Ausstellung in Augsburg:Ein Kunstpreis als Erfolgsgeschichte

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Steht die Apokalypse noch bevor, oder ist sie schon vorbei? "Zunder" hat Mirjam Völker ihr Gemälde genannt. Auf Empfehlung Neo Rauchs erhielt sie 2010 den Zeitsicht Art Award, der mit einer Ausstellung im Glaspalast Augsburg sein 20-jähriges Bestehen feiert. (Foto: Eberhard Hauser)

Unternehmensberater Eberhard Hauser hat vor 20 Jahren den Zeitsicht Art Award ins Leben gerufen. Die Besonderheit der Augsburger Auszeichnung: Prominente Künstler wählen die Preisträger aus - derzeit sind sie im Glaspalast zu sehen.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

In der Halle 1 des Augsburger Glaspalasts hängen schmale weiße Fahnen. "Erhellt die Finsternis" steht in schwarzen Lettern auf einer der Stoffbahnen, "Sprecht zärtlich" oder "Treibt es zu weit" auf anderen. Das Performance-Duo Lotte Lindner und Till Steinbrenner, von dem diese Arbeit stammt, hat 2013 den Zeitsicht Art Award gewonnen, einen Kunstpreis, der seit 20 Jahren in Augsburg vergeben wird. Die Besonderheit dieser Auszeichnung: Die Gewinner kürt nicht eine Jury, sondern ein prominenter Künstlerkollege, im Falle von Lindner und Steinbrenner die Performance-Meisterin Marina Abramović. Logisch, dass das Künstlerpaar aus Hannover in der aktuellen Jubiläumsausstellung mit von der Partie ist und neue Arbeiten zeigt.

Ins Leben gerufen haben den Preis, der den Gewinner immer mit einer Ausstellung würdigt, Eberhard Hauser, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Hauserconsulting, und sein Geschäftspartner Martin Hagen. "Wir wollten uns gesellschaftlich in der Stadt engagieren und etwas für Künstler tun", sagt Hauser. Der gebürtige Ulmer, Jahrgang 1958, hatte lange mit einem Kunststudium geliebäugelt. Zurückschrecken ließen ihn die "wirklich prekären Verhältnisse" (Hauser), in denen viele Künstler leben. So entschied er sich für Psychologie und Betriebswirtschaft, landete auf einem finanziell weit einträglicheren Feld. "Trotzdem ist Kunst für mich immer zentral geblieben, ", sagt er und überlegt, ob er sich als "künstlerischen Menschen" bezeichnen soll. "Künstler nicht, auch wenn ich lebenslang male und fotografiere. Auf der Kunst liegt nicht der Fokus meiner Betätigung."

Eberhard Hauser hat vor 20 Jahren den Zeitsicht Art Award ins Leben gerufen. (Foto: Wolfgang Reiserer)

Hauser hat sich 1989 mit seinem Beratungsbüro selbstständig gemacht. Die meisten seiner Mitmenschen damals kannten den Begriff Coach bestenfalls aus dem Sport, Change-Management war unbekannt. "Dass sich das so gut entwickeln würde, ahnte ich nicht", sagt Hauser. Auf jeden Fall lernte er während der beruflichen Begleitungen viele wohlhabende Menschen kennen. "Manche haben schreckliches Zeug an ihren Wänden hängen", sagt er, für ihn ein Widerspruch zur finanziellen Notlage vieler Künstler und bereits vor 30 Jahren ein Grund, die limitierte Zeitsicht-Edition zu entwickeln, "zum Jahreswechsel etwas Anspruchsvolles für Kunden, Freunde, Kollegen".

Die Idee, einen Kunstpreis ins Leben zu rufen, um junge Künstler zu fördern, entstand erst zehn Jahre später, als im Jahr 2002 Hausers und Hagens Firmen fusionierten. Anfangs wählte noch eine Fachjury die Preisträger aus. Doch nach dem fünften Mal beschloss Hauser das Format zu ändern. "Auch weil ich es schwer fand, zu transparenten Entscheidungen zu kommen, meist ist viel Eigeninteresse da", begründet er die Entscheidung, von 2007 an auf die Jury zu verzichten. "Ich finde es spannender zu erfahren, wen berühmte Künstler auswählen würden.

