Debatte "What is the City?":Städte im Umbruch

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Der Auftakt der Reihe "What is the City?" von den Kammerspielen und der SZ zu drängenden Zukunftsfragen

Von Jürgen Moises, München

Am 10. Oktober hat es stark geregnet. Chefdramaturgin Viola Hasselberg kann sich deswegen noch so gut erinnern, weil an diesem Tag zur Saisoneröffnung der Münchner Kammerspiele eine große "Bürgerperformance" auf dem Odeonsplatz geplant war. Die fiel nicht nur wegen des Regens aus - beziehungsweise wurde sie durch kleinere Formate ersetzt, bei denen unter anderem Passanten Fragen zur Zukunft gestellt wurden. Wie etwa: Was würden Sie als König/Königin von München machen? Oder: What is the City for? Fast genauso, nämlich "What is the City?", hieß nun am Sonntag der Auftakt-Tag einer zusammen mit der Süddeutschen Zeitung organisierten Debattenreihe in den Kammerspielen zur Zukunft der Stadt, welche die am 10. Oktober eingesammelten Gedanken weiterführen und vertiefen soll.

Dazu gab es zwei erste Podien, eines zum Thema "In welcher Stadt werden wir leben wollen?", das andere zum Verschwinden des öffentlichen Raumes. Und dann noch ein "Stadtgespräch", bei dem sich Vertreter verschiedener Initiativen zur aktuellen Lage äußern konnten. Viola Hasselberg vertrat beim ersten Podium die Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel, die nicht kommen konnte. Außerdem beteiligt an dem von SZ-Redakteur Alex Rühle geführten Gespräch waren die zweite Münchner Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, der ehemalige Bürgermeister von Reykjavík, Jón Gnarr (per Internet zugeschaltet), und der österreichische Philosoph Armen Avanessian.

Letzterer hatte die Aufgabe, einen Impuls-Vortrag zu halten, und fiel sonst vor allem als "Sprüche-Abklopfer" auf. Das heißt, dass er sich Worte und Formulierungen wie "Gastfreundschaft" oder "auf Sicht fahren" herausgriff und kritisch beleuchtete. Ein Begriff, den er selber ins Gespräch brachte, war der der "Präemption". Gemeint ist damit die Idee, dass man durch sein Handeln einem Krieg, einer Krankheit oder dergleichen zuvorkommt. Was zu der paradoxen Formulierung führte, dass wir "morgen schon an heute denken" müssen. Konkret heißt das, dass man eben nicht nur "auf Sicht" fährt, sondern etwa Strategien für die Pandemie als Dauerzustand entwickelt. Dafür brauche es neben einer zeitlichen eine neue "räumliche Ordnung", die auch das Digitale mitdenkt.

Noch konkreter: Die Theater müssen sich neue digitale Formen ausdenken, mit denen man nicht nur ein gebildetes Stadtpublikum, sondern etwa auch das Umland erreicht. Die Kultur müsse sich allgemein mehr in "digitale Infrastrukturen" einmischen, die längst nicht mehr nur städtisch, sondern international seien. Was es dafür aber brauche, sei politischer Wille und Geld. Das ist etwas, was Jón Gnarr nicht hatte, als der Komiker und Schriftsteller 2010 mit seiner Spaß-Partei "Besti flokkurinn" ("Beste Partei") völlig ungeplant das Bürgermeisteramt in Reykjavík übernahm. Aber: Er und seine Kabinettsmitglieder (allesamt Künstler) machten ihre Sache gut. Sie schreckten sogar vor unliebsamen Kürzungen nicht zurück und heute seht Reykjavík sehr gut da.

Als Tipp hatte der relativ wortkarge Gnarr nur: Verantwortung übernehmen. Etwas, das auch Katrin Habenschaden tun will. Bei einem Minus von etwa 6,5 Prozent im Haushalt (die im Raum stehende Zahl von einer Milliarde Minus an Gewerbesteuern wollte sie nicht bestätigen) und dem Zwang, sich die Haushalte vom Bund absegnen zu lassen, sei das jedoch nicht ganz einfach. Aber: München gehe es noch entsprechend gut. Man wolle im sozialen und Bildungs-Sektor auf keinen Fall kürzen. Alles andere müsse man diskutieren. Und zwar öffentlich, im Parlament. Aber: "Das passiert nicht". Stattdessen gebe es eine "Butter-bei-die-Fische"-Politik.

Dass sie das sagte, während auf der Theresienwiese die "089 Querdenker" demonstrierten, gibt zu denken. Es zeigt jedenfalls, dass es wohl in der Tat mehr öffentliche Diskussion braucht. In den Kammerspielen hörten diese Corona-bedingt leider nur 20 Leute (auf vimeo kann man sie nachschauen), und es mangelte auch hier etwas an konkreteren Visionen. Aber ein Anfang ist immerhin gemacht.

© SZ vom 02.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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