Zum Tod von Theodora Diehl:Eine Ikone der Schwabinger Künstlerwelt

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Umgeben von Fotos aus der alten Zeit: So empfing Theodora Diehl Gäste in ihrer Wohnung in Karlsfeld. Jetzt ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben. (Foto: Niels P. Joergensen)

Trauer um den Tod von Theodora Diehl, Tochter des "Simplicissimus"-Wirts, die mit 91 Jahren ihre Lebenserinnerungen schrieb.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Theodora Diehl kannte die großen Charakterköpfe ihrer Zeit: Karl Valentin und Liesl Karlstadt und Frank Wedekind. In der legendären Schwabinger Künstlerkneipe "Simplicissimus" ihres Vaters Theo Prosel gingen sie ein und aus. Spätabends lauschte "Dorli" mit ihren jüngeren Geschwistern oft noch am Holzboden ihres Kinderzimmers, das über dem Veranstaltungsraum lag. Im Simpl sang Lale Andersen zum ersten Mal ihr berühmtes Lied "Lili Marlen", den ersten Millionenseller der deutschen Musikgeschichte. Diehl erlebte nicht nur die Blütezeit Schwabings, sondern bekam auch die Folgen von Nazi-Barbarei, Zensur, wirtschaftliche Not und Krieg zu spüren. Am 13. Juli 1944 fiel eine Sprengbombe in den Bühnenbereich des alten Simpl. Das Haus wurde komplett zerstört. 1948 eröffnete Theo Prosel am Platzl den "Neuen Simpl" und engagierte dort den damals noch weitgehend unbekannten Komiker Gert Froebe, der später als Bösewicht im James-Bond-Film "Goldfinger" international Furore machen sollte.

Lange stand Theodora Diehl im Schatten großer Männer: Ihr Vater Walter Prosel war eine Ikone der Münchner Stadtgeschichte. Auch ihr Mann Walter Diehl war als Schriftsteller, Journalist und Schauspieler prominent. Auf Wikipedia gibt es einen langen Eintrag zu seiner Person, in der man nachlesen kann, dass er unter dem Pseudonym Siegfried Walter sogar Schlagertexte veröffentlichte. Nur dem Drängen seiner Frau, doch endlich mal die Geschichte des Simplicissimus aufzuschreiben, kam er bis zu seinem Tod 1994 nicht nach.

Erst 2012, als Theodora Diehl ihre Lebenserinnerungen selbst herausbrachte, trat die bereits 91-jährige Karlsfelderin richtig ins Rampenlicht. Sie tingelte von einer Lesung zur nächsten und begeisterte ihre Zuhörer mit ihrer unglaublichen Geschichte. In der Münchner Drehleier trat sie mit ihren Töchtern, dem Schwiegersohn, den Enkeln und der Urenkelin auf. Vier Generationen spielten Szenen aus dem "Simpl", wobei die alte Dame mit ihrer unglaublichen Präsenz und Energie allen anderen die Show stahl. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so alt werden muss, um berühmt zu werden", sagte sie damals der SZ. Humor war immer ihr Rezept gegen alle Widrigkeiten des Lebens und ist es bis zum Schluss geblieben.

Bloß keine Trauerkleidung

Als junge Frau stand Theodora Diehl selbst auf der Bühne, im "Simpl", aber auch im "Regina-Palasthotel" und in "Gondrells Bonbonniere". 1941 hatte sie die Abschlussprüfung vor der Reichstheaterkammer bestanden. Aus der großen Theaterkarriere, die sie sich erträumt hatte, wurde aber nichts. "Ich entsprach nicht dem damaligen Schönheitsideal." Sie hatte schwarze Haare, man riet ihr, sich nicht von der Seite zu zeigen, weil man sonst ihre "große Nase" sehe. Als Joseph Goebbels 1943 den "totalen Krieg" ausrief, wurden alle Theater des Landes geschlossen. Sie wurde schwanger, bekam zwei Töchter. Mit billiger Buttermilch, zehn Pfennig der Liter, in das sie Mehl einkochte, brachte sie ihre Familie über die Runden. Das sei immer die große Stärke ihrer Familie gewesen, sagt Theodora Diehl einmal: "Wir kämpfen uns immer wieder heraus."

Das Interesse an neuen Dingen erlahmte bei der feinsinnigen Dame, die noch so herrliche altmünchnerische Ausdrücke wie "hupfert" verwendete, nie. Mit 62 begann sie mit dem Modellieren von kleinen Tonfiguren und entdeckte mit fortschreitendem Alter ihre Begeisterung für das Bemalen von Moritatentafeln. Nach ihrem 80. Geburtstag fand sie es langsam an der Zeit, sich mal einen Computer anzuschaffen, der ihr wertvolle Dienste beim Verfassen ihres Buches leistete. Das Alter schien ihr nichts anhaben zu können. Sie war hellwach und fit, nur die Füße schmerzten oft. Ein kleines Elektromobil, ihr "Schneckerl", half ihr über längere Distanzen.

Am 3. August ist Theodora Diehl gestorben, zwei Tage nach ihrem 96. Geburtstag. Die Beisetzung findet am Mittwoch auf dem Friedhof Obermenzing statt, und wer die unerschütterlich optimistische "Dorli" Diehl kannte, wird nicht erstaunt sein, dass sie sich bei der Beerdigung Trauerkleidung strikt verbeten hat. Denn, wie es in ihrem Buch heißt: "So hart mein Leben auch oft war, so möchte ich keinen Moment missen."

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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