Ausstellung:Ein Leben im Schatten des Vaters

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Ernst Mach war ein berühmter Wissenschaftler, Sohn Ludwig nur mäßig begabt. Nach dem Schlaganfall des Älteren versucht der Sohn, dessen Rolle einzunehmen. 100 Jahre nach Ernst Machs Tod in Vaterstetten widmet das Deutsche Museum beiden eine Ausstellung

Von Jan Schwenkenbecher, München

Labormaterial, stapelweise Bücher, merkwürdige Apparate, ein 20 000 Quadratmeter großer Garten. Als Jürgen und Peter Ohlendorf, damals noch Kinder, Anfang der 50er Jahre nach Vaterstetten zogen, war das Anwesen für sie ein einziger Abenteuerspielplatz. Doch nach und nach verstanden sie, in welche fremde Welt sie da eingedrungen waren - in die Welt von Ernst Mach.

Der Physiker und Wissenschaftsphilosoph wohnte von 1913 bis zu seinem Tod am 19. Februar 1916 in eben jenem Haus in Vaterstetten. Gemeinsam mit seinem ältesten Sohn Ludwig, der 1951 starb. Den beiden widmet das Deutsche Museum in München nun zum 100. Todesjahr Ernst Machs eine eigene Ausstellung mit dem Titel "Licht und Schatten". Viele der Exponate kommen von den Ohlendorfs, die ins Mach-Haus einzogen, nachdem Ludwig gestorben war. Die Besitztümer der Machs waren dort geblieben, da die zweite Ehefrau Ludwigs, Anna Karma Mach, bis zu ihrem Tod 1983 weiter dort wohnte. Nach ihrem Tod zogen die Ohlendorfs wieder aus und vermachten den Nachlass dem Philosophischen Archiv der Universität Konstanz, von wo er letztlich ins Deutsche Museum kam. Dank weiterer Gaben, vom Institut für Kurzzeitdynamik des Fraunhofer-Instituts in Freiburg und von einem schweizerischen Industriellen, dem Anna Karma Mach die Bibliothek verkauft hatte, besitzt das Museum nun einen großen Bestand Vater und Sohn, Ernst und Ludwig Mach. Mehr als 2500 Briefe, Fotografien, Glasplatten oder Zeichnungen sind da zusammengekommen. Teile davon sind nun in der Ausstellung zu sehen, die jetzt eröffnet wurde. Auch Jürgen und Peter Ohlendorf kamen und überreichten dem Deutschen Museum ihr letztes Andenken: eine Postkarte an Ernst Mach. Von Albert Einstein. Einstein und Mach kannten sich gut, waren befreundet. Sie schrieben sich oft Briefe, Einstein erklärte immer wieder, wie stark ihn die Arbeiten Machs bei der Entwicklung der Relativitätstheorie beeinflusst hatten. So auch in einem Nachruf auf Mach, den Einstein für die Physikalische Zeitschrift verfasste: "Mach hat die schwachen Seiten der klassischen Mechanik klar erkannt und [war] nicht weit davon entfernt, eine allgemeine Relativitätstheorie zu fordern, und dies schon vor fast einem halben Jahrhundert!" Die Postkarte unterzeichnete Einstein, der vielleicht berühmteste Wissenschaftler aller Zeiten, als "verehrender Schüler".

Ludwig Mach wollte den Platz seines berühmten Vaters einnehmen, wie hier vor der Bücherwand in Vaterstetten. (Foto: Deutsches Museum/oh)

Doch auch Ernst Mach war und ist einer der bekanntesten Wissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts. Neben dem Einfluss auf Einstein, ist die Mach-Zahl nach ihm benannt, die angibt, wie schnell sich ein Körper im Verhältnis zum Schall bewegt. Zudem bestätigte er den Doppler-Effekt experimentell und veröffentlichte wissenschaftliche Beiträge über sinnesphysiologische Studien. Zweifelsohne war er eines der hellsten Lichter der Physik.

