Natur und Umwelt:Wäscheklammern im Wald

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Försterin Katharina Nauderer dokumentiert den Bestand. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Förster, Jäger und Waldbesitzer treffen sich östlich von Wiedenzhausen, um sich über den Zustand des Forstes auszutauschen. Anlass ist ein "Verbissgutachten", es soll auch dabei helfen, den Beschuss von Rehen besser zu planen.

Von Paula Klozenbücher, Sulzemoos

Mit einem mannshohen rot-weiß bemalten Stab bahnt sich Katharina Nauderer ihren Weg durch den mit kleinen Buchen, Fichten und Ahornbäumchen übersäten Wald nahe Wiedenzhausen. An einer Stelle bleibt sie stehen. Dort, wo jetzt der Stab in der Erde steckt, klemmt sie blaue und rote Wäscheklammern an die Bäumchen, die rund um den Stab wachsen.

Katharina Nauderer ist Dachauer Revierleiterin und Försterin in Wiedenzhausen und Sulzemoos. Die blauen und roten Klammern sind Teil des "Forstlichen Gutachtens zur Situation der Waldverjüngung 2024 in Bayern", das seit 1986 alle drei Jahre erstellt wird. Dabei stellen sich Menschen wie Nauderer die Frage, "welche und wie viele Bäume auf dem Weg nach oben verloren gehen".

Die Försterin erklärt, wie anhand von statistischen Stichproben die örtliche Situation der jungen Pflanzen ausgewertet wird. Das Gutachten gibt später anhand von "Ampelkarten" Empfehlungen für die sogenannte Abschussplanung der Wildtiere. Denn nur, wenn die Wildbestände "angepasst" sind - sprich nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige Tiere im Wald leben - verjüngen sich die Waldbäume auf ganz natürliche Weise, ohne jegliche Schutzmaßnahmen.

Neben Nauderer haben sich an diesem verregneten Nachmittag Mitte April noch sechs weitere Wald- und Wildbegeisterte in dem als Gemeinschaftsjagdgrund genutzten Wald östlich von Wiedenzhausen eingefunden. Gleich zu Beginn hüpft auch ein Reh an der gut getarnten Runde vorbei - in den Dialog will es dann aber doch nicht einsteigen.

"Ich kann schon verstehen, warum die Rehe sich die jungen Knospen aussuchen"

Dabei sind das Reh und seine Artgenossen mehr oder weniger der Grund für das Treffen: Da Rehe und andere Waldtiere an den jungen Bäumen nagen - im Fachjargon "Verbiss" genannt - kann der Wald nicht ohne Eingriffe zu einem starken Mischwald heranwachsen. Die Tiere gehen dabei nämlich selektiv vor und nicht immer im Sinne der Försterin. Als Katharina Nauderer sich aber zu den kleinen Pflanzen bückt und die Blätter zwischen ihren Händen hält, kann sie trotzdem kaum böse sein: "Ich kann schon verstehen, warum die Rehe sich ausgerechnet die jungen Knospen aussuchen: Die schmecken einfach zu gut und sind mit Energie vollgepumpt".

Doch wenn Rehe die kleinen Buchen oder Ahornpflanzen abknabbern oder Rehböcke Baumstämme mit ihrem Geweih "abfegen" und damit beschädigen, gefährdet das den Aufwuchs der Bäume. So werden die Jungbestände "entmischt" - das heißt weniger verbissgefährdete Baumarten wachsen nach. Dies wiederum führt zu anfälligeren Wäldern, die Käfern oder Extremwetter nicht standhalten können. In Zeiten des Klimawandels ein immer wichtigeres Thema, bei dem Weitsicht gefragt ist, wie der Forstdirektor Marc Schön weiß: Denn bis die Sprösslinge von heute groß sind, dauert es.

Die Verbissgutachten sollen Mischwälder erhalten helfen

Jene Verbissgutachten, die mit einer statistischen Methode erstellt werden, sollen dazu beitragen, dass in Bayern stabile Mischwälder erhalten oder neu geschaffen werden können. Marc Koch und Katharina Nauderer, die örtlichen Förster, erhoffen sich vom Treffen im Wald vor allem einen Dialog zwischen den anwesenden Waldbesitzern, Jägern und Jagdpächtern. Denn auch wenn sie nicht immer ganz einer Meinung sind, haben sie doch alle ein Ziel: einen gesunden Wald. Und den zu erhalten gelingt nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Begutachten den Zustand des Waldes: Marc Koch, Michael Lechner, Michael Schön, Clemens von Trebra-Lindenau und Georg Bichler (v.l.n.r). (Foto: Niels P. Jørgensen)
Untersuchte Jungpflanzen werden mit Wäscheklammern markiert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Georg Bichler, der Kreisjagdberater, arbeitet nicht nur im Landratsamt, sondern ist auch örtlicher Jagdpächter und seit 30 Jahren für den Bereich zuständig. Für Bichler gehört das Reh "zur Tradition dazu", die Jagd bedeutet für ihn gelebten Naturschutz. Michael Lechner ist Vorstand der Waldbesitzervereinigung in Dachau und bangt wie viele andere Waldbesitzer um Schäden an den Bäumen. Der Mann mit Hut erwartet keine guten Zahlen von der Verbissauswertung. Wenn es nach ihm gehe, sollten in den nächsten fünf Jahren mehr Rehe abgeschossen werden, um den Bestand zu regulieren und einen gesunden Wald zu garantieren. Auch der sinkende Holzpreis macht ihm Sorge. Für einen gesunden Waldkreislauf müsse man Bäume fällen. Doch wohin damit? Die Nachfrage nach Holz schwinde zunehmend.

Wie der Beschuss aussehen soll, da ist man sich uneins

Einig sind sich aber alle in einem Punkt: "Der Wald ist geplagt vom Klimawandel, er kann aber genauso die Lösung für Probleme sein", fasst es Marc Koch zusammen. Kreisjagdberater Clemens von Trebra-Lindenau stimmt man zu, dass die Art und Weise der Jagd Gutes und Schlechtes anrichten kann - nur wie der Beschuss genau aussehen sollte, da ist man sich uneins. Doch genau da will die bayerische Forstverwaltung den Jägern und Waldbesitzern mit dem Verbissgutachten mit einer objektiven Betrachtung Weitsicht verschaffen. Es lohnt sich also, auch bei miesem Wetter in den Wald zu kommen und sich ein Bild von der Lage zu machen.

Koch kann zwar noch keine Prognose zum diesjährigen Verbissgutachten geben, das soll erst im Herbst fertig sein. Er ist sich aber sicher, dass sich der Wald im Hinblick auf den Verbiss nicht deutlich verbessert hat: "Einige Jäger müssen die Verjüngung noch hinbekommen". Nach der Fertigstellung des Gutachtens können alle Beteiligten eine detaillierte Sichtung der Ergebnisse beantragen und diese mit ihnen im Detail besprechen, verspricht Försterin Nauderer, die auf Dialog setzt.

Nur einige Meter von der Stelle, wo die Gruppe zwischen den jungen Spitzahorn-, Buchen- und Eichenbäumchen steht, eröffnet sich eine große Kahlstelle. Aufgrund eines Schneebruchs im vergangenen Winter musste hier ein ganzes Stück Wald abgeholzt werden - zum Leidwesen aller Anwesenden.

Das Waldstück bestand an dieser Stelle vor allem aus Nadelbäumen. Es ist wohl der anschaulichste Beweis dafür, dass Mischwälder angesichts von Klimawandel, extremen Wetterausbrüchen und Käferbefall einfach besser dastehen. In Zukunft hoffen Marc Koch und die anderen Teilnehmenden deshalb hier auf einen heranwachsenden Mischwald - den hoffentlich die Rehe nicht vorher wegfuttern.

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