Allerheiligen im Landkreis Ebersberg:Vom Trost der bunten Steine

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An Allerheiligen besuchen viele Menschen die schön bepflanzten Gräber ihrer Angehörigen. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Jeder Grabstein hat seine Geschichte - die nicht zwangsläufig mit dem Tod endet. Ein Spaziergang mit Josef Ziegltrum, der seit 33 Jahren auf dem Friedhof Vaterstetten arbeitet

Von Franziska Langhammer, Vaterstetten

Der Hans, das war ihr Herz. Deswegen, und das stand auch ganz außer Frage, musste auf seinem Grab auch immer ein Herz blühen. Schlicht, möglichst klar, ein bisschen bunt mochte es Frau H.. "Ihr Mann war für sie das Wichtigste", sagt Josef Ziegltrum. Mittlerweile ist das Grab von ihrem Hans auch zu ihrer eigenen letzten Ruhestätte geworden. Das Herz blieb. In diesem Herbst blüht es rosa, umrankt von blassgrünen Silberblättern.

Von immer mal wieder einsetzendem Nieselregen begleitet, führt Josef Ziegltrum an einem der letzten Tage im Oktober durch den Gemeindefriedhof in Vaterstetten. Der Wind pflückt die letzten Blätter von den Bäumen, das Surren eines Laubbläsers ist zu hören. Friedhofswetter.

Manche Menschen kommen jeden Tag auf den Friedhof

Nicht so ganz, widerspricht Ziegltrum. Zwar besuchen jetzt an Allerheiligen diejenigen die Gräber ihrer Angehörigen, die nur einmal im Jahr kommen. "Die meisten Begegnungen auf dem Friedhof finden aber über den Sommer statt", sagt er.

Der 51-Jährige arbeitet als Friedhofsgärtner und betreibt gleich nebenan ein Gartencenter. Er erzählt von Menschen, die jeden Tag auf den Friedhof kommen, von Kindern, die ihrem verstorbenen Bruder bunte Steine aufs Grab legen, von einer trauernden Mutter, die den Unfalltod ihres Sohnes nicht überwinden kann. Vor allem in der ersten Zeit nach dem Tod kämen Angehörige oft auf den Friedhof, viele hätten das Bedürfnis, selber etwas zu machen. Trauerbewältigung, nennt Ziegl-trum das. Eine ältere Frau kommt schon seit Jahren jeden Tag an das Grab ihres Mannes, auch wenn sich Ziegltrum und seine Leute um dessen Bepflanzung kümmern: Kein Blättchen Laub soll auf dem Grab ihres Liebsten liegen.

Jeder Grabstein hat seine eigene Geschichte, die nicht immer mit dem Tod endet. "Viele Menschen kommen hier auch mit anderen Trauernden ins Gespräch", sagt Josef Ziegltrum. Daraus würden sich auch durchaus manchmal neue Beziehungen entwickeln. Manche Männer, die ihre Partnerin verloren haben und allein zurück bleiben, treffen hier auf andere Männer in derselben Situation, mit denen sie reden können.

Zehn Eichhörnchen-Pärchen wohnen hier, ein Grünspecht und allerlei Singvögel. (Foto: Christian Endt)

Eichhörnchen wohnen hier, auch Feldhasen schauen manchmal vorbei

Wer mit Josef Ziegltrum über die weitläufige Anlage spaziert, lernt einen anderen Blick auf den Tod kennen, einen durchaus auch tröstlichen. Das liegt nicht nur an der Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt, oder an der geschäftsmäßigen Nüchternheit, mit welcher Ziegltrum mit der Vergänglichkeit umgeht. Trost findet sich auch in der Schönheit der Natur, die sich im Friedhof ihren Platz bahnt.

Zehn Eichhörnchen-Pärchen wohnen hier, ein Grünspecht, allerlei Singvögel. Vogelschützer haben Nistkästen an den Bäumen angebracht, ab und zu schauen Feldhasen vorbei, erzählt Ziegltrum. "Der Friedhof ist der einzige Park in Vaterstetten", sagt er. Auch ist auf dem Friedhof der Klimawandel angekommen. Weil es so wenig regnete, mussten seine Mitarbeiter heuer oft dreimal in der Woche alle Gräber in ihrem Zuständigkeitsbereich gießen.