Der "Schatten" im Ausstellungstitel bezieht sich also eher auf seinen Sohn Ludwig, das älteste von fünf Kindern. Vater und Sohn, das war eine spezielle Beziehung. Ernst Mach, das war der brillante, bedeutende Physiker von Weltruhm, sein Sohn Ludwig, zunächst nicht mehr als das fleißige Helferlein. Er unterstützte seinen Vater, schrieb bei Experimenten Protokoll, notierte Ergebnisse und besorgte und pflegte die Apparate. Die Theorie aber, die Überlegungen, für die war Vater Ernst zuständig. Was man heute über das Verhältnis beider weiß, stammt zu großen Teilen aus ihrem Briefwechsel, einige Exemplare davon liegen im Deutschen Museum aus.

Mit Hilfe seines Vaters Ernst entwickelte Ludwig Mach 1892 das Interferometer zur Wellenmessung (Foto: Jan Schwenkenbecher)

Ludwig begann 1887 in Prag, Medizin zu studieren. Der Vater aber riet ihm in Briefen immer wieder dazu - mal mehr, mal weniger schroff - sich doch in Physik und Mathematik weiterzubilden. Auch daraus, dass er sich vom Sohn eine erfolgreiche Karriere erhoffte, machte er keinen Hehl. Stets forderte er Ludwig auf, doch Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten zu pflegen: "Vielleicht wäre es doch gut", so Ernst in einem Brief vom August 1896, "wenn Du manchmal mit Abbe und nicht bloss mit dem Hund spazieren gehen würdest." Ludwig arbeitete für die Firma Carl Zeiss in Jena, Ernst Abbe war Physiker und im Vorstand der Carl Zeiss Stiftung. Der weltberühmte Ernst Mach schien von seinem Sohn eine ebenbürtige Nachfolge zu erwarten. Auch zeigt die Korrespondenz, wie stark der Vater dem Sohn half. Zu einer wissenschaftlichen Arbeit Ludwigs schrieb er: "Ich habe also in die Arbeit einige Sätze eingefügt, die Schlusssätze formuliert, und habe diese gestern übergeben." Vier Tage später ergänzte er: "Auf der Abhandlung steht nur dein Name."

Ernst Mach war Physiker und Wissenschaftsphilosoph. Nun widmet das Deutsche Museum ihm und seinem Sohn eine Ausstellung. (Foto: Deutsches Museum/oh)

Der Vater unterstützte den Sohn, wo er konnte, Ludwig wiederum versuchte sein Leben lang, dem Anspruch gerecht zu werden und in die großen Fußstapfen zu treten. Aus dem Schatten seines Vaters kam er aber nie heraus. Ein Beispiel: 1886 gelang es Ernst Mach, gemeinsam mit Peter Salcher, erstmals bildlich nachzuweisen, dass sich vor sehr schnell bewegten Körpern die Luft verdichtet. Um den Effekt, den Mach und Salcher vor abgeschossenen Gewehrprojektilen beobachteten, bildlich einzufangen, nutzten sie die Schlierenfotografie - und schrieben Wissenschaftsgeschichte. Ein paar Jahre später nahm sich auch Ludwig des Themas an, wollte den Effekt mit einer anderen Technik noch besser sichtbar machen und entwickelte dazu ein Interferometer. Die Entwicklung gelang 1892 zwar. Allerdings nur durch ständige Ratschläge des Vaters, die er dem Sohn in sein Notizheft kritzelte. Das so entstandene Mach-Zehnder-Interferometer - ein Namens-Hybrid, da der schweizer Physiker Ludwig Zehnder fast zeitgleich einen fast identischen Apparat entwickelt hatte - wurde sehr bekannt. Es wird, technisch modernisiert, noch heute verwendet. Das Original ist gerade ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Doch obwohl es Ludwig war, der das Gerät entwickelte, gab und gibt es noch heute wissenschaftliche Aufsätze oder gar Lehrbücher, die die Erfindung dem Vater zuschreiben - Mach? Das kann ja nur der Ernst sein.