2007 erhielt der mehrfach behinderte Art-brut-Künstler Josef Hofer den Zeitsicht-Kunstpreis, hier sein Bild ohne Titel aus dem Jahr 2013. Vorgeschlagen hatte ihn der Maler Arnulf Rainer. (Foto: Franz Murauer)

Leicht umzusetzen war das anfangs nicht. Es sei immens schwer, prominente Künstler anzusprechen, wenn man nichts kaufe, sagt er. Erst mit Hilfe einer befreundeten Galeristin gelang es ihm, Kontakte zu knüpfen. Beispielsweise zu Arnulf Rainer, der 2007 den Art brut-Künstler Josef Hofer vorschlug, dessen Bilder zu den berührendsten Werken in der aktuellen Ausstellung zählen. Rainer ist übrigens einer der wenigen Paten, die nicht einen eigenen Studenten vorgeschlagen haben.

Die Ausstellungen der frühen Preisträger fanden freilich noch nicht im Glaspalast, sondern an wechselnden Orten statt, die Museen der Stadt fremdelten noch ein wenig mit dem Format. Mit jedem großen Namen kam man sich aber näher, vor allem Markus Lüpertz, Rebecca Horn und Neo Rauch wirkten Wunder. Von Lüpertz' Kandidaten, dem in Minsk geborenen, seinerzeit im Schaezlerpalais präsentierten Bildhauer Alexander Knych, gelang es Hauser nicht, für die Jubiläumsausstellung neue Arbeiten aufzutreiben -"er ist wie vom Erdboden verschwunden" - ganz im Gegensatz zu Rauchs Favoritin, der Leipziger Malerin Mirjam Völker. Vor deren hyperrealistischen Gemälden - oft menschenleere Bauten, die sich wuchernde Natur zurückholt - rätselt man, ob die Apokalypse schon vorbei ist oder erst noch bevorsteht. Auch Horns Preisträger, der Peruaner Antonio Paucar, ist mit einigen Arbeiten vertreten. Inwieweit sich freilich der Kunstpreis nicht nur aufs Selbstbewusstsein, sondern auch auf die Karriere der jungen Künstler auswirkte, ist in der Ausstellung schwer zu beurteilen.

Zeichnen verkürzt die Wartezeit

Der bislang letzte Preisträger aus dem Jahr 2019 kommt aus Afrika, genauer aus Lubumbashi in der zentralafrikanischen Republik Kongo. Jean Katambayi Mukendi ist ein Künstler und Wissenschaftler mit Leidenschaft für Logik, Mechanik, Geometrie und Elektrizität, was sich in seinen Zeichnungen ausdrückt. Vorgeschlagen hat ihn der Documenta-Teilnehmer Sammy Baloji. Hauser deutet auf eine kleine Zeichnung an der Wand, sie ist ein bisschen zerknittert, weist Fettflecken auf. Jean Katambayi Mukendi zeichnete sie während des tagelangen Wartens auf ein Visum für seine Augsburg-Reise vor der Botschaft in Kinshasa. "Er hat dort endlos gesessen und mit Zirkel und Kugelschreiber Bilder gezeichnet", erzählt Hauser.

Eine soziale Skulptur im Kabinett

Fotokünstlerin Katharina Sieverding ist es zu verdanken, dass einer der Kunstpreise in Augsburg blieb. Sie wählte 2015 das Grandhotel Cosmopolis, jene Mischung aus Hostel, Kunstprojekt und Flüchtlingsunterkunft, ein Vorzeigeprojekt der Fuggerstadt und gleichzeitig eine wahrgewordene Utopie. "Für mich ein klares politisches Statement", sagt Hauser. Der Verein baute damals kurzerhand die Neue Galerie im Höhmannhaus zu einer Dependance mit täglichen Veranstaltungen um. Auch jetzt hat er im kleinen Kabinett eine soziale Skulptur aufgebaut, erkundet, in welcher Welt die Besucher leben wollen. Und, wenig erstaunlich, wünschen sich die meisten eine friedliche Welt ohne Corona, ohne Masken, Hass und Neid.

Hauser hat in jeder Ausstellung Werke angekauft, auf die ganz großen Formate aber verzichtet. "Ich will mir schließlich kein Depot zulegen." Jetzt nach 20 Jahren fände er es gut, wenn sich jüngere Menschen über die Zukunft des Kunstpreises Gedanken machen würden. Gespräche mit der Stadt laufen bereits, die Finanzierung sei nicht das Thema - "das würden wir schon noch eine Weile tragen". Sagt er und erzählt gerührt, dass bei der Ausstellungseröffnung mehr als die Hälfte der ehemaligen Preisträger anwesend waren. "Da sieht man doch, dass es ihnen nicht ums Verkaufen geht."

Seismograph unserer Zeit. 20 Jahre Zeitsicht-Art-Award , verlängert bis 27.2., Halle 1 im Glaspalast Augsburg

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