Zu Beginn kümmerten sich die Ziegltrums und ihre Mitarbeiter um 50 Gräber, mittlerweile sind es 700. (Foto: Christian Endt)

Verstorbene unterschiedlicher Glaubensrichtungen sind hier begraben, Muslime, Russisch-Orthodoxe, Freikirchler. Auch jüdische Gräber gibt es. "Juden nehmen bei jedem Friedhofsbesuch einen Stein mit und legen den auf das Grab", sagt Ziegltrum. So manchem Mitarbeiter habe man das erklären müssen, damit er nicht aus Versehen die Steine wieder entferne.

Schon sein Vater war Friedhofsgärtner, die Familie wohnte direkt nebenan. "Der Friedhof hat von klein auf für mich dazugehört", erzählt Josef Ziegltrum. Mit zehn, zwölf Jahren habe er angefangen, mitzuhelfen - wie in jedem mittelständischen, familiengeführten Betrieb damals üblich, sagt er. Mit 58 sei sein Vater gestorben. "Ich war mit 18 Chef", sagt Ziegltrum, der heute Gärtnermeister ist. Mit Blick auf seine Familiengeschichte gewinnt ein Satz, den er an diesem Vormittag zweimal wiederholt, an neuer Bedeutung: "Der Tod gehört zum Leben dazu." Unausgesprochen schwingt mit, dass der Tod auch das Leben der Angehörigen verändert.

Die Grabsteine sind heute individueller gestaltet als früher

Zu Beginn kümmerten sich die Ziegltrums und ihre Mitarbeiter um 50 Gräber, mittlerweile sind es rund 700 auf dem Gemeindefriedhof in Vaterstetten, und etwa 100 in Friedhöfen in der Umgebung. Sie pflegen die Grabsteine, bepflanzen die Gräber, halten sie in Stand. "Früher gab's rote Erika, ein paar Gräser, das wars", erzählt Josef Ziegltrum und zeigt auf ein eher einfach gehaltenes Grab. Dabei entdeckt er eine locker gesetzte Grünpflanze und drückt sie etwas fester in die Erde. "Heute haben wir viel mehr Möglichkeiten, mit Pflanzen zu gestalten, zum Beispiel mit Thymianen, Pernettya, Calluna." Auf das Zusammenspiel von Stein und Bepflanzung käme es an, auf Farben und Formen.

Waren früher schwarze Grabsteine üblich, sind diese heute vorwiegend individuell gestaltet. Mal ist es ein künstlicher Schmetterling, der seine Flügel über dem Grabstein ausbreitet, mal streift eine steinerne Katze in Lebensgröße an der Grabkerze entlang - nicht nur an die Toten soll erinnert werden, sondern auch daran, was ihnen wichtig war im Leben.

Viele entscheiden sich heute für eine Urnenbestattung

Neben der Leichenhalle des Friedhofs ragen Stelen aus dem Rasen, Gemeinschaftsgräber für Urnen. Auf dem Friedhof Vaterstetten wurden 2014 die ersten Stelen errichtet, an deren vier Seiten Urnen in den Boden eingelassen sind; eine weitere Urnengrabstätte ist in Planung. Zu diesen Gemeinschaftsgräbern können die Angehörigen zwar Schnittblumen mitbringen, um die Bepflanzung selbst kümmern sich jedoch die Friedhofsgärtner, damit es optisch einheitlich bleibt. Dorthin gehe allgemein der Trend, sagt Ziegltrum - ein Trend, dem er nicht all zu viel abzugewinnen scheint.

Warum immer mehr Menschen sich dafür entscheiden? "Damit reduziert man den Aufwand", sagt Josef Ziegltrum. Besonders anonyme Bestattungen oder Ruhestätten in Friedwäldern sieht er als Zeichen dafür, dass viele Menschen den Tod wegschieben aus ihren Gedanken, aus ihrem Alltag. "Für mich ist das Wichtigste, dass der Friedhof ein Ort der Begegnung ist", sagt Ziegltrum. "Der Friedhof gehört rein in die Gesellschaft." Auch wer einen Menschen verloren habe, möchte mit dabei sein.

© SZ vom 31.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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