München:Jeder Mensch hat einen Namen

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Blick in die zerstörte Synagoge in der Reichenbachstraße. (Foto: SZ)

Mit einer Lesung wird an die Opfer der Pogrome erinnert

Von Jacqueline Lang, München

Das schlimmste Verbrechen ist das Vergessen. Wie in jedem Jahr erinnert deshalb die Israelitische Kultusgemeinde München gemeinsam mit dem Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" und der "Arbeitsgruppe Gedenken an den 9. November 1938" an diesem Donnerstag an all jene Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet und verfolgt worden sind. In Zeiten, in denen wieder häufiger von dem einen Deutschen Volk und der Angst vor Überfremdung die Rede ist, scheint ein solches Zeichen gegen Antisemitismus und rechtes Gedankengut wichtiger denn je zu sein.

München, von Adolf Hitler im Frühjahr 1934 zur "Stadt der Bewegung" ernannt, kommt im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht nicht nur als Landeshauptstadt eine tragende Rolle zu: Der Befehl zum Zerschlagen von Schaufenstern jüdischer Kaufleute und dem Anzünden von Synagogen ging vom Alten Münchner Rathaus aus, wo Goebbels und seine Gefolgsleute an diesem Abend den gescheiterten Hitler-Putsch vom 9. November 1923 feierten. Es wurden Geschäfte und öffentliche Einrichtungen in dieser Nacht zerstört, viele unschuldige Menschen wurden von Einheiten der Sturmabteilung, sowie Polizisten und Feuerwehrmännern verletzt und getötet - und das war erst der Anfang.

Rückblickend markieren die Pogrome den Übergang von der Diskriminierung bis hin zur systematischen Verfolgung von Juden, die nur drei Jahre später im Holocaust ihren schrecklichen Höhepunkt fand. Im Mittelpunkt der Gedenkfeierlichkeiten zum 79. Jahrestag der Reichspogromnacht stehen in diesem Jahr mehr als 250 jüdische Kulturschaffende, die zu jener Zeit in München gelebt haben. Bis 1933 waren sie alle vollwertige Mitglieder der Stadtgesellschaft, doch unter dem NS-Regime wurden ihre Werke diffamiert und ihnen fast jegliche Möglichkeit zur Ausübung ihrer kreativen Arbeit genommen.

Zu den Betroffenen zählten unter anderem Konzertmeister Julius Blankensee, Schriftstellerin Carry Brachvogel, Opernsängerin Dina Marx, Autorin Martha Maria Lichtwitz-Düren und Zeichenlehrerin Irmgard H. Spiegelberg. Die Veranstaltung heißt "Jeder Mensch hat einen Namen". Durch das Verlesen aller Namen soll die Erinnerung an die vielen Einzelschicksale wach gehalten werden. Gleichzeitig stehen ihre Namen aber stellvertretend für alle Opfer des Nationalsozialismus.

Eröffnet wird die Lesung um 14 Uhr von Kulturreferent Hans-Georg Küppers, Petra Reiter und Luise Kinseher. Im Anschluss werden die Namen und Biografien von prominenten Persönlichkeiten der Gegenwart aus Film, Musik und Literatur am Gedenkstein der alten Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße verlesen. Zu den Vorlesenden zählen namhafte Mitglieder der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, unter anderem die Schauspieler Mario Adorf und Senta Berger, Regisseurin Doris Dörrie, Schriftsteller Gert Heidenreich, Sängerin Anne Sofie von Otter und Komponist Tobias Schneid. Die Lesung endet gegen 17.30 Uhr.

Im Anschluss findet von 19 Uhr an eine Gedenkstunde im Saal des Alten Rathauses statt, die von Schirmherr und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch eröffnet wird. Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums Professor Winfried Nerdinger hält einen Vortrag zum Thema Bedeutung und Formen der Erinnerung. Das Philharmonische Streichquartett München wird einige Stücke darbieten, unter anderem von dem 1944 in Auschwitz-Birkenau verstorbenen Komponist Viktor Ullmann.

Begleitend finden zudem am 9. und 10. November jeweils von 11 bis 17 Uhr geführte Stadtrundgänge entlang der Wohnungen von verfolgten jüdischen Bürgern statt. Startpunkt hierfür ist der Torbogen des Alten Rathauses am Münchner Marienplatz. Über die Löwengrube, entlang der Kaufingerstraße und der Neuhauser Straße führt der Weg der Erinnerung bis zur Herzog-Max-Straße, wo die Führung endet. Die Führungen dauern in etwa eine Stunde. Um eine vorherige Anmeldung mit Nennung des Wunschtermins über rag-muenchen@gegen-vergessen.de oder bayernforum@fes.de wird gebeten.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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