Verkehrssicherheit:Rettender Blickwinkel

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Im April 2011 verunglückte ein Mädchen aus der Nachbarschaft tödlich. Gottfried Habersetzer spendet der Stadt Dachau drei Trixi-Spiegel, damit sich solche schlimmen Unfälle nicht wiederholen.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Es ist ungemütlich kalt und regnet in Strömen. Ein Auto nach dem anderen braust über die große Kreuzung der Münchner Straße, das Wasser aus den Pfützen spritzt in alle Himmelsrichtungen. Es wäre ein guter Tag, um schlechte Laune zu haben. Aber Gottfried Habersetzer ist gut drauf. Geschützt unter seinem Schirm beobachtet er, wie ein Mitarbeiter des Bauhofs einen runden Spiegel an der Ampel anbringt, an der die Autofahrer darauf warten, nach rechts in die Schillerstraße einzubiegen. Habersetzer hat der Stadt Dachau drei solcher Spiegel überlassen, der erste wird an diesem Tag angebracht. Es sind Trixi-Spiegel, entwickelt von Ulrich Willburger zur Überwindung des toten Winkels. Habersetzer hat sie gespendet, damit Unfälle wie der vom April 2011 nicht mehr passieren.

Ganz Dachau stand in jenen Wochen unter Schock. Die 14-jährige Johanna Niedermeier war ums Leben gekommen, erfasst von einem Lastwagen, als sie auf ihrem Fahrrad die Kreuzung Sudetenlandstraße und Theodor-Heuss-Straße überqueren wollte. Der Fahrer hatte sie beim Abbiegen übersehen. Gottfried Habersetzer wohnt nur ein paar Häuser von der Familie Niedermeier entfernt. Man kenne sich, erzählt er später bei einem Kaffee im Trockenen, wie es halt so ist in der Nachbarschaft. Habersetzer hat selbst drei Kinder. "Da geht's einem an die Nieren, wenn man solche Geschichten hört."

Wer vor einem Trixi-Spiegel an der Ampel steht, kann vor dem Abbiegen erkennen, ob sich jemand im toten Winkel befindet. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dann erzählt er, wie er eines Tages zufällig etwas im Fernsehen sah, das ihm Hoffnung machte. Eine Sendung über Trixi-Spiegel. Die leicht gewölbten, etwa einen halben Meter breiten Spiegel können ganz einfach an Ampelpfosten befestigt werden. Das Ergebnis: Wer an einer Kreuzung abbiegt, sieht darin auf einmal nicht nur sich selbst, sondern auch, wer sich neben ihm im toten Winkel befindet. Für Habersetzer war klar: "Die Kreuzung Sudetenlandstraße und Theodor-Heuss-Straße braucht einen solchen Spiegel."

Auf der anderen Seite des Café-Tisches sitzt Ulrich Willburger, der Erfinder der Trixi-Spiegel. Habersetzer hat ihn nach Dachau eingeladen. Die Spiegel hat er nach seiner Tochter benannt. Denn Willburger hat Ähnliches erlebt wie die Familie Niedermeier. 1994 wurde seine Tochter auf dem Schulweg von einem abbiegenden Betonmischer erfasst. Die damals 13-Jährige überlebte schwer verletzt. Zehn Jahre lang saß sie danach im Rollstuhl. Sie schloss ihr Astrophysik-Studium in neun Semestern mit Bravour ab, dank neuer medizinischer Methoden und mit eigener technischer Kreativität tastet sie sich langsam zurück ans Gehen.

Gottfried Habersetzer hat drei Trixi-Spiegel gespendet. Sie sollen "Johanna Niedermeier Gedächtnis Spiegel" heißen. (Foto: Stadt Dachau)

"Ich habe am Tag des Unfalls angefangen, über die Spiegel nachzudenken", sagt ihr Vater, "ich glaube, das war für mich eine Art der Aufarbeitung." Der zur Unfalluntersuchung beauftragte Gutachter sagte ihm, solche Unfälle könne man nicht vermeiden. Inzwischen vertreibt Willburger die Trixi-Spiegel nebenher, leben kann er davon nicht. Sie sind seine Mission. "Jeder Unfall, den wir damit verhindern können, ist es wert", sagt er. Dem Fahrer des Lastwagens, der seine Tochter erfasst hat, macht er keine Vorwürfe. Der habe keine Chance gehabt, das Mädchen im toten Winkel zu sehen.

Eigentlich, sagt Willburger, bräuchte es in einer Stadt wesentlich mehr als drei Spiegel, damit sie von den Verkehrsteilnehmern richtig wahrgenommen werden. In Freiburg hat er mehrere hundert installiert, auch in Münster, Osnabrück und ein paar bayerischen Städten hängen sie. In Dachau werden die drei Trixi-Spiegel nun erst einmal an anderen Kreuzungen angebracht als der, wo Johanna Niedermeier 2011 starb. Doch Habersetzer und Willburger wollen, dass auch dort noch einer installiert wird. Sie glauben nicht, dass dafür seit dem Umbau der Kreuzung kein Platz mehr ist. "Es ist sehr wichtig für die Familien zu sehen, dass sie nicht allein stehen und etwas getan wird", sagt Willburger. Das weiß er aus eigener Erfahrung. "Wir sind es der Familie Niedermeier schuldig."

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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