Stellenabbau beim Lkw-Hersteller:"Kulturbruch bei MAN"

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Die Konzernspitze kündigt die Jobgarantie für 9000 Beschäftigte auf, der Betriebsrat des Münchener Werkes ist über das Vorgehen entsetzt. Die Mitarbeiter, darunter 2200 aus dem Landkreis, bangen um ihren Arbeitsplatz

Von Christiane Bracht, Karlsfeld/Dachau

An diese Tage wird sich der Betriebsratsvorsitzende Saki Stimoniaris einmal als an die schwersten seines Berufslebens bei MAN erinnern: Es geht um die Jobs von 9000 Mitarbeitern, darunter ungefähr 2200 aus dem Landkreis Dachau - es geht um ihre Zukunft. Die Unternehmungsführung hat jetzt den Weg für die geplanten betriebsbedingten Kündigungen freigemacht - die Verträge, die eine Jobgarantie bis zum 31. Dezember 2030 gewährten, sind zum 1. Januar 2021 gekündigt worden. Saki Stimoniaris hat es natürlich kommen sehen, es wurde ja deutlich gesagt. Dennoch ist es für ihn kaum zu glauben - Stimoniaris fasst das, was am Münchner Standort des Nutzfahrzeugherstellers gerade abgeht, in einem Wort zusammen: "Kulturbruch."

IG Metall-Betriebsräte und Belegschaft hätten sich in der Vergangenheit stets an Vereinbarungen gehalten. "Dasselbe müssen wir auch von unserem Unternehmen erwarten können", sagt Stimoniaris. "Der Konzernvorstand macht einen großen Fehler", sagt er empört im Gespräch mit der SZ. "Wir werden für unsere Rechte kämpfen. Wir lassen nicht zu, dass unsere MAN abgewickelt wird." Sein Wort vom Kulturbruch verweist auf den bemerkenswerten Firmenhintergrund: Jahrzehntelang identifizierten sich die Beschäftigten mit ihrem Unternehmen, mehrere Generationen von Familien, auch aus dem Landkreis, waren bei MAN beschäftigt - und sie waren stolz darauf, lange Zeit bevor der neudeutsche Begriff der Corporate Identity aufkam, der das Selbstbild eines Unternehmens mit ausgeprägten sozialen Merkmalen bezeichnet - oder anders ausgedrückt: Die Mitarbeiter sind für ihre MAN-Familie durchs Feuer gegangen, wie ein Betriebsrat sagt. Unter den 9000 Mitarbeitern am Münchner Standort, also an der Gemeindegrenze Karlsfelds und in der Stadt Dachau, geht jetzt nur noch Angst um. Jeder Zweite von ihnen müsste gehen, wenn der Vorstand, wie angekündigt, 9500 Stellen streicht.

Die Art, wie der Vorstand sich schon vor den eigentlichen Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite positioniere, ja Tatsachen schaffe, "ist ein Novum", sagt IG Metall-Vorstand und stellvertretender MAN-Aufsichtsratsvorsitzender Jürgen Kerner der SZ. "Es zeigt, wie viel Druck auf dem Kessel ist, wie groß die Misswirtschaft der letzten Jahre war und wie dramatisch die Situation jetzt ist." Man müsse den Konzern dringend zukunftsfähig machen, auf neue Technologien setzen. "Denn jeder weiß, dass Dieselmotoren in Misskredit sind." Das habe der Betriebsrat schon lange im Aufsichtsrat eingefordert, sagt er. Dass etwas schiefgelaufen sei, könne man also nicht den Arbeitnehmern anlasten.

Die Beschäftigten wären bereit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen - doch auf Augenhöhe, "ohne Druck und ohne Angst", so der IG Metaller. "Wenn alles im Konflikt läuft, kann man nicht viel ausloten. Und es ist schon einiges Porzellan zerschlagen." "Wir haben kein Interesse an einer Eskalation", sagt Stimoniaris. Doch bisher kann von Deeskalation keine Rede sein. "Der Vorstand will mit dem Kopf durch die Wand", sagt Kerner. Man müsse zum früheren Miteinander zurückfinden. "Es besteht eine Distanz zwischen Management und Belegschaft - eine emotionale Distanz", sagt Kerner. Die Zeiten haben sich geändert. Früher kam ein Teil des Vorstandes aus den Reihen der MANler. "Stolze Truckbauer, die positive und schlechte Zeiten erlebt haben und gern auf eine lange Tradition zurückschauen." Der jetzige Vorstandsvorsitzende habe keine Verbindung zu MAN. Er könne auch Scania restrukturieren. Für die Umstellung der schweren Trucks auf Wasserstoffmotoren oder Brennstoffzellen brauche man gerade die Jungen. Doch nach einem "Kahlschlag" könne MAN nicht erwarten, dass die Leute zusammenstehen und die Ärmel hochkrempeln, um den Konzern wieder in die Spur zu bekommen. Stimoniaris sagt: "Wir sind offen für Gespräche zur anstehenden Restrukturierung. Die Rechte und Interessen der Belegschaft müssen an erster Stelle stehen." Noch in dieser Woche sollen die Gespräche beginnen.

© SZ vom 01.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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