Der Wissenschaftler Ernst Mach wurde sogar von Albert Einstein geschätzt, wie diese Postkarte zeigt. (Foto: Deutsches Museum/oh)

Dann änderte sich das Abhängigkeitsverhältnis aber plötzlich. 1898, Ernst war gerade von Wien nach Prag gekommen, um Ludwig zu besuchen, erlitt der Vater einen Schlaganfall. Fortan war er halbseitig gelähmt, schrieb nur noch mit links, Briefe gar nur mit der Schreibmaschine. Wissenschaftlich arbeiten konnte er lediglich mit der Hilfe anderer, die die von ihm ausgedachten Versuche aufbauten und umsetzten. Eine Zeit lang blieb er dennoch in Wien, 1913 zog er dann zu Ludwig nach Vaterstetten. Dieser ließ bereits 1911 das Haus bauen - schon damals mit der Absicht, sich besser um seinen Vater kümmern zu können. Tatsächlich arbeiteten die beiden dort zunächst gut zusammen. Ernst dachte, Ludwig machte. Doch mit der Zeit kippte die Beziehung. Der deutsche Philosoph Gereon Wolters, der ein Buch und mehrere Aufsätze über das Leben der Machs verfasste, schreibt in einem wissenschaftlichen Beitrag für die Museumsausstellung, dass es zu einer Art Entmündigung des Vaters durch den Sohn gekommen sei. "Ludwig Mach entwickelte sich in den Vaterstettener Jahren", so Wolters, "immer mehr zum Sprecher, Sachwalter und selbst ernannten Erben seines Vaters." Der Sohn habe Briefe geöffnet und zensiert und dem Vater bald ein Jahr lang verschwiegen, dass der Erste Weltkrieg begonnen hatte. Auch veröffentlichte der Sohn 1915 das Buch "Kultur und Mechanik" unter dem Namen seines Vaters, Idee und Text stammten wohl aber von Ludwig, so Wolters - eventuell aus Vermarktungsgründen.

Der Höhepunkt dieses plagiativen Verwirrspiels ereignete sich allerdings erst nach dem Tod Ernst Machs. 1921 veröffentlichte Ludwig das Werk seines Vaters "Prinzipien der physikalischen Optik". Das hatte Ernst selbst verfasst, allerdings hatte Ludwig das Buch wohl um ein Vorwort ergänzt, das er aber als das seines Vaters ausgab und das sehr negativ gegenüber der Relativitätstheorie ausfiel. Dieser stand Ernst Mach allerdings - so belegen es sämtliche Aufzeichnungen, Briefe und Arbeiten - stets positiv gegenüber. Wolters beschrieb den vermutlichen Schwindel in seinem Buch "Mach I, Mach II, Einstein und die Relativitätstheorie". Es habe sich um einen taktischen Zug Ludwigs gehandelt, so Wolters, da es zur damaligen Zeit eine Lobby gegen die Relativitätstheorie gab. Dort erwarb der Sohn in den folgenden zwei Jahrzehnten regelmäßig Geld für Versuche. Zwar hatte Ludwig Mach zwischenzeitlich mit dem Patent für eine Magnesium-Aluminium-Legierung mit dem Namen "Magnalium" - die Idee dazu stammte laut Wolters auch vom Vater - viel Geld verdient. Ludwig habe das schnelle Geld allerdings genauso schnell verloren. Wie das geschah, dazu gibt es viele Theorien. Einer davon zufolge sei der Sohn kokainabhängig gewesen - ein teures Hobby.

Nach dem Tod des Vaters widmete Ludwig sein Leben Experimenten, die die Relativitätstheorie widerlegen sollten. Dabei soll er mitunter tagelang im Labor verschwunden gewesen sein und habe sich das Essen von Anna Karma Mach durch eine Luke reichen lassen. Er scheiterte. Sein Leben lang war er dem Vater gefolgt, erreicht hat er ihn nie. 1951 starb er. Einer Legende nach soll er verfügt haben, dass seine Asche in den Grabstein seines Vaters auf dem Nordfriedhof eingesetzt wurde.

Zur Ausstellung im Vorraum der Bibliothek des Deutschen Museums gibt es einen Begleitkatalog von Wilhelm Füßl / Johannes-Geert Hagmann (Hrsg.): "Licht und Schatten. Ernst Mach | Ludwig Mach". München: Deutsches Museum, 2017 (136 Seiten). Die Ausstellung dauert bis 19. März.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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