Eine schmale Treppe und ein langer Flur führen in das Reich von Rebecca Winhart: Der Kellerboden ist mit bunten Teppichen ausgelegt, das Souterrain-Fenster mit einem gemusterten Stoff abgehängt, eine Lichterkette schlängelt sich durch den Raum. Das Gemäuer ist von großen Graffiti überzogen, in Kunstwerke verwandelte Holzbretter und Leinwände lehnen an den Wänden. Was früher dem Großvater als Werkstatt diente, ist heute Schaffensort der 26-jährigen Künstlerin. Hier scheint die Zeit stehen zu bleiben, die Außenwelt samt Geräuschen wird absorbiert; es ist nichts zu hören außer dem Ticken eines silbernen Weckers. "Ich bin gerne hier unten", sagt Winhart, "vor allem im Winter". Hier stört sie niemand, wenn sie zu Pinsel oder Spraydose greift, wenn sie sich in ein Kunstwerk vertieft. In den wärmeren Monaten arbeitet Winhart lieber im Garten, legt ihre Bretter ins Gras, stellt die Staffelei auf die Wiese.
Das jüngste Bild ist erst einige Tage alt: Auf einer Leinwand ist, teils gesprayt, teils mit Acryl gemalt, eine Ballerina in Schwarz-Weiß zu sehen; sie tanzt und streckt dabei grazil ein Bein in die Höhe. Um sie herum baumeln Schnüre von der Decke herab. "Im ersten Moment mag sie an eine Marionette erinnern", sagt Winhart, "aber wenn man genau hinsieht, merkt man: Sie bewegt sich frei." Der Kopf der Tänzerin ist abgewandt, sie schaut zum Licht. Freiheit, Unabhängigkeit, das innere Ablassen von sozialen Zwängen - dieses Thema beschäftigt Winhart, und es erzählt auch etwas über ihre Art, das Leben zu begreifen. "Man sollte sich zu nichts zwingen, was einem keinen Spaß macht", sagt sie. Deshalb hat sie auch den Masterstudiengang abgebrochen, der ihr nichts gegeben hat. Und durch dieses Trial-and-Error-Prinzip ist sie auch zum Malen gekommen.
Klavierspielen, Tanzen, das hat Rebecca Winhart alles durch, "doch da war nichts dabei, wo ich mich kreativ ausleben konnte." Vor zehn Jahren hat sie dann die Kunst für sich entdeckt. Zuerst versuchte sie sich an Zeichnungen, dann wandte sie sich immer mehr der Malerei zu, dem Abstrakten. Die einzige Schule, durch die sie künstlerisch gegangen ist, war der Leistungskurs Kunst; alles andere hat sie sich selbst beigebracht. "Ich halte nicht viel von Kursen", sagt die Forstinningerin.
Wenn Rebecca Winhart arbeitet, ist da zuerst eine Idee, dann beginnt die Suche nach dem Motiv. So war es etwa auch mit ihrer Serie von Porträts auf Holz. Ein Schreiner löste seine Werkstatt auf, Winhart ergatterte eine Reihe unbearbeiteter Bretter. Sie beließ sie in ihrer Natürlichkeit und zauberte mit Acryl- und Ölfarben Porträts afrikanischer Frauen darauf. Manche von ihnen lächelten rätselhaft, einer Mona Lisa gleich, andere lassen ihren offenen und wachen Blick auf dem Betrachter ruhen. Sie alle haben eine Geschichte hinter sich, die ihnen bisweilen alles genommen hat - doch niemals ihre Würde. Der hölzerne Untergrund bringt eine zusätzliche, unkontrollierbare Dynamik in die Gesichter, Furchen, Verästelungen, Glattheit.
Das Thema Flucht und Menschenrechte beschäftigt die junge Künstlerin auch beruflicht: Sie arbeitet als Sozialpädagogin in einem Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge, ein Job, den sie liebt. Mit den Jugendlichen, die sie betreut, startet sie auch manchmal Kunstprojekte, lässt die jungen Flüchtlinge etwa Bilder von sich und ihrem Lebensweg zeichnen. Was dabei herauskommt, sei oftmals beeindruckend, er zählt Winhart: In der Kunst könnten die Jugendlichen ihre Gefühle ausdrücken, oder Unsagbares zu Papier bringen.
Inspiration holt Rebecca Winhart sich bei ihren häufigen Museumsbesuchen oder auf Street-Art-Festivals. Sie bewundert beispielsweise die Bilder des deutschen Graffiti-Duos "Herakut". Bisweilen arbeitet Winhart auch mit ihrem Bruder Manuel, einem Musiker, in einer Art kreativer Symbiose zusammen: Sie liest seine neuen Liedtexte und zieht daraus Ideen für ihre Kunst - er lässt sich von ihren Gemälden zu Songs inspirieren.
Auch wenn sie am liebsten mit Öl- und Acrylfarben malt, sind Rebecca Winharts Experimentierfreude in Sachen Material keine Grenzen gesetzt. "Ich bemale alles Mögliche", sagt sie. Bretter, Hemden, Jacken, Leinwände - sogar Gitarren verschönert sie mit ihrer Kunst. Wenn aber etwas auf ihren Bildern nicht fehlen darf, dann sind es Menschen. Etwas älter ist zum Beispiel schon das Porträt einer hochgewachsenen Frau, die einem mit lebensklugem Blick herausfordernd entgegen blickt. Sie ist Afrikanerin, doch ihre Hautfarbe nimmt so viele verschiedene Schattierungen an, dass es unmöglich ist, einen Farbton zu bestimmen.
Vor einigen Monaten begann Rebecca Winhart zu sprayen. Als sie zum ersten Mal eine Dose in der Hand hielt, erschrak sie: "Ein ganz anderes Gefühl als mit einem Pinsel, total unkontrolliert!" Doch mittlerweile hat sie auch dieses Medium für sich entdeckt. Man darf gespannt sein.
Vernissage und Konzert mit Rebecca und Manuel Winhart am Samstag, 2. Dezember, im Café Zeitschmiede in Forstinning. Beginn ist um 20 Uhr.