, nicht aber Dorfer, der, höchst respektabel für eine Vorpremiere, diszipliniert und bis ins My souverän seine Rolle und die Bühne beherrscht. Eine Plattform, auf der außer ihm, einem Stuhl, einem eingesargten Rollkoffer und dem Mikrofon nur das Licht mitspielt - das aber in der Qualität eines cineastischen Soundtracks. Wie die beiden namenlosen und im Dunkeln agierenden Könner am Mischpult die Schatten, die Verläufe, die Irrlichter und die Strahler in den Dialog mit dem Kabarettisten treten lassen, macht sie zu Gleichen in Kunst und Kommunikation, unsichtbar, unhörbar, aber von elementarer Wirkung.

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Das Spiel mit dem Licht einerseits, die Sekunden-Tänze des Kabarettisten mit Sprache und Gedanken andererseits - sie bescheren dem zweistündigen Programm das Tempo und die Dynamik jenes Mediums, das Dorfer bitterböse attackiert: die Videos auf Tiktok oder Instagram, die einander - da, schon wieder - "gleichen" bis zur ermüdenden Verwechselbarkeit, einen Fingerstrich entfernt vom sofortigen Vergessen. Es sind schnelle Wechsel zwischen Sprachanalyse, Gesellschaftskritik und Spiegelschau, auf die man sich einlassen muss, um sie nicht nur schlucken, sondern auch verdauen zu können. Der Kabarettist geht das Wagnis ein, sein Publikum bei Tempo und Menge des Gebotenen zu adressieren; aber damit kann er die durchtrainierten Kleinkunst-Fans in Ebersberg nicht schrecken. Wer mit "Gruppo di Valtorta" sozialisiert wurde, scheut solche Herausforderung nicht. Im Gegenteil: Im Verlauf des Abends verbündet sich das voll besetzte Haus mit dem Künstler zu einer wohlausgewogenen Gleichung des Gebens und Nehmens zum beidseitigen Nutzen und Frommen.

Das ist der angemessene Umgang mit dem Programm, in dem Dorfer auf Dorfer auf Dorfer folgt, dem einen so ungleich wie dem anderen in seiner zutiefst menschlichen und von technischen Gimmicks befreiten Präsenz, ein Jongleur, in dessen Händen die Gedanken schneller wechseln als die Vorurteile, mit denen man ihnen gern virtuell und tastaturdistanziert entgegenträte. Er lässt uns nicht aus, die wir es uns bei Aperol Spritz und Sachertorte an den Tischen im Alten Kino bequem gemacht und uns auf einen heiteren Abend eingestellt haben: Gleich habe ich Euch! Und wenn es ein Kalauer ist, über den unsere Urgroßeltern schon bei der Lektüre der "Gartenlaube" gekichert haben: Gerade, weil es nicht gleich(gültig) ist, wer ihn wie vorträgt, erntet Dorfer an diesem Samstagabend schallendes Gelächter dafür.

Dorfer widerstrebt die Position nach dem Prinzip "Früher war alles besser" - zu angreifbar

Wogegen der Kabarettist nicht müde wird, Attacken zu reiten, ist der gegenwärtige Umgang mit Sprache, den er zwischen "ignorant", "gedankenlos" und "liderlich" verortet. Die heftigsten Angriffe muss die, wie er sie nennt, "gleichgeschaltete Sprache der Verblödungsplattformen" in der Online-Welt einstecken. Dabei lässt er sich nicht auf die angreifbare Position des "Früher war alles besser" zurückdrängen, begibt sich auch nicht in einen amüsanten Kampf gegen digitale Windmühlen, sondern zerlegt mit dem feingeschliffenen Florett und klugen Schnitten die Beweggründe von gedanklicher Bequemlichkeit und kommunikativer Wurschtigkeit derer, die meinen, sie müssten halt gleich online erwidern, was ihnen andere gleich mal schnell haben zukommen lassen. Oder worüber sie sich gleich mal so richtig aufregen müssen, was ihnen an Erregungsnahrung über beliebige Kanäle zugespült wird. In der Kloake von Hass, Gier und Menschenverachtung sind alle gleich, nicht als Opfer, sondern als willig Unachtsame, die sich nur gelegentlich dicke Moral-Schminke ins Gesicht schmieren.

Den Atem stocken lassen im schnellen Ablauf der Wortwitze und Gedankenspiele die Momente, in denen Dorfer an das anknüpft, wofür ihn jene schätzen, die schon frühere Programme genossen haben: Die Konfrontation mit umgedrehten Vorzeichen, die unsere Zeit scheinbar klag- und widerstandslos hinnimmt - oder gar forciert. Wo nur noch gleich erscheint, was tatsächlich längst ungleich ist. Das Signal für Eigentum zum Beispiel: Früher habe man einen Zaun gezogen, um zu zeigen: Das gehört mir! Heute sei die Botschaft: Das gehört Dir nicht! Oder das irritierende Verständnis einer Ruhezone im Bahnabteil, die einem endlich das vom Außenlärm ungetrübte Vergnügen gewähre, Led Zeppelin zu lauschen. Oder die CO₂-Kompensation, bei der niemand mehr an mittelalterlichen Ablasshandel denkt, sondern ans klimapolitische Seelenheil.

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Vielleicht erscheint einem darum die vorletzte Szene des Abends auch so verwirrend, als sich in der bläulich flirrenden Atmosphäre im Übergang vom Leben in den Tod alle Gewissheiten auflösen, alle Kommunikation ins Nichts mündet, alles gleich unbegreifbar wird. Dorfer konfrontiert sein Publikum unvorbereitet mit diesem Einstieg in die letzten Unsicherheiten, in die innere wie äußere Verlorenheit. Gleichwohl gibt er den vom Stilbruch Verwirrten einen unaufdringlichen Rat mit auf den Weg, wie sie sich aus ihrer Gefangenheit befreien können. Er erzählt die Geschichte von dem Kind, das aus dem Flugzeug den Kühen unten am Boden zuwinkt und sich wundert, warum diese nicht zurückwinken. Er fügt dann hinzu, wie die Eltern in kreativer Fürsorge antworten, die Kühe bräuchten alle Beine, damit sie beim Fressen nicht umfallen. Ein Glucksen im Publikum verrät die neidvolle Bewunderung für solche Schlagfertigkeit - und der abschließende, stürmische Applaus, wie sehr es Alfred Dorfer für seine Antwort auf die Ungleichheiten dieser Welt schätzt.

Das neue Programm von Alfred Dorfer "Gleich" feiert Premiere am Donnerstag, 29. Februar, im Münchner "Lustpielhaus". Weitere Termine unter www.dorfer.at .

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