Landtagskandidat Michael Krämer:Bekenntnisse eines Aussteigers

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Michael Krämer war auch schon bei den Piraten, die ÖDP lehnte seinen Mitgliedsantrag ab. In der Tierschutzpartei ist er recht schnell aufgestiegen. (Foto: Toni Heigl)

Michael Krämer war bis in die Achtzigerjahre Mitglied der NPD. Dann brach er mit der rechten Szene und suchte eine neue politische Heimat. Nun kandidiert er in Dachau für die Tierschutzpartei. Über seine Vergangenheit redet er ganz offen

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Um zum letzten Mal den großen Neonazi zu markieren, lügt Michael Krämer. Der Hessentag am 7. Juni 1986 steht kurz bevor. Krämer gibt vor, in seinem Heimatort Dillenburg den Parteitag der "Freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei" (FAP) organisieren zu wollen, des damals schlagkräftigsten neonazistischen Trupps in Westdeutschland, bei dem Krämer selbst mitgemischt hat. Dabei hat er von den FAP-Anführern nie einen solchen Auftrag erhalten. Es ist überhaupt kein Parteitag geplant. Doch Krämer will Spaß haben. Für ihn heißt das: provozieren.

Er verlangt vom damaligen Bürgermeister, den Rechtsradikalen die Stadthalle zu überlassen. Als er diese nicht bekommt, droht er dem Rathauschef "Dillenburg unregierbar zu machen". Er ruft zum Hessentag auf. Dieser werde "zu einem Fanal für die Befreiung des Deutschen Reiches und die Wiedererweckung des germanischen Blutes werden". Damals ist Krämer fast 27 Jahre alt. Heute, 32 Jahre später, sagt Krämer: "Das war die dümmste Aussage, die ich jemals in meinem Leben gemacht habe."

Michael Krämer ist ein Aussteiger aus der rechten Szene. Tief steckte er im braunen Sumpf und hat sich Stück für Stück herausgezogen. Nun kandidiert er bei den Wahlen für den Landtag und Bezirkstag für die Tierschutzpartei im Stimmkreis Dachau. Doch wie geht das zusammen? Wie kann einer vom überzeugten Nazi zum engagierten Tierfreund werden?

"Es war falsch, es war ein Fehler. Ich war politisch und menschlich ein Idiot."

An einem Vormittag sitzt der Michael Krämer der Jetztzeit in einem Dachauer Café. Der grüne Tee, den er sich bestellt hat, wird kalt, weil es nur so aus ihm heraussprudelt. Der Vater von vier Kindern will seine Geschichte erzählen. Auf seinem Profil bei abgeordnetenwatch.de steht: "Seit rund 30 Jahren überzeugter Aussteiger aus der rechten Szene." Das Wort "überzeugt" ist in Großbuchstaben geschrieben.

Krämer will Klartext reden: "Ich stehe dazu: Ich bin in den Achtzigerjahren eine braune Socke gewesen. Es hat mir Spaß gemacht, es war dumm. Es war falsch, es war ein Fehler. Ich war politisch und menschlich ein Idiot."

Krämer wächst in den Siebzigern in der mittelhessischen Kleinstadt Dillenburg auf. Die Achtundsechziger prägen den politischen Diskurs. Bei jungen Menschen ist es angesagt, links zu sein. Doch der junge Krämer hat andere Vorbilder als Che Guevera und Mao. Er klebt Aufkleber von Franz-Josef Strauß. Schulkameraden verspotten ihn als Konservativen. Als er sich noch bei der Bundeswehr verpflichtet, nennen sie ihn einen "Nazi".

Anfang der Achtzigerjahre wird er nach Bayern versetzt. In München kommt er in Kontakt mit der rechten Szene. Schließlich wechselt er vom rechten ins rechtsextreme Lager und tritt in die NPD ein. Viele hätten ihn ständig als "böser Strauß-Fan und böser Soldat" beschimpft, sagt er. "Ich habe gedacht: Dann mache ich es halt richtig." Krämer fühlt sich provoziert und geht in die Offensive. Er will es allen zeigen. Alles oder nichts. Das wird seine Taktik in den kommenden Jahren sein.

"Für den Nationalsozialismus gibt es keinerlei Entschuldigung und keine Möglichkeit, irgendetwas schön zu reden."

Er driftet weiter nach rechts, will tiefer einsteigen in die Szene. Er trifft das Who-is-Who der westdeutschen Neonazi-Szene der Achtzigerjahre, wie deren Anführer Michael Kühnen oder Thomas Brehl. Beide leugnen den Holocaust, sie sind die führenden Köpfe der Ende der Siebzigerjahre gegründeten "Aktionsfront Nationaler Sozialisten", eine Organisation, die sich als Fortführung der NSDAP versteht und die antisemitischen Rassegesetze des "Dritten Reichs" befürwortet. Krämer ist einer von ihnen. Und er ist überzeugt vom Nationalsozialismus.

Heute sieh er das natürlich anders. "Für den Nationalsozialismus gibt es keinerlei Entschuldigung und keine Möglichkeit, irgendetwas schön zu reden."

Der Michael Krämer der Gegenwart ist ein Mann, der seine politische Heimat nach langer Suche gefunden haben will. Nach seinem Ausstieg aus der harten rechten Szene Ende der Achtziger beginnt seine Odyssee durch das Parteienspektrum. Er ist ein Wanderer, den es nirgendwo lange hält. Von 1986 bis 1989 war er Mitglied bei den rechtsextremen Republikanern. In den Neunzigern versucht er einmal vergeblich, bei der ÖDP anzuklopfen, die den Eintritt in die Partei aber wegen seiner Vergangenheit ablehnt. Die Bayernpartei dagegen hat damit keine Probleme. Dort bleibt er von 2000 bis 2005. Als die Piraten auf der Bildfläche erscheinen, will Krämer bei der Kleinpartei anheuern und erzählt sofort seine ganze Lebensgeschichte. Die Piraten beraten und begrüßen in an Bord. Doch auch dieses Engagement bleibt nur ein Gastspiel.

