Amtsgericht Ebersberg:"So etwas geht 100 Mal gut, beim 101. Mal passiert halt sowas"

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Beim Verladen einer Terrassentür sichert ein Schreiner diese nicht richtig auf dem Gabelstapler, sie rutscht ab und fällt einem Kollegen auf den Kopf. Der Mann muss sich jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Der ehemalige Schreiner saß gebeugt auf der Anklagebank, als ob ein schweres Gewicht auf ihm lastete. Er hielt seine Arme verschränkt vor der Brust, wie, um sich Halt zu geben. Auch wenn er sich in der Verhandlung gefasst gab, war es klar, dass ihn das Geschehene nicht unberührt ließ. Kein Wunder, schließlich musste er sich an diesem Dienstag den Vorwurf der fahrlässigen Tötung eines anderen Menschen gefallen lassen.

Im Juni vergangenen Jahres fuhr der Mann, der das Opfer werden würde, zur Schreinerei des Angeklagten, um eine Terrassentür für einen Neubau abzuholen. Ein Routinejob. Der Angeklagte beförderte die Tür mit dem Gabelstapler auf die Ladefläche. Ebenfalls nichts Ungewöhnliches. An diesem Tag jedoch verkettete sich eine Reihe ungünstiger Umstände und menschlicher Fehler zu einem tragischen Unglück.

Viele kleine Fehler kamen bei diesem Unglück zusammen

Da war zunächst der Umstand, dass der Fahrer, der die Terrassentür abholen sollte, keinen Sicherheitsgurt für die Tür dabei hatte. Der Angeklagte hingegen hatte nur einen zur Verfügung. Diesen befestigte er auch an dem Glasblock, auf dem die Tür transportiert wurde. Doch wie aus einem Sachverständigengutachten hervorging, war ein Gurt nicht nur zu wenig, auch wurde er nicht ganz mittig befestigt. Dadurch erhöhte sich die Gefahr, dass die Tür ins Rutschen kommen konnte. "Das habe ich so nicht gesehen", sagte der Angeklagte vor Gericht.

Der gravierendste Fehler ereignete sich jedoch nicht beim Verladen der Tür auf die Ladefläche, sondern bei einer Neupositionierung. Wie der Angeklagte aussagte, musste ein Stück der Türblöcke abgesägt werden, was ein anderer Mitarbeiter erledigte. Als dies geschehen war, wollte der Fahrer die Tür noch etwa zwanzig Zentimeter nach links verrückt haben. Außerdem hätte er Druck gemacht, gesagt, dass er es eilig habe. Der Angeklagte sah hierin ein besonders unglückliches Glied in der Kausalkette. "Hätte er das gleich gesagt, hätte ich die Tür beim ersten Mal schon verschieben können, ohne nochmal ansetzen zu müssen", meinte er.

Beim Beladen sei nämlich nichts verrutscht. Doch als er die Tür abermals anhob, um sie neu zu positionieren, griff er mit den Zinken des Staplers nicht mehr in die Sicherheitsschlaufen, die unterhalb der Tür angebracht waren und die ein Kippen hätten verhindern können. "Ich frage mich bis heute, wieso ich das nicht gemacht habe", sagte der Angeklagte zerknirscht. Die Frage quäle ihn sehr.

Bevor er die Tür nun absetzte, stieg er aus dem Fahrzeug und wollte die Matten, die auf dem Transporter als Unterlage vorhanden waren, zurechtrücken. Gleichzeitig beging der Fahrer einen letzten, fatalen Fehler. Er ging vom Sicherheitsbereich hinter dem Fahrzeug an die rechte Seite. Niemand weiß warum.

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In diesem Moment fing die Tür an zu kippen, "ganz langsam", wie sich der damalige Schreiner erinnerte. Er rief dem Fahrer noch zu, wollte ihn warnen, doch die Motorgeräusche des Staplers und die dicke Glasplatte verhinderten wohl, dass der Mann ihn hörte. So kippte die Tür schließlich nach vorne rechts um, traf den Fahrer am Kopf und blieb auf ihm liegen. Zwar leistete der Angeklagte sofort Erste Hilfe und rief den Rettungswagen - "vorbildlich", wie sein Anwalt betonte. Doch am Ende kam jede Hilfe zu spät. Noch am Unfallort starb der Mann.

Nach dem Unfall räumte der Angeklagte sofort seine Fehler ein

Der Angeklagte zeigte sich bereits bei der ersten Vernehmung durch die Polizei geständig und räumte insbesondere ein, beim letzten Anheben der Tür nicht die Sicherheitsschlaufen benutzt zu haben.

Seit dem Unglück leide der Mann unter Schlafstörungen, habe Albträume, meide das Autofahren und Sozialkontakte, wie der Anwalt erläuterte. Eine Psychologin, zu der er einige Male gegangen war, bescheinigt dem Angeklagten eine posttraumatische Belastungsstörung. In jedem Fall tut es ihm sehr leid, wie sein Anwalt mehrmals in der Verhandlung anstelle des wortkargen Angeklagten betonte.

Aufgrund des Geständnisses war die Verurteilung klar, Richterin Vera Hörauf folgte der Staatsanwaltschaft und verhängte eine Freiheitsstrafe, wenn auch in Höhe von acht statt elf Monaten, auf Bewährung. Zudem muss der Angeklagte 4500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung spenden. In ihrer Urteilsbegründung erkannte die Richterin die unglückliche Verkettung der Umstände an, sah aber auch das schuldhafte, unvorsichtige Verhalten des Angeklagten. "So etwas geht 100 Mal gut, aber beim 101. Mal passiert halt sowas", sagte sie.

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