Kunst in Ebersberg:"Was macht der denn da? Ist der irre?"

Lesezeit: 5 min

Das Arkadien-Festival sorgt für Aufregung: Mads Lynnerup verstört mit scheinbar sinnlosen Wort-Spiel-Aktionen, während Rudolf Herz am Klostersee eine Ölpest imaginiert.

Von Anja Blum

Viele Wochen dauert es nun schon an, das Arkadien-Festival in Ebersberg, doch es scheint, als hätten noch immer nicht alle mitbekommen, dass die Kreisstadt momentan von diversen Künstlern bespielt wird: Am Montag gab es erneut Aufregung, es wurde mit Anzeigen gedroht, die Polizei gerufen, weil die Menschen die Kunst nicht als solche erkannten. Klar, es sind der Irritationen viele, die das arkadische Zeitalter in Ebersberg begleiten - bemalte Pflanzen, seltsame Plakate, unbekannte Fahnen - denn genau darum geht es dem Kunstverein als Veranstalter: die Menschen zu konfrontieren mit kreativen Interventionen, die unsere Lebensweise hinterfragen. Die irritieren, verstören, zum Nachdenken oder zum Lachen anregen. Insofern ist wieder alles gut gegangen, wenn man so will: Die Kunst im öffentlichen Raum hat Aufmerksamkeit erregt, doch rechtliche Konsequenzen muss der Verursacher wohl keine fürchten. "Ein grandioser Beitrag", lautet denn auch das Fazit von Festivalmacher Peter Kees.

Mads Lynnerup heißt der Künstler, der am Montag und Dienstag die Kreisstadt mit seinen Performances unsicher gemacht hat - obwohl er beileibe nicht wirkt wie ein Störenfried. Ganz im Gegenteil. In schwarzem Cap und bunten Schuhen geht er entspannt und freundlich seinem Geschäft nach, das er "Pandemic Repetition Loop" getauft hat. An mehreren Stationen kann man den 44-Jährigen treffen, überall bringt er die Umgebung "durcheinander" mit scheinbar sinnlosen, sich ständig wiederholenden Aktionen. Das Material, mit dem Lynnerup spielt, sind Worte. Satzbausteine. Phrasen. Und auch hier gibt es viele sich wiederholende Strukturen. Man erahnt Bedeutung, doch da ist auch ganz viel Raum für Spekulation, für persönliche Interpretation. Zumal der Künstler aus Dänemark stammt, in San Francisco als Professor tätig ist und mit englischen Worten hantiert.

Lynnerups erste Station ist das Ebersberger Landratsamt, genauer gesagt, die vier Masten vor dem Gebäude. Für jeden hat der Künstler eine Fahne mitgebracht, die er nacheinander immer wieder hochzieht und herunterlässt. Langsam rauf, langsam runter. Wieder rauf,wieder runter, eine halbe Stunde lang. Stoisch, schweigend und mit großer Sorgfalt agiert der Künstler, hat dabei aber stets ein Lächeln im Gesicht. Es wirkt, als wäre er in einem Flow, einer Meditation - direkt neben einer viel befahrenen Straße.

Doch was steht denn nun auf den vier weißen Fahnen, die da so freundlich im Wind flattern? Was will Lynnerup den Ebersbergern sagen? "Stopping yourself from stopping yourself". Halte dich davon ab, dich selbst abzuhalten. Das sei eine ganz neue Arbeit, erzählt Mads Lynnerup sichtlich erfreut. Wie mit seinen anderen Performances und Aussagen auch, wolle er unseren Alltag ad absurdum führen und so gleichzeitig eine Hyperwahrnehmung anstoßen - gerade in Zeiten von Corona, die ja verstärkt die Möglichkeit des Innehaltens böten. Ist das Leben nicht ein sich stets wiederholender Trott? Muss das so sein? Was gibt es für Alternativen?

1 / 4
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Worte, wo sie nicht hingehören: Der dänische Künstler Mads Lynnerup hat...

2 / 4
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

...Performances für viele Orte in Ebersberg in seinem Gepäck.

3 / 4
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Am Montag und Dienstag ist er damit stundenlang in der Stadt unterwegs.

4 / 4
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Die Aktionen sollen den Alltag ad absurdum führen und gleichzeitig eine Hyperwahrnehmung der Aktivitäten in Ebersberg erzeugen.

Weiter geht es an einem Ort, der noch weniger zur Kontemplation geeignet erscheint: am Ebersberger Bahnhof. Hier widmet sich Lynnerup mit Schwamm und Putzmittel der verdreckten Scheibe eines leer stehenden DB-Service-Stores. Doch er ist nicht gekommen, um das Fenster zu reinigen, nein, er beschriftet es: Mit gelbem Schaum malt er die Worte "Show only what there is to show". Zeige nur, was es zu zeigen gibt. Kaum sind die Zeilen vollendet, wischt der Künstler sie wieder weg, um abermals von vorne zu beginnen. Deswegen, und weil der Schaum wenig Farbe beinhaltet, ist es schwer, den Sinn der Schrift zu erfassen. Viele Passanten eilen vorbei, die meisten nehmen nicht weiter Notiz von der rätselhaften Aktion, nur manche bleiben neugierig stehen. Eine Gruppe Jugendlicher zum Beispiel, denen Festivalleiter Kees sogleich erklärt, was es mit Arkadien auf sich hat.

Später sitzt Lynnerup auf einer Bank mitten in der Fußgängerzone - mit einer überdimensionierten Zeitung in den Händen. In großen Lettern ragen die Worte "The Chance to change will change" in den öffentlichen Raum. Die Chance auf Veränderung wird sich ändern. "Der braucht aber lange, um die wenigen Buchstaben zu lesen," raunen Passanten sich zu. Plötzlich dreht der Künstler das Blatt. "Content with your content" steht jetzt da: Zufrieden mit ihrem Inhalt.

