SZ-Adventskalender:Leben von 15 Euro in der Woche

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Kawa arbeitet an einem Imbissstand. Der 20-jährige liebt seinen Job, doch im Lockdown darf er dort immer nur für wenige Stunden tätig sein. Seine Einkünfte decken gerade mal die Miete für seine kalte 20-Quadratmeter-Wohnung. Das Geld für Essen muss er sich borgen

Von Eva Waltl, Dachau

Viele Menschen bekommen derzeit die Auswirkungen der Corona-Pandemie schmerzlich zu spüren: Kurzarbeit, Kündigung, finanzielle Notlage. Corona belastet alle, wie Irene Küsters von der Caritas Schuldnerberatung in Dachau erklärt: "Es trifft den Rentner, der sich ein bisschen was dazu verdient hat. Es trifft junge Menschen, die nebenbei gekellnert haben. Es trifft den Taxifahrer, dessen Fahrten wegfallen." Die Liste scheint endlos. Der SZ-Adventskalender unterstützt die Menschen in der Region, die Hilfe am dringendsten benötigen.

Das Coronavirus unterscheidet zwar nicht zwischen Arm und Reich, doch es leiden vor allem die Schwachen, deren Leben bereits vor dem Infektionsgeschehen nicht einfach war und die kaum Rücklagen haben. Sie werden bei Kurzarbeit oder Kündigung vor beinahe unüberwindbare Herausforderungen gestellt. Auch wenn die "große Welle noch nicht in Dachau angekommen" sei, wie Küsters erklärt, bemerke die Schuldnerberatung einen deutlichen Zulauf: "Der Andrang ist schon jetzt größer als im Vorjahr." Der 24-jährige Kawa (Name von der Redaktion geändert) ist einer dieser frühen Fälle, dem die Auswirkungen der Corona-Pandemie das Leben ungemein erschwert haben.

Seine Einzimmerwohnung hat kaum mehr als 20 Quadratmeter, es ist kühl. Bett und Schrank sind vorhanden und ein kleiner Kühlschrank, wenn auch leer. Eine Küchenzeile fehlt. Seit etwa zwei Monaten ist dieser Raum der Lebensmittelpunkt des 24-Jährigen. Er arbeitet zwei, maximal drei Stunden pro Tag in einem Imbissstand im Landkreis Dachau, wo er warme Speisen verkauft. Mehr Arbeitszeit ist derzeit coronabedingt nicht möglich. Die strengen Regelungen sind nicht nur ein Nackenschlag für viele Gastronomen, sondern treffen auch Kawas in seinem Angestelltenverhältnis, das nicht über die Geringfügigkeit hinausgehen kann. Kawa stellt sich dem täglichen Kampf und schlägt sich so gut es geht. Sein Einkommen reicht aber nicht aus, um die Kosten des täglichen Grundbedarfs zu decken.

"Ich bin dankbar, dass ich eine Arbeit habe", sagt der 24-Jährige. Auch wenn er sich wünscht, mehr Einsatz zeigen zu können. Kawa verdient 400 Euro pro Monat. Die Miete seines kleinen Zimmers beträgt ebenfalls 400 Euro. Zum Leben bleibt kein einziger Cent. Kawa spricht die Dinge klar aus. Keine Beschönigungen, kein Herumdrucksen, nur die traurigen Tatsachen. "Ich weiß nicht, wie ich all das ertragen kann." Er lebt erst seit wenigen Wochen im Landkreis. Die Wohnung hat ihm sein Arbeitgeber vermittelt. "Er ist sehr verständnisvoll und unterstützend", beschreibt ihn Kawa. Essen könne er im Laden, Geld muss er sich von Familie und Freunden borgen. Aktuell besitzt er 15 Euro. Das reiche ihm vielleicht für eine Woche.

Im Jahr 2015 kam Kawa mit seiner Familie nach Deutschland. Seinen Schulabschluss hat er im Irak absolviert. Dass er gut deutsch spricht, verdankt er jahrelangem Unterricht und seinem Fleiß. Er musste schnell erwachsen werden. Falls er je Kindheitsträume hatte, sind die verblasst. Er versucht zu überleben, möchte weitermachen. "Ich wünsche mir ein sorgloses Leben, irgendwann vielleicht sogar eine Familie." Ungeduldig erkundigt er sich nach der Uhrzeit. In zwei Stunden beginnt seine Schicht. Wenn er von seiner Arbeit im Imbissstand erzählt, tut er das mit Begeisterung. Er hofft, dass er dort in naher Zukunft eine Vollzeitbeschäftigung antreten kann. Von der Agentur für Arbeit erhält er weniger als 150 Euro. Er forderte einen neuen Antrag an, der noch in Bearbeitung ist. "Ich habe Geduld", sagt er. Ihm bleibt auch gar nichts anderes übrig.

Das Weihnachtsfest verbringt er aller Voraussicht nach alleine in seiner Einzimmerwohnung. Das S-Bahn-Ticket nach München könne er sich nicht leisten. Das stimmt ihn traurig. Aber Aufgeben kommt für den jungen Mann nicht infrage. "Ich bin froh, einen Platz zum Schlafen zu haben." Der SZ-Adventskalender hat keinen Einfluss darauf, ob Kawa bald eine Vollzeitbeschäftigung antreten kann, aber er vermag es zumindest, die allergrößte Not zu lindern. Für Kawa bedeutet dies eine Küchenzeile für seine Einzimmerwohnung, für sein Zuhause. Die Hoffnung gibt er so schnell nicht auf. "Ich habe schlimmere Zeiten erlebt. Und diese Situation kann auch nicht endlos anhalten."

© SZ vom 12.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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