Gastronomie:Ein ganz ausgezeichnetes Wirtshaus

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Wirtin Jacqueline Heiß schaut ihrem Küchenchef und Freund Robin Grube beim Kochen über die Schulter. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bayernweit klagen Gastronomen über Personalmangel und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Anders in Vierkirchen: Dort läuft es für das Betreiberpaar vom "Zum Bräu" prächtig. Ein Besuch bei zwei, die dem Wirtshaussterben trotzen.

Von Marie Kermer, Vierkirchen

Es nieselt unangenehm an diesem Montagnachmittag Mitte August - ein leichter Windzug treibt einem Sprühregen ins Gesicht. Trotzdem muss man in Vierkirchen nicht mehr lange nach Gemütlichkeit suchen: Seit einem Jahr findet man sie im "Gasthof zum Bräu". Denn hinter der dunkelgrünen Eingangstür verbirgt sich sich ein charmanter Mix aus traditionell-bayerischer und moderner Dekoration, durchdrungen von warmen Deckenlicht. Eben ein Ort, der zum Verweilen einlädt.

"Griaß eich, ich bin die Jackie", begrüßt die Gastgeberin Jacqueline Heiß, 36, die Gäste und reicht eine zierliche, wie arbeitskräftige Hand. An diesem Tag trägt sie eine schwarze enge Hose, ein gleichfarbiges T-Shirt mit Hopfendolden-Emblem - das Logo der Wirtschaft - und Sneaker. Die dunklen Haare hat sie in tatkräftiger Manier zu einem Pferdeschwanz gebunden, unter dem Pony lächeln große blaue Augen hervor.

Heiß eröffnete die Gaststätte gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Alessandro Bönsch, 38, im vergangenen Herbst. Die einst selbstständige Finanzmanagerin arbeitet zuvor im "Mexicanos" in Markt Indersdorf - dann ließ sie ihren Traum vom eigenen Lokal wahrwerden. In dem denkmalgeschützten Gebäude war bis 1987 die Mayr'sche Brauerei Vierkirchen, später wurde es ein griechisches Restaurant. Als der Grieche schloss, ergriff Heiß ihre Chance. "Wir wollten wieder ein Wirtshaus draus machen."

Motto des Bräus ist laut Heiß "Bayerisch-regional", sie nennt es "back to the roots", also zurück zu den Ursprüngen. Damit möchte das Wirtspaar herkömmliche Esskultur weiterführen und sie mit frischem Flair beleben. Ein Blick in die Speisekarte verrät, womit man es zu tun hat: Neben traditionellen Gerichten wie Schweinekrustenbraten stehen dort auch lang vergessene Köstlichkeiten wie Stierhoden-Carpaccio. "Das findest du in den Lokalen gar nicht mehr", sagt Heiß, enthusiastisch darüber, wie ihre Gaststätte verloren geglaubte Küche revitalisiert. Das Fleisch dafür kommt übrigens aus der Metzgerei Kleber im nahegelegenen Petershausen. Mehr Regionalität geht nicht.

2021 zählt der Landkreis Dachau 33 Gaststätten weniger, als 2008

Trotz der kurzen Zeit scheint es recht gut zu laufen. Laut Heiß ist das Gasthaus meist gut gefüllt. Auch für diesen verregneten Montagabend sind rund 30 Reservierungen eingeplant. Ausreserviert ist Heiß, wenn alle 60 Plätze belegt sind.

Nicht in allen Gaststätten im Landkreis Dachau läuft es so gut. 2021 zählt der Landkreis 290 Gastronomiebetriebe - 2008 waren es noch 323. Schleichend verschwinden Wirtshäuser von der Landkarte. Erst kürzlich verkündete das Wirtspaar Andrea Schneider und Jürgen Vötter, dass der Dachauer Zieglerbräu schließen müsse. Damit sind sie nicht allein: 2018 schloss bereits das Wirtshaus in Großberghofen, 2019 folgte das Gasthaus zur Sonne in Odelzhausen und die Gaststätte Waldfrieden in Hebertshausen. Gründe gibt es viele, aber die meisten Wirte nennen diese zwei: eine sich zuspitzende wirtschaftliche Situation und organisatorische Hürden.

"Wir müssen aufhören, den Betrieben Zwangsjacken anzulegen"

"Die Grundvoraussetzungen im Gastronomie-Betrieb werden zunehmend anspruchsvoll", sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Gaststättenverbandes (Dehoga). Dabei machten sich insbesondere Personalmangel sowie steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten bemerkbar. Zusätzliche Ausgaben könne die Gastronomie aber nicht unbegrenzt auf ihre Gäste abwälzen - sonst kommen weniger. "Das ist fast eine toxische Mischung", sagt Geppert.

