Beschulung von Flüchtlingskindern:Zwischen Fördern und Überfordern

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Kinder ohne Deutschkenntnisse ins Schulsystem zu integrieren, birgt manchmal Frust. Eine syrische Familie kämpft aktuell um die Versetzung ihres Sohnes.

Von Jessica Morof, Aßling

Angst ist vermutlich ein allgegenwärtiger Begleiter der Menschen, die seit einigen Monaten nach Deutschland flüchten und im Landkreis Ebersberg eine Unterkunft finden. Angst vor Krieg und Verfolgung, Angst davor, keine Unterkunft zu finden oder abgeschoben zu werden. Auch der zwölfjährige Eldin, der eigentlich anders heißt, hat Angst - allerdings vor der neuen Schule. Vor allem fürchtet er sich davor, dem Unterricht nicht folgen zu können und deshalb keine guten Leistungen zu erbringen.

Nach einem Jahr Unterricht in der Übergangsklasse in Ebersberg besucht der syrische Junge die siebte Klasse der Mittelschule in Aßling. Sehr zum Missfallen seiner Eltern, die ihn in eine niedrigere Klassenstufe versetzen lassen möchten. Doch das Schulamt widerspricht. Der Fall zeigt, wie schwierig die Integration von Flüchtlingskindern in das Bildungssystem ist - und dass häufig die Kommunikation zwischen Familie und Amt scheitert.

Nach einem Jahr darf der Junge die Regelklasse besuchen

Vor zwei Jahren ist der Vater aus Syrien gekommen, lernte Deutsch, wurde anerkannt und hat inzwischen eine Arbeitsstelle. Seine Frau, der Sohn Eldin und drei weitere Kinder konnten im zweiten Jahr nachkommen. In einer Übergangsklasse machte der damals Elfjährige Fortschritte, lernte schnell Deutsch. Manche Fächer, wie beispielsweise Englisch, hatte Eldin hingegen gar nicht.

Am Ende des Schuljahrs befand seine Lehrerin dann, er solle im September in die siebte Klasse einer Mittelschule wechseln. "Es hieß, mein Sohn ist intelligent und kann das schon schaffen", berichtet der Vater. "Aber jetzt kommt er nicht mit", ärgert er sich, "und das macht ihn psychisch so fertig, dass er gar nicht mehr in die Schule gehen möchte."

Seit vier Wochen bleibt der Junge deshalb zuhause, verpasst Unterricht und die Möglichkeit, soziale Kontakte aufzubauen. In seiner Klasse fühlt er sich einfach überfordert; obwohl er schon gut Deutsch spricht, versteht er die Aufgaben oft nicht. "Niemand spricht mit mir", berichtet Eldin niedergeschlagen von seinem Schulalltag. "Und wenn ich die Hausaufgaben nicht verstehe, sagt der Lehrer: ,Das macht nichts'." Abgeben müsse er nichts. Eldin befürchtet, dass er nichts lernen wird, obwohl er zielstrebig und motiviert ist.

Die Schule hält sich an normale Abläufe

Deshalb bat sein Vater den Rektor Michael Pollak, Eldin in eine andere Klasse einzustufen. Doch dieser wollte erst einmal abwarten, wie sich der Schüler weiterhin entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt waren drei Wochen des neuen Schuljahres vergangen. "Wir sind eine ganz normale Verbundschule und halten uns an das normale Prozedere", erläutert der Schulleiter auf Nachfrage das allgemeine Vorgehen in solchen Fällen. "Es gibt eine Einschätzung der Übergangsklasse, an die man sich hält." Dann gebe man den Schülern einige Wochen Zeit, sich einzugewöhnen und schaue weiter. Zum konkreten Fall dürfe er aber keine Auskünfte geben, sagt Pollak.

Warten wollte die Familie jedenfalls nicht mehr und ging mit dem Sohn zum Kinder- und Jugendarzt. Im Gesundheitsattest heißt es, dass der Junge in der siebten Klasse "sozial und leistungsmäßig überfordert" sei und dass die Versetzung in eine andere Klassenstufe empfohlen wird. Auch eine psychotherapeutische Praxis hat die Familie aufgesucht. Die Diagnose: "überwältigende Angsterlebnisse sowohl im Leistungsbereich als auch in psychosozialer Hinsicht". Auch in diesem Schreiben spricht sich der betreffende Mediziner für eine schnelle Versetzung des Kindes aus.

Doch die Schule reagierte nicht, und die Familie wandte sich an das Schulamt mit einem Gastschulantrag: Eldin soll in die fünfte Klasse der Georg-Huber-Mittelschule Grafing versetzt werden. Dort käme er sicher besser im Unterricht mit, und es gebe Ganztagsklassen, in denen er Kontakt zu Gleichaltrigen knüpfen könnte, begründet der Vater die Entscheidung. Denn im Wohnort gebe es kaum Kinder, mit denen er sich nach der Schule treffen könnte. Doch das Schulamt erteilt der Familie eine Absage: Die Beschulung in der Mittelschule Grafing sei nicht möglich und der Antrag werde nicht befürwortet.

In Regelklassen sollen die Schüler leichter Kontakte knüpfen

Auf Anfrage der SZ erklärt die Schulamts-Direktorin Angela Sauter, zu dem spezifischen Fall dürfe sie sich nicht äußern. Sie gibt aber Auskunft über das allgemeine Prozedere: An welche Schule die Kinder kommen, hängt von ihrem Wohnort ab; die Klassenstufe ist durch das Alter und die Empfehlung der Lehrer bestimmt. "Wir dürfen die Kinder auch nicht mutwillig um zwei Klassen zurückstufen", betont sie. Aber natürlich begleite man die Schüler und reagiere, wenn sie wirklich überfordert sind. Doch generell versuche man, Schüler mit Migrationshintergrund in die entsprechenden Regelklassen einzugliedern. "Mit dem Hintergedanken, dass sie altersgerechte soziale Kontakte knüpfen und darüber die Sprache lernen." In der Regel funktioniere das hervorragend.

Im Allgemeinen beruft Sauter sich auf das Urteilsvermögen der Pädagogen und rät: "Eltern sollten erst mal dem Lehrer vertrauen, der das Kind begleitet, beobachtet und testet." Zu Attesten, wie sie in Eldins Fall vorliegen, möchte sie nicht Stellung nehmen. Dennoch betont die Schulamtsdirektorin deutlich: "Eine Entscheidung treffen wir nicht per Zuruf, sondern aufgrund gründlicher Analyse - und primär aufgrund schulbezogener Personen."

Für die Familie gibt es laut dem Schreiben des Schulamts nun zwei Möglichkeiten: Entweder Eldin bleibt während der Probezeit in der siebten Regelklasse in Aßling, um zu prüfen, ob er nicht doch folgen kann. Oder er wechselt an die Ü-Klasse 7 bis 9 an der Mittelschule Ebersberg. Doch damit ist die Familie nicht einverstanden. Sie wünscht sich eine reguläre Klasse für den Jungen, die auch seinen Fähigkeiten entspricht. "Ich denke, es ist das Recht meines Sohns", sagt der Vater. Nach den Ferien möchte er erneut in der Mittelschule in Grafing vorsprechen.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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