Gesundheit:Kaffeekränzchen über ein Tabuthema

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Alexandra Keuthen vom Helios Amper-Klinikum Dachau zeigt den hautfarbenen Beutel, der bei Stoma-Trägern im Hüftbereich klebt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Betroffene sprechen bei einem Stammtisch darüber, wie es sich mit einem künstlichen Darmausgang lebt. Beraterin Alexandra Keuthen vom Amper-Klinikum ermutigt sie, dass das Leben mit Stoma gut möglich ist.

Von Anna Schwarz, Markt Indersdorf

Kurz blubbert der hautfarbene Beutel im linken Hüftbereich der 41-Jährigen, ein bisschen klingt das wie Magengrummeln. Sie entschuldigt sich und lacht kurz. "Da ist wohl gerade zu viel Luft drin", das sei aber normal, sagt die Frau, die eine schwarze Jeans und eine Brille mit schmalem Goldrahmen trägt. Vor ihr steht eine große Tasse Kaffee, sie sitzt beim Stoma-Stammtisch im Nebenzimmer des Café Bumbaurhof in Markt Indersdorf. Es wird gelacht, Kuchen gegessen und geratscht, wie es eben bei einem Kaffeeklatsch üblich ist, doch hier haben alle zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines gemeinsam: Sie haben ein Stoma, also einen künstlichen Darmausgang.

Ein Stoma ist eine Öffnung in der Bauchdecke und schafft eine Verbindung zum Darm, dessen Inhalt läuft dann in den hautfarbenen Beutel, der im rechten oder linken Hüftbereich am Bauch klebt. Der Beutel ist in etwa so groß wie eine Hand, mit einem Klebestreifen verschlossen und wird auf der Toilette entleert. Er ermöglicht den Stoma-Trägern ein neues Leben. Bei dem Treffen können sie sich über ihren Alltag damit austauschen - ein Thema, das im Rest der Gesellschaft oft ein Tabu und noch schambehaftet ist.

Die meisten tragen weite Kleidung über ihrem Beutel. Enge Tops ziehe sie nicht mehr in der Öffentlichkeit an, sagt die 41-Jährige. In der geselligen Runde spricht sie offen über ihr ihren künstlichen Darmausgang, in der Zeitung will sie ihren Namen aber nicht lesen. Früher arbeitete sie als Marketing-Managerin, doch dann bekam sie Gebärmutterhalskrebs und erlitt vor rund vier Jahren einen Darmbruch, der ihr ganzes Leben verändert hat. In dieser Zeit gab es Tage, an denen sie ihr damaliges Zuhause in München nicht verlassen konnte, sie schaffte es nicht mal bis zur Straßenbahn, weil sie 20 bis 30 Mal am Tag auf die Toilette musste. Dann entschied sie sich für das Stoma: "Für mich war das auch ein Weg zurück in ein normales Leben."

Doch nach der Stoma-OP stellen sich für Betroffene viele Fragen: Kann ich mit diesem Beutel im Hüftbereich noch reisen? In die Sauna oder schwimmen gehen? Darum geht es auch beim Stammtisch, organisiert wird er von Alexandra Keuthen, weißer Häkelpullover, schwarze Rundbrille.

"Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich den Beutel akzeptieren konnte"

Sie ist gelernte Krankenschwester und Pflegeexpertin für Stoma, Kontinenz und Wunden am Helios Amper-Klinikum Dachau. Sie erzählt, dass die meisten Stoma-Träger zwischen 30 und 80 Jahre alt sind, viele von ihnen hatten eine entzündliche Darmerkrankung, wie Morbus Crohn oder Darmkrebs. Mit dem künstlichen Darmausgang sind aber meist auch psychische Belastungen verbunden, sagt Keuthen. Einige Betroffene würden sich anfangs aussätzig fühlen, befürchten etwa, dass der Beutel irgendwann unangenehm zu riechen beginne. Das sei aber Quatsch, wenn man ihn jeden Tag wechsle, außerdem sei darin ein Kohlefilter, der verhindert, dass irgendwas zu stinken anfange, erklärt sie.

Trotzdem hatte auch der 67-jährige Josef Flamensbeck aus Schrobenhausen anfangs Bedenken. Er ist das erste Mal hier und hat das Stoma seit einer Darmentzündung vor rund einem Jahr - und vermutlich bleibt es ihm für immer, wie der Mann im orangefarbenen Pullover und den braunen angegrauten Haaren sagt: "Es hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert, bis ich den Beutel akzeptieren konnte." Nur beim Motorradfahren müsse er jetzt immer mitdenken, dass er an genügend Toiletten vorbeikomme, wo er seinen Beutel entleeren kann. Auch beim Weintrinken muss er mehr aufpassen, weil die Weinsäure den Klebestreifen an dem Beutel aufweichen kann. Hierher gekommen sei er, weil er von erfahrenen Stoma-Trägern lernen wolle. "Hier kann man offen darüber sprechen", sagt auch die 79-jährige Dame mit der Perlenkette neben ihm, die Darmkrebs hat.

Lachen gegen die Scham

Oft wird in der Runde gekichert, es hilft, über die eigene Scham zu sprechen. Ein 78-Jähriger in blauem Karohemd erzählt zum Beispiel, dass er das Stoma schon seit über zehn Jahren hat, aber seitdem nicht mehr beim Baden im See war, obwohl er das früher immer gerne gemacht hat: "Ich mag einfach nicht, dass jemand den Beutel sieht", erzählt er. "Bist g'schamig?", fragt die 41-Jährige auf Bayerisch. "Wahrscheinlich", antwortet er und grinst. Sie empfiehlt ihm, eine etwas höher geschnittene Badehose zu tragen, unter der man den Beutel verstecken könne.

Auch auf Saunabesuche, Sport oder Reisen müssten Betroffene nicht verzichten, sagt Pflegeexpertin Alexandra Keuthen, man müsse nur genügend Wechselbeutel mitnehmen. Eine Stoma-Trägerin im Streifenshirt erzählt, dass sie bei der Kontrolle am Flughafen schon mal gefragt wurde, was sie da im Hüftbereich trage: "Aber dann habe ich einfach gesagt, dass es ein Stoma ist und durfte durchgehen", erzählt sie. "Ein Stoma zu haben, ist eben kein Weltuntergang", erzählt Keuthen, als Beraterin wolle sie Betroffenen klarmachen: "Man kann gut damit leben." Und: Es ist kein Tabu, darüber zu sprechen.

Der nächste Stoma-Stammtisch ist am Mittwoch, 13. Dezember, von 15 bis 17.30 Uhr im Café Bumbaurhof in Markt Indersdorf.

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