Wiederentdeckung:Wechselnde Identitäten

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Die Ausstellung "Alles Theater" im Dachauer Bezirksmuseum erzählt die Geschichte des Laienschauspiels. (Foto: Niels P. Joergensen)

Geistliche Spiele, Possen, Bauernkomödien: Die Ausstellung "Alles Theater" im Dachauer Bezirksmuseum zeigt auf, wie sich das Laienschauspiel auf dem Land entwickelt hat und welche Bedeutung es für die Bewohner hatte

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Manches dauert eben einfach etwas länger. Zum Beispiel die Wiederentdeckung eines in Dachau entstandenen und dort erfolgreich aufgeführten Theaterstücks. Fast 250 Jahre ist es her, dass die "Wundervolle Würkhung gött(licher) / allmacht. / Jn einer ar(m)en hirten=Magdt ... / Vorgestellt / Jn dem Churf(ürstlichen) Markht Dachau / mit / Erlaubnus eines Loblichen Magistrats / Von Einigen auß der Burgerschafft..." von der damaligen "Bürgerlichen Theatergesellschaft im Markt Dachau" erstmals gespielt wurde. Geschrieben hat das Historienspektakel um Johanna von Orleans der damalige Schulmeister Franz Paula von Kienast im Jahr 1770.

Nun sind die Autographen dieses und zweier weiterer Kienast-Bühnenstücke so etwas wie die Stars der aktuellen Ausstellung im Bezirksmuseum Dachau. "Alles Theater - Zur Geschichte des Laienschauspiels" heißt sie. Am Donnerstag war Vernissage. In deren Mittelpunkt standen nicht die Ansprachen von Oberbürgermeister Florian Hartmann und Kuratorin Ursula Nauderer, sondern ein feiner Schneider aus Frankreich, sein auffallend geschminktes Model, ein Dachauer Wirt und sein Schankbursche - alles Protagonisten aus der seinerzeit obligaten Zwischenakt-Posse des Johanna-Stücks.

Brigitte Fiedler, Edi Hörl, Andreas Wagner und Thomas Westermaier von der Ludwig-Thoma-Gemeinde Dachau spielten diese Kostprobe aus verloren geglaubten Theater-Schmankerln so gelungen, dass man einerseits gerne mehr davon gesehen hätte, andererseits aber umso neugieriger wurde, wie das Bezirksmuseum sich mit wechselnden Identitäten auseinandergesetzt hatte. Denn die Schau "Alles Theater" ist Teil einer Ausstellungsserie, die die Arbeitsgemeinschaft "Landpartie - Museen rund um München" (www.landpartie-muenchen-de) unter dem Motto "Identitäten" konzipiert hat.

OB Hartmann lud folgerichtig bei seiner Ansprache zur Landpartie in die neun beteiligten Museen und zum "Ausstellungsmarathon" in Dachau ein. Denn vom Freitag, 4. Mai, an zeigt die Neue Galerie "Wo mein Hut hängt - Zuhause zwischen den Kulturen". Am Freitag, 18. Mai, folgt die Gemäldegalerie mit "Baum-Bilder".

Doch erst einmal galt es im Bezirksmuseum, den gekonnt drapierten blauen Theatervorhang beiseite zu schieben und sich mit wechselnden Identitäten auseinander zu setzen. Der erste Akt verblüfft: Überlebensgroße - leider nur als Abbildungen zu sehende Passionsfiguren - und ein (echtes) bewegliches Passionskreuz. Für Nauderer sind sie eine wichtige Ergänzung zu den allerorten bis zu deren Verbot im Jahr 1770 aufgeführten geistlichen Spielen.

Waren diese doch Keimzellen heutiger Laienspielgruppen, von denen es Nauderer zufolge immerhin rund 40 im Landkreis gibt. Damit beantwortet sich fast von selbst die Identitäten-Frage: Die Darsteller verwandeln sich auf der Bühne in hohe Herrschaften oder profanes Dienstpersonal, identifizieren sich mit ihrer Rolle. Zudem "trug das Laienschauspiel auf dem Land umso deutlicher zur Identitätsstiftung bei, je stärker sich die traditionell dörflichen Strukturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auflösten", heißt es auf den großen Informationsfahnen, die viel Wissenswertes rund um lokale Theatergeschichte(n) vermitteln.

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So beispielsweise über die legendären Wiederaufführungen des "Birgittenspiels" in der Marktgemeinde Altomünster. Filmsequenzen zeigen, mit wie viel Aufwand diese vor bald 30 Jahren über die Bühne gingen. Und sie wecken viele Erinnerungen. Wie etwa beim Altomünsterer Theatergruppen-Chef Wolfgang Henkel. "Da habe ich mitgespielt, und die dritte Aufführung habe ich inszeniert", sagt er. Solche Reminiszenzen sind fast exemplarisch für die lebendige Tradition des engagierten und ambitionierten Laientheaters.

Der Weg vom geistlichen Schauspiel über das aktuelle Bürger- und Bauerntheater mit durchaus gesellschaftskritischer Prägung war jedoch nicht immer einfach. Das zeigt die Geschichte der schon erwähnten Kienast-Originale, die lange Zeit im Dachauer Stadtarchiv einen Dornröschen-Schlaf hielten. Ihnen hat Nauderer einen eigenen Raum gewidmet und die Raritäten sorgsam unter Glas verpackt. "Sie sind mein persönliches Highlight", sagt sie. Und erzählt, dass Franz von Paula Kienast (1731-1783) als 18-Jähriger die Schullehrer-Stelle nur erhalten habe, nachdem er die Witwe seines Vorgängers geheiratet habe. Das sei eine Einstellungsbedingung des Dachauer Magistrats gewesen.

Nach dem Tod seiner ersten Frau habe der leidenschaftliche Theatermensch selbst eine jüngere Frau geheiratet, mit der er dann elf Kinder gehabt habe. Solche Histörchen machen "Alles Theater" so lebendig. Die Ausstellung weckt aber auch Reminiszenzen an Spielstätten, die längst der Spitzhacke zum Opfer gefallen sind, wie etwa der Kraisy-Saal. Da stellt man sich beim Rundgang schon die Frage, was teurer gekommen wäre, die anstehende x-te Sanierung des Ludwig-Thoma-Hauses oder der Erhalt einer wunderbaren Spielstätte.

Das ist jedoch nur ein Seitenstrang dieser Theater(-ausstellungs)-Inszenierung. Denn liebevolle, künstlerisch anspruchsvolle Bühnenbilder von Märchenaufführungen und anderen Stücken für Kinder wecken Assoziationen an aufwendige Szenerien, in die beispielsweise das Theater am Stadtwald bei jeder Inszenierung eines neuen Stücks ungeheure Energien steckt. Wie sich überhaupt in dieser Ausstellung viele Fäden von der Vergangenheit ins Hier und Jetzt der Landkreis-Theaterszene spinnen. Auch das ist ein Stück Identitätsstiftung.

Alles Theater - Zur Geschichte des Laienschauspiels, Ausstellung im Bezirksmuseum Dachau. Geöffnet: dienstags bis freitags von 11 bis 17 Uhr, samstags, sonntags und an Feiertagen von 13 bis 17 Uhr.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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