Residenztheater:Der Mann, der sich selbst verbrannte

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Am Münchner Marienplatz ist Weihnachtsmarkt. Darüber, dass sich hier jemand angezündet hat, redet niemand (v.l.Thomas Lettow, Moritz von Treuenfels, Liliane Amuat). (Foto: Residenztheater)

Dömötör inszeniert am Residenztheater die Uraufführung von "Marienplatz" - als Stream.

Von Christiane Lutz

In der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 2017 übergießt sich mitten auf dem Marienplatz ein Münchner mit Benzin und zündet sich an. Er stirbt an seinen Verbrennungen. Auf sein Auto hat er "Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen" und "Amri ist nur die Spitze des Eisbergs" geschrieben. Was seine Motive waren, ist bis heute unklar. Der polnische Autor Beniamin M. Bukowski kam im Rahmen der Plattform für internationale zeitgenössische Dramatik "Welt/Bühne"mit einem Stipendium nach München. Er stolperte über diese Geschichte und war verwundert darüber, wie wenig die Menschen darüber wussten. Also verarbeitete er sie im Stück "Marienplatz", das nun am Residenztheater uraufgeführt wird, per Stream.

Der ungarische Regisseur András Dömötör konnte sofort eine Verbindung herstellen zu Bukowskis Text und dessen Verwunderung über das Geschehen in München. Warum redete niemand über den Vorfall? Warum kann man kaum recherchieren, was genau passierte? Was waren die Motive des Mannes? "Ungarn und Polen sind zwei Länder, die sich sehr weit nach rechts bewegt haben", sagt Dömötör. "Das verband mich sofort mit dem Autor. In Ungarn und Polen wird gar nichts mehr vertuscht, es ist alles offensichtlich. In München, in Deutschland ist das anders." Sich anzuzünden gilt als politischer Akt, es wunderte daher den Regisseur und den Autor, warum sich die Deutschen so wenig für den Mann am Marienplatz zu interessieren scheinen.

Statt aber einfach die Geschichte des Mannes zu beschreiben, setzt der Autor Bukowski einen jungen Schriftsteller ins Zentrum des Stückes, der nach München kommt. Sich selbst, gewissermaßen. Das Setting ist der Weihnachtsmarkt auf dem Marienplatz, die Menschen tun so, als sei nichts. "Der Weihnachtsmarkt verdeckt die Wunde, die von dem Mann auf den Platz gerissen wurde", sagt Dömötör. "Die Selbstverbrennung, die da stattgefunden hat, hat für mich auch eine religiöse Dimension, das Selbstopfer, sozusagen. Das kreuzen wir mit Weihnachten, der Geburtstag der Person, die wohl das berühmteste Opfer der Menschheitsgeschichte ist - Jesus."

Die 21 Szenen werden von Live-Musikern begleitet und so rhythmisiert, sagt Dömötör, das sei ihm wichtig, um Bewegung in den Text zu bringen. Die Schauspieler Liliane Amuat, Nicola Kirsch, Thomas Lettow, Hanna Scheibe, Myriam Schröder und Moritz von Treuenfels (er spielt den Autor) verhandeln dann zwischen den Buden gemeinsam mit dem zugeschalteten Publikum die Frage, was dieses vermeintliche Opfer und das Stillschweigen darüber über die Gesellschaft sagen könnte.

Marienplatz , Online-Uraufführung, So., 20. Dezember, 19 Uhr, danach 24 Stunden on demand, www.residenztheater.de

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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