Hinzu kommen laut Geppert, ein verringertes Konsumverhalten und ein hoher bürokratischer Aufwand bei der Eröffnung. "Wir müssen aufhören, den Betrieben Zwangsjacken anzulegen und die richtigen Grundvoraussetzungen schaffen." Besonders kritisch spricht er sich gegenüber der geplanten Mehrwertsteuererhöhung aus - sie könne für viele Gaststätten das Aus bedeuten. "Dann haben wir nur noch Systemgastronomie an bestimmten Hotspots. Aber keine flächendeckende Wirtshauskultur mehr."

Das Wirtspaar Jacqueline Heiß und Alessandro Bönsch eröffneten die Gaststätte "Zum Bräu" vergangenen Herbst. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Danielle Heiß, Schwester der Wirtin, serviert Zwiebelrostbraten mit Kartoffeln. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Familie und Freunde von Wirt Alessandro Bönsch kommen im Bräu gerne zu Besuch. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Barmann Johannes Kellerer zapft ein frisches Bier. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Fragt man Heiß nach ihrem Geheimrezept gegen Personalmangel lautet ihre Antwort schlicht: "Die Leute wertschätzen". Dazu gehöre für sie: Auch selbst anpacken und die harte Arbeit nicht nur anderen überlassen. Für sie heißt das, dass sie als Chefin auch mal das Klo putzt. Außerdem packen im Bräu Freunde und Familie mit an.

Am Nachbarstisch serviert ihre Schwester Danielle Heiß Zwiebelrostbraten mit Kartoffeln. Die Gäste sind Verwandte des Wirts und kommen aus Vierkirchen. Sie freuen sich, dass es hier wieder ein Wirtshaus mit bayerischen Spezialitäten gibt. "Darauf haben in Vierkirchen alle gewartet", sagt Melanie Bauer und fügt hinzu: "Der Biergarten ist sehr wichtig für die Gemeinde."

"Die haben uns auf Herz und Nieren getestet"

Erst im Januar erhielt die Gaststätte ein Siegel für ihre "Ausgezeichnete Bayerische Küche" vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium sowie dem Gaststättenverband Dehoga. "Die haben uns auf Herz und Nieren getestet", sagt Heiß lachend und erzählt, wie das Komitee Lagerräume, Küche und Abfälle prüfte. Danach folgte eine Auszeichnung von "Gusto: Der kulinarische Reiseführer" mit fünf Pfannen - vergeben an Restaurants mit besonders erwähnenswerter Küche. "Das stärkt natürlich die Zusammenarbeit im Team", sagt Jacqueline Heiß.

Das Geheimnis hinter der ausgezeichneten Küche lüftet, wer einen Schritt in die Küche wagt. Hinter dem blankgeputzten Herd steht Robin Grube - ehemaliger Koch im Schloss Hohenkammer - und brät Kartoffeln. Zwei geübte Griffe und schon segeln gemahlener Pfeffer und eine Prise Salz auf das Gemüse. Mit der anderen Hand schwenkt er geschickt die Pfanne. "Robin ist ein guter Spezl von mir", sagt Heiß. Für sie ist das ein doppeltes Glück: Nicht nur kocht mit Robin Grube ein Freund in der Küche, er hat auch noch andere Köche mitgebracht. Dass es hier zwischen Herd und Backofen freundschaftlich zugeht, davon zeugen Fotos von Sauftiraden mit lustigen Sprüchen.

Zurück im Gastraum. Dort zapft Johannes Kellerer gerade Bier. Passend zur italienischen Musik, die im Hintergrund läuft, preist die Speisekarte, die auf dem Tresen vor ihm liegt, auch Weine aus der Vierkirchener Partnerstadt Genazzano an. Auf der Toilette lädt ein Flyer zum italienischen Abend im Bräu mit mediterranen Köstlichkeiten. Angst vor Experimenten scheint hier niemand zu haben.

Auch Geppert sieht gute Überlebenschancen für Wirtshäuser wie das Bräu. "Das klassische bayerische Wirtshaus hat Zukunft", sagt er. Wenn die Ausgangslage stimme, komme es darauf an die Bedürfnisse der Gäste zu verstehen. Dieses Paradigma scheint für Wirtin Heiß selbstverständlich zu sein. "Wir wollen für die Vierkirchner da sein", sagt sie und macht sich wieder an die Arbeit.

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