Röhrmoos:Wer hat den Mut zur Inklusion?

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Das Franziskuswerk startet das erste Wohnprojekt von behinderten und nichtbehinderten Menschen im Landkreis und sucht noch dringend Interessenten für ein eigens neu gebautes Haus.

Rudi Kanamüller

Helmut Westermeier, Maximilian Schmid und Michael Meier freuen sich schon darauf, in das Inklusions-Haus in Großinzemoos einziehen zu können. (Foto: Franziskuswerk)

Was auf dem Papier längst möglich ist, das wird jetzt auch im Alltagsleben mehr und mehr umgesetzt: Nicht nur die Teilhabe behinderter Menschen am ganz normalen öffentlichen Leben, sondern auch der selbstbestimmte Wunsch nach einer eigenen Wohnung. Im Mai wagen mehrere Bewohner der Behinderteneinrichtung Schönbrunn den mutigen Schritt in die Selbständigkeit. Sie gründen in einem Sechs-Familienhaus in Großinzemoos mehrere Wohngemeinschaften. Aber Inklusion bedeutet auch, dass nichtbehinderte Menschen in einem solchen Haus wohnen, damit eine wirkliche Gemeinschaft entsteht; es wäre die erste im Landkreis Dachau. Dafür sucht das Franziskuswerk nun aufgeschlossene Mieter. Es geht also um eine Antwort auf die Frage: Wer hat den Mut zur Inklusion?

In drei Wohnungen wollen Menschen mit Behinderungen einziehen. Der älteste Bewohner ist 75 Jahre alt, sagt Manuela Streich. Er habe zuvor 55 Jahre in einer Schönbrunner Wohngruppe gelebt, und "will es jetzt noch einmal außerhalb probieren". Die anderen WG-Mitglieder sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. In zwei Wohnungen werden jeweils zwei Männer, in die dritte Wohnung zwei junge Frauen einziehen. Dabei gehe es nicht darum, in Schönbrunn "Plätze abzubauen", beugt Pressesprecher Tobias Utters möglicher Kritik vor. Und Michaela Streich, die im Franziskuswerk in Schönbrunn für alles zuständig ist, was die sozialen Dienste und Einrichtungen betrifft, ergänzt: "Wir wollen mit diesem Angebot unterschiedliche Wohnformen anbieten." Denn bislang hätten die Menschen mit Behinderung in Schönbrunn nur in Wohngruppen mit sechs bis zwölf Mitgliedern gelebt.

Das Programm, auf das nicht nur die Mitarbeiter und Bewohner der Schönbrunner Einrichtung recht stolz sind, heißt "Wohnen, wie ich mag." Der Anspruch gründet sich auf der UN-Charta zur Inklusion, die im Jahr 2009 auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden ist. Demnach müsse es auch für einen Rollstuhlfahrer möglich sein, genauso ohne Einschränkung eine Theatervorstellung besuchen zu können, ebenso der Wunsch eines geistig behinderten Menschen auf größtmögliche Selbständigkeit in einer Wohnung. Der Wunsch nach Eigen- und Selbständigkeit wird versucht, zusammen mit den Behinderten zu erfüllen. Natürlich, so Utters, werde in diesem Zusammenhang geschaut, wie der Zustand einer Wohnung ist, ob sie verkehrsgünstig liegt und barrierefrei ist.

Was die Wohngruppen in Großinzemoos betrifft, handelt es sich um "ambulant begleitetes Wohnen". Die Leute müssen beispielsweise selbst kochen oder müssen einkaufen gehen. Sie bekommen aber die Assistenz, die sie zur Bewältigung ihres Alltags brauchen. Utters: "Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Was kannst du alleine machen." So seien Betreuer in den Wohngemeinschaften nicht ständig anwesend. In diesem Zusammenhang berichtet Utters auch von einer "erfreulichen Entwicklung". Sei es früher extrem schwierig gewesen, Wohnungen für behinderte Menschen anzumieten, würden immer häufiger Vermieter auf das Franziskuswerk zugehen, die Wohnraum anzubieten haben.

Was nun das neue Wohnprojekt in Großinzemoos betrifft, sagt Michaela Streich zur Dachauer SZ, seien dort noch zwei Wohnungen frei, die angemietet werden könnten. Dabei handelt es sich um eine 79 Quadratmeter und eine 66 Quadratmeter große Wohnung. Für beide Wohnungen, so sagt die Schönbrunner Geschäftsfeld-Leiterin für soziale Dienste und Einrichtungen, würden "aufgeschlossene Mieter" gesucht, die gerne in einer ungewöhnlichen Nachbarschaft leben und wohnen möchten. Streich: "Was wir wollen ist eine organisierte Nachbarschaft, bei der man auch mal etwas zusammen macht oder gemeinsam unternimmt."

In Schönbrunn selbst setzt das Franziskuswerk auf Veränderung. Dort will Geschäftsführer Markus Tolksdorf die Idee eines Modelldorfs umsetzen. Warum, so fragt er, sollen sogenannte normale Menschen nicht nach Schönbrunn ziehen, um dort ein ganz neues Miteinander mit den Behinderten zu leben. So sollen die mehrstöckigen Wohnblöcke zurückgebaut und durch kleinere Bauten ersetzt werden. Der erste Entwurf des Dachauer Architekturbüros Khuon sieht eine "vielgestaltige Bauweise" vor, in der Plätze entstehen, Gemeinschaftsräume und ein Kulturzentrum.

© SZ vom 04.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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