Bei einem Café schreibt Lynnerup immer wieder den Satz "Someone was looking for someone" mit Kreide auf eine Tafel. Jemand hat nach jemandem gesucht. Schreiben, wischen, schreiben, wischen, auch hier. Gut eine halbe Stunde geht das so. Eine Frau schüttelt den Kopf: "Jetzt wischt er das schon wieder ab. Was macht der denn da? Ist der irre?" Auch die Stirnfalten einer Frau gegenüber verraten, dass ihr die Aktion offenbar zu denken gibt. Seitlich des Rathauses klebt Lynnerup Zettel an die Wand - "As ideas die", wie Ideen sterben - und lässt ein Kind diese Worte mit Kreide auf den Boden malen. In die Gemüseauslage eines Ladens setzt er den Schriftzug "Some things means more to some". Manche Dinge bedeuten für manche mehr.

So harmlos diese künstlerischen Interventionen daherkommen, so verstörend können sie offensichtlich zugleich sein: Lynnerup wird erregt nach der Genehmigung seiner Aktion gefragt, erfährt Aggression, etwa als er hinter die Scheibenwischer parkender Autos Zettel klemmt. Manch einer will ihn gar anzeigen. Dabei steht da lediglich "Who know you" - Wer kennt dich. Andere fragen, ob das ein Strafzettel sei. Scheinbar arglos greift diese ironische Infiltration in das alltägliche Leben ein - bekommt aber Schärfe spätestens in dem Moment, da das Ungewohnte zu Aufregung führt. Doch auch das Gegenteil ist zu beobachten: Manche Passanten nehmen sehr wohl wahr, was da passiert, ignorieren die Absurdität der Aktionen aber völlig. Als ob die Welt um sie herum so wäre wie immer. Neugierde? Fehlanzeige.

Der Münchner Künstler Rudolf Herz begnügt sich mit einem kleinen Schild am Klostersee – das aber nicht weniger aussagekräftig ist als die anderen Aktionen. (Foto: Veranstalter)

Gegen Abend rückt Lynnerup seine Fahnen noch einmal für ein Foto zurecht - und wird tatsächlich von der Polizei kontrolliert: "Sie wollten alles über die Fahnen wissen, Genehmigungen und so weiter", erzählt der dänische Künstler. "Verrückt, aber auch lustig."

Doch Kunst muss nicht zwingend groß sein, um zu intervenieren. Auch minimale Eingriffe können für Irritation sorgen. Der Beitrag von Rudolf Herz etwa misst lediglich ein paar Zentimeter - und verfehlt doch seine Wirkung nicht: Der Münchner Künstler installierte ein unscheinbar wirkendes Schild am Klostersee, auf dem Boden, am östlichen Fußweg. Darauf steht: "Die Wasseroberfläche war wieder spiegelglatt, die Ölflecken hatten sich verzogen, alles war mit in die Tiefe gerissen worden. Es herrschte große Stille. Rudolf Herz". Ein Satz, der zum Nachdenken anregt - gerade mit Blick auf das liebliche Gewässer. Geht es um die Antipoden Natur und Kultur? In gewissem Sinne ja. Das Öl - auch schwarzes Goldes oder schwarze Pest genannt - richtet immer wieder Unheil an. Doch es sind nicht nur Ölverschmutzungen, die Lebensräume gefährden, es ist generell der Mensch mit seinen Gewinnmaximierungsabsichten, seinem Fortschrittscredo, der so vieles zerstört.

Am Klostersee steht man nun nach einer womöglich zukünftigen Katastrophe. Ist das ein Blick von Übermorgen auf Morgen? Wie weit sind wir von einem solchen Szenario entfernt? Eine unbestimmte, rätselhafte Bedrohung, diverse Möglichkeiten des Geschehens und die Gefahr der Wiederholung: All das schwingt mit in diesem Text. Denn dem Künstler geht es um die "Fragilität unseres Daseins", die momentan ja präsenter sei denn je. "Ich wollte ein Gegenbild erschaffen", sagt Rudolf Herz, der als Honorar-Professor an der Münchner Kunstakademie tätig ist. "Ein Gegenbild zum fröhlichen Rahmen von Arkadien und zu dieser Idylle am See - einen künstlerischen Verweis auf etwas Katastrophisches." Immer wieder habe er vorab Ebersberg besucht, dort Orte auf sich wirken lassen, Gespräche geführt - und so zu der für ihn neuen Thematik gefunden. Kein Wunder, denn ein offener Ansatz ist für Herz essenziell, er bezeichnet sich als "Grenzgänger zwischen den Disziplinen".

Immer wieder Neues denken, das verbinde ihn und Kees. "Vor mir ist nichts sicher", sagt der Künstler und lacht. Eine Methode aber wendet Herz immer wieder an: das Spiel mit der Interaktion. Er wolle mit seiner Kunst stets bewusst eine Projektionsarbeit anstoßen, sagt er. "Erst der Betrachter vervollständigt so das Werk." Unter dem Motto "Meinen Zeitgenossen zeige ich Lenin. Und Lenin das 21. Jahrhundert. Wer erklärt es ihm?" reiste Herz bereits mit monumentalen Granitbüsten auf einem Sattelschlepper quer durch Europa.

Wäre schön, wenn ein derart renommierte Künstler auch in Ebersberg als solche wahrgenommen würden. Aber das kann ja noch werden: Das Arkadien-Festival dauert bis Mitte Juli an.

Mehr Infos unter: www.arkadien.info

© SZ vom 07.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: