Ausstellung im Rathaus:Täuschend echt

Lesezeit: 3 min

Die Skulpturen, die der Bildhauer Jürgen Lingl aus Bronze und Holz fertigt, sehen täuschend echt aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Plastiken des im Landkreis aufgewachsenen Bildhauers Jürgen Lingl sind bis Ende Juli im Sulzemooser Rathaus ausgestellt. Die Skulptur eines Wolfs, der davor steht, ist so detailgetreu, dass so mancher Passant zweimal hinschauen muss.

Von Renate Zauscher, Sulzemoos

Lebensgroß, struppiges Fell, den Blick leicht gesenkt: So steht er da, der von Bildhauer Jürgen Lingl geschaffene Wolf vor dem Sulzemooser Rathaus. Vier Wochen, bis zum 30. Juli, sind er und rund 40 weitere Plastiken sowie ebenso viele Zeichnungen des in Dachau und Röhrmoos aufgewachsenen, heute in Frankreich lebenden Künstlers in Sulzemoos zu sehen. Vor Kurzem wurde die Ausstellung im Beisein zahlreicher geladener Gäste im Rathaus eröffnet.

Noch bevor die ersten Vernissagebesucher eingetroffen waren, radelten zwei Buben am Rathaus vorbei. Ihr Blick fiel auf den Wolf, sie drehten um und standen gleich inmitten der noch nicht offiziell eröffneten Schau: Staunend vor Löwen, Geparden und Jaguaren mit der Anmutung ganz und gar echter Tiere.

So wie den beiden Acht- bis Zehnjährigen geht es auch den erwachsenen Betrachtern von Lings Arbeiten. Sie lassen sich bezaubern von der Lebendigkeit der dargestellten Objekte. Letztere sind fast immer Tiere, nur gelegentlich menschliche Gestalten, wie die kleine Bronzefigur einer stehenden Frau oder zwei in Fichtenholz gearbeitete und in zarten Farben bemalte weibliche Büsten.

Dass Jürgen Lingl den Beruf eines freischaffenden Künstlers ergriffen hat, hängt ganz wesentlich mit seiner Schulzeit am Josef-Effner-Gymnasium in Dachau zusammen. Sein dortiger Kunstlehrer Rainer Schmeuser hatte den heute 51-Jährigen vor drei Jahrzehnten ermutigt, den durchaus risikobehafteten Schritt in Richtung eines Künstlerlebens zu wagen: Jemand mit so viel offensichtlichem Talent müsse ganz einfach diesen Weg gehen, befand Schmeuser.

Nachdem Lingls Bewerbung an der Akademie der Bildenden Künste in München abgelehnt wurde, entschied sich der junge Röhrmooser für eine praxisorientierte Ausbildung zum Holzbildhauer und lernte bei Hans-Joachim Seitfudem in Bad Kohlgrub die handwerklichen Voraussetzungen für sein heutiges Arbeiten.

Die Auseinandersetzung mit der klassischen Bildhauerei - die Zeit, in der es galt, Barockengel, Madonnen oder Krippenfiguren zu schnitzen, habe ihm "alles mitgegeben, was ich heute kann", sagt Lingl. Er sei deshalb seinem Lehrmeister ebenso dankbar wie seinen Eltern, die ihn in seinem Berufswunsch immer unterstützt hätten.

Einen ganzen Monat sind Werke von Künstler Jürgen Lingl (links) im Sulzemooser Rathaus zu sehen. Bürgermeister Johannes Kneidl kann sich also noch bis 30. Juli an ihnen erfreuen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Neben Lingls Plastiken sind auch zahlreiche seiner Zeichnungen ausgestellt. Viele davon sind im Lockdown entstanden, aus der "Lust am Zeichnen", wie der Künstler sagt. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Seine Bildwerke schafft Lingl entweder mit der Motorsäge und dem klassischen Schnitzeisen oder er modelliert sie in Ton, bevor er sie in Bronze gießen lässt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nach der Ausbildung entschied er sich rasch für ein selbstbestimmtes Künstlerleben - und musste mit Frau und Kindern zunächst einige harte Anfangsjahre überstehen. Er zog in die Schweiz, dann vor rund 24 Jahren nach Frankreich in die Nähe von La Rochelle am Atlantik. Allmählich entwickelten sich seine Kontakte zu Galerien und heute stehen Lingls Arbeiten an Orten wie dem Belgischen Parlament in Brüssel oder in Privatsammlungen "von den USA bis Singapur", wie es der Sulzemooser Bürgermeister Johannes Kneidl (CSU) in seiner Laudatio formulierte.

Seine Bildwerke schafft Lingl entweder mit der Motorsäge und dem klassischen Schnitzeisen oder er modelliert sie in Ton, bevor er sie in Bronze gießen lässt. Am Arbeiten mit der Kettensäge liebe er "das Schnelle und Skizzenhafte" und die Spuren, die die Säge hinterlässt. Manche Holzskulpturen, die als solche belassen werden und nicht in Bronze gegossen werden, bemalt er. Früher, sagt der Bildhauer, sei so etwas natürlich ein "No-Go" gewesen - auch wenn kirchliche Schnitzarbeiten oder auch griechische Plastiken und Tempel durchaus farbig gefasst worden seien.

"Was der Expressionist mit dem Pinsel macht, mache ich mit der Kettensäge"

An den Wänden des Sulzemooser Sitzungssaals hängen seine mitgebrachten Zeichnungen in Rötel, Bleistift oder Kohle auf Papier. Es handle sich nicht um Vorzeichnungen für seine Plastiken, sagt Lingl, sie seien vor allem während des Lockdowns, aus reiner "Lust am Zeichnen" entstanden.

Jürgen Lingl mache "Kunst, die man gern anschaut, die gefällt", sagt Johannes Kneidl, der selbst einen engen Bezug zu dessen Arbeiten hat. Gerade aber weil Lingls Naturalismus "gefällt", hat er von Seiten der Kunstkritik nicht immer nur Zustimmung erfahren. Ihm sei immer wieder vermittelt worden, so sagt er, dass für sein gegenständliches Arbeiten "in der offiziellen Kunstszene kein Platz ist". Diese Stimmen zu ignorieren sei nicht immer leicht gewesen. Mittlerweile aber lässt sich Lingl durch solche Kritik nicht mehr irritieren: Er geht seinen eigenen Weg und hat Erfolg damit. Dabei beruft er sich auf die Expressionisten Ende des 19. Jahrhunderts: "Was der Expressionist mit dem Pinsel macht, mache ich mit der Kettensäge."

Lingls künstlerischen Weg zeichnet ein Bildband mit Texten seiner heutigen Partnerin Birgit Fluk nach, den die Gemeinde Sulzemoos mit Hilfe verschiedener Sponsoren finanziert hat. Der Band, der für 59 Euro erworben werden kann, ist viel mehr als nur ein Ausstellungskatalog: Er umfasst über die aktuell gezeigten Plastiken und Zeichnungen hinaus auch zahlreiche frühere Arbeiten von Lingl. Noch am Abend der Ausstellungseröffnung gingen viele Besucher mit dem Band unterm Arm nach Hause: Wer sich keine der inzwischen hochpreisigen Skulpturen von Lingl leisten konnte, beschränkte sich erst einmal auf deren bildliche Wiedergabe.

Die Ausstellung "Jürgen Lingl - Holz - Bronze - Papier" ist noch bis Sonntag, 30. Juli, im Rathaus Sulzemoos zu sehen. Geöffnet ist die Schau von Montag bis Freitag jeweils von 9 bis 17 Uhr und an Samstagen und Sonntagen von 14 bis 18 Uhr.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWahl in Bayern
:Das Spiel um Wählerstimmen

Acht Landtagskandidaten treten bei "Mensch wähl mich" gegeneinander an. Auf Nachfrage fordert einer Bildungsurlaub für Familien, ein anderer eine Mietenbremse - und manchem fällt gar keine Antwort ein.

Von Jacqueline Lang

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: