Kultur in Ebersberg:Klangvolles Tagebuch

Lesezeit: 3 min

Martin Kälberer spielt Premiere seines neuen Programms im Livestream aus dem Alten Kino.

Interview von Anja Blum

"Diese neue Art Stille war ganz anders als die, die ich seit jeher auch in der Musik suche", schreibt Martin Kälberer im Booklet seines neuen Doppelalbums "Insightout". Ja, die Pandemie hat alle Musiker seit nun schon einem Jahr im Griff - sei es künstlerisch, sei es existenziell, oder beides. Deswegen war auch "Insightout" bislang noch nicht live zu hören. "Aber jetzt wird es Zeit", sagt Kälberer. Am Donnerstag, 29. April, feiert das Programm Premiere, und zwar im Livestream aus dem Alten Kinos in Ebersberg: eine instrumentale Reise in innere Bild- und Klangwelten, wo stille Momente genauso ihren Platz haben wie pulsierende und rhythmische Elemente.

SZ: Herr Kälberer, wie kommt es, dass Ihr neues Programm ausgerechnet in Ebersberg zur Uraufführung kommt?

Martin Kälberer: Ich kenne Markus Bachmeier schon viele Jahre, und eigentlich hätte ich im Frühjahr 2020 im Alten Speicher spielen sollen. Doch dann kam ja Corona, also wurde das Konzert verschoben. Und nun machen wir es eben als Livestream.

Haben Sie bereits Erfahrung mit solch einem Format?

Nein, eigentlich habe ich mich bisher - abgesehen vom Südsound-Festival im RFO, das wirklich schön war - so gut wie gar nicht an den ganzen Online-Geschichten beteiligt, denn ich war da sehr skeptisch. Aber das Ebersberger Konzept finde ich sehr spannend. Da kommt gar nicht erst der Verdacht auf, man wolle einfach ein Konzert abfilmen - weil das Team sich ein ganz eigenes Format ausgedacht hat. Erstklassige Ton-, Licht- und Bildtechnik sind dabei ebenso wichtig wie eine stimmige Inszenierung, ein kleines Portrait zum Einstieg und die Moderation. Das Team aus Ebersberg hat mich dafür sogar zuhause am Chiemsee besucht. Das alles gibt uns die Möglichkeit, diesen Abend zu etwas ganz Besonderem zu machen.

Das heißt, das Konzert ist für Sie in vielerlei Hinsicht eine Premiere?

Ja, und deshalb freue ich mich wirklich schon sehr auf diesen Abend, das ist fast wie Weihnachten. Außerdem bin ich natürlich sehr gespannt. Denn das direkte Feedback des Publikums wird ja fehlen, und ich weiß nicht, was das mit mir machen wird.

Was ist also Ihr Plan?

Zu tun, was ich beim Spielen ohnehin immer mache, nämlich mich in den Moment reinfallen lassen. Ich werde einfach auf eine Reise gehen - und hoffen, dass mir jemand folgt.

"Insightout" ist im vergangenen Corona-Jahr entstanden, in unfreiwilliger Isolation in ihrem Studio.

Richtig, ich habe diese Grenzerfahrung ganz allein am Flügel verarbeitet. Und zunächst habe ich diese erzwungene innere Einkehr auch als angenehm empfunden. Durch sie habe ich eine ganz neue Atmosphäre gefunden und auch neue Klänge. Aber irgendwann kam dann die Verzweiflung über mich. Ich will zwar nicht meine persönliche Situation bejammern, denn die ist ja vergleichsweise noch sehr gut - aber nicht spielen, nicht auftreten zu können, ist absolut frustrierend. Es fühlt sich an wie ein Berufsverbot.

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In Ihrem Blog äußern Sie sich immer wieder kritisch...

Mit ist wieder klar geworden, dass jeder Auftritt ein politischer Akt ist, dass man gerade als Künstler Stellung beziehen muss. Ich kann mich da nicht einfach raushalten.

Worum geht es Ihnen?

Darum, dass wir das Risiko immer wieder neu bewerten und irgendwann eine Form finden, in der dieses Risiko beherrschbar und damit akzeptabel wird im Verhältnis zu dem, was wir alle so dringend brauchen: unsere Seelen zu nähren und gemeinsam etwas zu erleben, was über Nahrungsaufnahme und intakte Körperfunktionen hinausgeht. Was uns den Fragen des Seins und Vergehens näher bringt, was uns andere Perspektiven aufzeigt und uns verbindet - auf einer Ebene jenseits von Alltagszwängen, Verpflichtungen und Funktionieren-Müssen.

Sehen sie auch in Ihrem Album eine gewisse Form von Protest?

Nein, den formuliere ich lieber mit Worten, nicht mittels der Musik. "Insightout" ist eher ein Zeitdokument, und das noch mal intensiver, als das bei mir ohnehin immer der Fall ist. Eine Art Tagebuch in Klängen.

Die CD besteht aus zwei Teilen, einem solistischen am Klavier, und einem mit Kammerorchester. Was erwartet das Publikum des Ebersberger Livestreams?

Ich komme mit der Cellistin Fany Kammerlander, die auch bei meinem Programm "Baltasound" dabei ist. Der Abend wird eine Mischung aus den beiden Alben sein, mich haben nämlich schon einige Liederwünsche erreicht...

Wie waren denn die Reaktionen auf die neue Platte?

Ich muss sagen, die Resonanz war überwältigend. Offenbar hat dieser Weg, mit dieser immer bedrückender werdenden Situation umzugehen, sehr viele - im wahrsten Sinne - offene Ohren gefunden. Und was mich besonders freut, ist, dass wohl viele Käufer ihre alten Abspielgeräte für die Version als Schallplatte entstaubt haben.

Ein Kritikpunkt an den Onlineangeboten ist ja, dass Kultur hier verramscht werde.

Ja - und das darf nicht sein. Wieso wird von uns Künstlern immer erwartet, dass wir umsonst oder auf Spendenbasis spielen? Auch deswegen finde ich das Ebersberger Modell so gut: Das Konzert wird ausschließlich zum angekündigten Zeitpunkt und über den Zugang vom Alten Kino zu sehen sein - gegen einen moderaten Ticketpreis, der gewährleistet, dass die Veranstaltung für alle Beteiligten als das wahrgenommen werden kann, was es ja auch ist: ihr Beruf.

Martin Kälberer: Konzert "Insightout", am Donnerstag, 29. April. Der Abend wird auf https://live.alteskino.de gezeigt. Dort sind auch die Tickets erhältlich. Beginn ist um 20.30 Uhr. Die Plattform geht ab 20.15 Uhr online.

© SZ vom 28.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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