Arbeitskreis Energiewende:Ignorant zur Katastrophe

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Harald Lesch zeichnet in Vaterstetten ein düsteres Szenario

Von Rita Baedeker, Vaterstetten

Man schreibt das Jahr 2096. Die Eiskappen der Pole sind geschmolzen, Dänemark ist futsch, Venedig abgesoffen, küstennahe Teile von Spanien und Großbritannien sind überflutet, Städte wie Lissabon, Tokio und Shanghai von der Landkarte verschwunden.

Wäre dieses Szenario Stoff eines Hollywood-Films, der geschockte Kinobesucher würde sich schütteln und sagen: Ist halt Kino. Wird so schlimm schon nicht werden. Jedoch, so das Fazit des Vortrags "Energiewende: Wenn nicht jetzt, wann dann?" von Harald Lesch zum zehnjährigen Bestehens des Arbeitskreises "Energiewende Vaterstetten" am Donnerstag im GSD-Seniorenwohnpark, so schlimm kann, ja wird es werden, sollte der sorglose, verantwortungslose Umgang mit Energie ungebremst fortgesetzt werden.

Harald Lesch, Professor für Astrophysik und Naturphilosophie sowie Moderator von TV-Wissenschaftssendungen und Autor, hat aktuelle Daten, Zahlen, Satelliten-Messwerte und Klimamodelle mitgebracht, die schlüssig beweisen, welche dramatischen Folgen die Erderwärmung und der Anstieg des Meeresspiegels für das Leben auf dem Planeten haben werden. Wobei er, wie bei ihm gewohnt, Komplexes kurzweilig und allgemein verständlich präsentiert und dabei einen galligen Humor offenbart, der berührt und zeigt, wie nah ihm selbst das Thema und die geballte Ignoranz der Staaten- und Konzernlenker gehen. Die menschengemachten Ursachen solcher Naturkatastrophen zu ignorieren und als chinesische Erfindung zu deklarieren, sei, so Lesch, Gipfel der Dummheit eines gewissen Politikers, dessen Name man nicht auszusprechen brauche.

"Die Welt brennt, aber uns interessiert nur unser Handicap"

Ignorant gibt sich allerdings nicht nur der Unaussprechliche samt Anhängerschaft. Mit einer Fotocollage illustriert Lesch die Haltung sehr vieler Menschen. Sie trägt den Titel "Der letzte Abschlag" und zeigt Golfspieler. Im Hintergrund züngeln Flammen hoch. "Die Welt brennt", sagt Lesch, "aber uns interessiert nur unser Handicap."

Verstörende Zahlen hat der Physiker mitgebracht, die auch den hartleibigsten Leugner des Klimawandels aufrütteln müssten. Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wurden zwischen 2010 und 2017 registriert. Und nein! Sonnenflecken sind nachweislich nicht die Ursache. Der Anstieg des CO2, des Kohlendioxids in der Atmosphäre, ist ungebrochen. Und obwohl wir noch etwa viermal so viel fossile Reserven hätten, wie die Atmosphäre verkraften könne, gehe sinnloserweise die Förderung fossiler Energien weiter.

Auch eine Veränderung des persönlichen Lebensstils wäre dringend notwendig

Zur Komplexität des Klimawandels gehöre auch das im Permafrostboden gebundene Methangas, das entweicht, wenn der Boden auftaut. Methan wirke als Treibhausgas 25 Mal stärker als das CO2. "Exponentielles Wachstum in eine globale Katastrophe" nennt Lesch diesen Teufelskreis und geißelt die immer noch vorherrschende neoliberale Ideologie eines Wachstums, in dem es immer nur um Rendite geht. Verschwinde das Eis vom Globus, seien keine weißen Flächen mehr da, die Wärme abstrahlen. Vielmehr absorbiere dann das dunkle Meer diese Strahlung. Die Folge: Die Erwärmung wird weiter angeheizt. "Irgendwann könnte es so heiß werden, dass Teile von Afrika, Asien und Südamerika unbewohnbar sind." Der Meeresspiegel steigt schneller als gedacht, auch weil Wasser sich durch Wärme ausdehnt.

"In welchem Land wollen wir künftig leben?", fragt Lesch. Noch gäbe es eine winzige Chance, das Schlimmste zu verhindern. Er zählt unter anderem auf: Emissionen verringern, erneuerbare Energien ausbauen, aufforsten, Moore bewässern. "Wenn Sie eines kennen, kaufen Sie es!", sagt er scherzhaft. Durch Moore, die viel Kohlenstoff speichern, könne man ein Zehntel des jährlichen CO2-Ausstoßes einsparen. Auch der Einzelne ist angesprochen. An der Veränderung des Lebensstils komme man nicht vorbei. Lesch erinnert das heftig applaudierende und viele Fragen stellende Publikum an eine ferne Zeit, als Kinder zu Fuß in die Schule gegangen sind...

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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