Schließlich stößt er bei der vergangen Europawahl auf die Tierschutzpartei. Krämer schreibt eine lange E-Mail, in der er der Partei seine Vergangenheit offen darlegt. Es wird diskutiert, ob man einen ehemaligen Neonazi aufnehmen soll. Laut Krämer musste der Bundesvorstand darüber abstimmen. Das Ergebnis: Er darf eintreten. Inzwischen ist er Beisitzer im Landesvorstand.

Jetzt im Café spricht er davon, dass man mehr für den Schutz von Tieren und der Umwelt tun müsse und dass er Autos in der Münchner Innenstadt am liebsten verbieten würde. Wenn Wespen um ihn herumschwirren, bleibt er ruhig, bis sie wegfliegen. Zur Begrüßung schenkt er einem ein Buch mit dem Titel "Der Club der Idealisten. Über die Kunst, an das Gute zu glauben (auch wenn so ziemlich alles dagegen spricht)". Krämer sagt: "Ich will, das es alle wissen und wünsche mir, dass mir jemand zu meiner Geschichte eine Frage stellt."

Auch wenn Krämer nicht glaubt, dass ihm seine Neonazi-Vergangenheit im Wahlkampf schaden wird - für ihn als Politiker der Tierschutzpartei ist es durchaus politisch riskant, so offen darüber zu sprechen. Die Tierschutzpartei stand schon öfter in der Kritik wegen der Nähe zu Leuten aus der rechten Szene. Bei einer Kommunalwahl in Düsseldorf erreichte die Spitzenkandidatin der Tierschutzpartei einen Sitz im Stadtrat. Sie bildete eine Fraktion mit den Freien Wählern. Deren Düsseldorfer Ableger ist allerdings umstritten: Der Chef ist ein verurteilter Neonazi, der versuchte, die Partei zu beeinflussen.

Offiziell hat man sich inzwischen von ihm distanziert. Krämer sagt, es habe den Versuch von rechts gegeben, die Tierschutzpartei zu unterwandern. Aber das habe die Gruppierung abgewehrt. "Außer mir ist keiner mehr zu finden, der eine dreckige Vergangenheit hat."

Der Aussteiger Krämer gerät ins Visier der Neonazis

Als er die Bundeswehr Mitte der Achtziger verlässt, entscheidet er sich zum Ausstieg aus der Szene. Ausschlaggebend war ein Erlebnis, das er 1984 hatte: Zwei Männer des Militärischen Abschirmdienstes hätten versucht, ihn als Spitzel anzuwerben, so erzählt er es. Als er abgelehnt habe, hätten sie ihn gewarnt und geraten, dass er sich schnell aus dem brauen Sumpf befreien solle.

Ein anderer Grund: Leute wie Brehl und Kühnen seien ihm schnell suspekt geworden, sagt er. Die hätten eine verrückte Show abgezogen. "Dann habe ich Schritt für Schritt angefangen, mich aus der Szene zu entfernen." Doch der Versuch, sich zu befreien, scheitert. Es wird alles nur noch schlimmer. Er gerät ins Visier der Neonazis, die ihn wegen Verrats bestrafen wollen.

Nach seinem Bundeswehrdienst macht Krämer ein Praktikum in der Öko-Bildungsstätte "Collegium Humanum" in Ostwestfalen, die sich in den Achtzigerjahren unter dem Ehepaar Ursula und Werner Georg Haverbeck dem Rechtsextremismus zuwandte. Einmal organisiert er eine Veranstaltung über Naturreligion. Doch in dem Tagungsraum sitzen 20 Neonazis mit Springerstiefeln.

Es ist das "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten des 100. Geburtstag von Adolf Hitler", eine Organisation, welche die zersplitterte Neonazi-Szene Europas einen will. Krämer sagt, man habe ihm eine Falle gestellt. "Man hat in der Szene gemerkt, dass ich am Aussteigen war. Dann hat man mir eine Veranstaltung untergejubelt."

Er flüchtet nach Südtirol, um Urlaub zu machen und sich eine Auszeit zu nehmen. Die Südtiroler Illustrierte berichtet später, Krämer habe versucht, eine Organisation "im Geiste der deutschen Waffen-SS" zu gründen. "Das ist vollkommen erstunken und erlogen", sagt Krämer. Auch diese Story sei ihm angehängt worden.

Krämer geht in die Konfrontation, diesmal gegen seine alten Kameraden. 1986 tritt er in seiner Heimatstadt Dillenburg auf und gibt vor, hier den Parteitag der FAP organisieren zu wollen, obwohl er gar kein Mitglied mehr ist. Es ist eine Schnapsidee. Wegen seiner volksverhetzenden Aussagen muss Krämer eine saftige Geldstrafe zahlen. Am Hessentag warten Polizisten am Bahnhof, um die Neonazis zu empfangen. Doch es kommt niemand. "Diese Geschichte war diesmal von mir erstunken und erlogen. Ich wollte der FAP eins auswischen und meiner Heimatstadt einen großen Furz hinterlassen", sagt er. Krämer ist damals auf einem politischen Selbstmordtrip. Es ist der Anfang von etwas Neuem.

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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