Kulturpartner:Brüderliche Harmonie

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Vor 26 Jahren verließen Eduart und Lully Cerveja ihre albanische Heimat. Der eine gründete in Südfrankreich die Band'a Léo, der andere übernahm in Dachau die Leitung der Knabenkapelle. Inzwischen sind ihre erfolgreichen Ensembles Band-Partner

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die musikalischen Leiter der Dachauer Knabenkapelle und der französischen Formation Band'a Léo erkennt man sofort. Hier Edi der Kapellmeister, roter Wams mit Silberknöpfen, eine herzliche barocke Erscheinung mit kräftigem Händedruck, dort Lully aus Léognon, Dreitagebart, Sonnenbrille, Silberkettchen, mediterrane Lässigkeit. Es scheint doch was dran zu sein an kulturellen Stereotypen, und die Musik, die die zwei Blasensembles beim Dachauer Volksfest zum Besten geben, scheinen das noch zu unterstreichen: Die bayerischen und böhmischen Landler, Polkas und Märsche der Knabenkapelle sind klassische Bierzeltmusik, wie gemacht, um gemütlich bei Bier und Brezn zu schunkeln, die französische Banda aus Bordeaux schmettert ihre Musik dagegen förmlich heraus, flott und ohrenbetäubend laut. Man will den Leuten Beine machen, das ist nicht zu überhören.

Im vergangenen Jahr spielten die Dachauer Knabenkapelle und die Band'a Léo bei einem europäischen Blasmusikfestival. Die Franzosen räumten gleich mehrere Preise ab, die Dachauer errangen den "Coup de Coeur", den Publikumspreis, und wenn man in Bordeaux gemeinsam Erfolge feiert, kann man dasselbe ja auch mal im Bierzelt in Dachau versuchen. In der Kutsche von Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann saß beim traditionellen Festzug zur Eröffnung des Volksfests in diesem Jahr deshalb auch der Bürgermeister von Léognan, Laurant Barban. Es gibt keine offizielle Partnerschaft der beiden Kommunen, jedenfalls keine politische, die Verbindung ist kultureller Natur. Aber Kultur ist dieser Tage auch eine sehr politische Angelegenheit.

Im rechten politischen Spektrum wird derzeit viel mit dem Begriff "Identität" operiert. Zur Identität gehört natürlich immer auch die Kultur, besser gesagt die "eigene Kultur". Gerade das, was man unter Tradition subsumiert, wie etwa in Bayern die Blasmusik, gilt diesen Identitätstheoretikern als besonders scharfes Distinktionsmerkmal, und natürlich ist in ihrem Narrativ die eigene Kultur immer in Gefahr, verwässert zu werden durch fremde Einflüsse bis hin zur Auslöschung. Das ist natürlich blanker Unfug. Wer auch nur einen Funken Ahnung von europäischer Kulturgeschichte hat, weiß, dass Kunst, Literatur und Musik nicht im Schatten hoher Mauern gedeihen, sondern dort, wo es einen lebendigen Austausch gibt, das gilt auch im Kleinen, wie die Erfolge der Knabenkapelle und der Band'á Leo zeigen.

Eduart Cerveja (li.) und sein Bruder Lully leiten zwei äußerst erfolgreiche Traditions-Blasorchester. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die musikalische Leitung der beiden Gruppen haben die zwei Brüder Eduart und Lully Cerveja, beides weder Bayern noch Franzosen. Anfang der Neunzigerjahre lebten sie noch in Albanien. "In unserer Familie hat man sich schon immer sehr viel mit Musik beschäftigt", erzählt Eduart Cerveja. Er selbst spielt zahlreiche Instrumente, unter anderem Klarinette, Oboe und Saxofon. Im August 1992 nahm er am Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München teil - und blieb in Dachau. Er folgte damit dem Beispiel seines fünf Jahre älteren Bruders Lully, der erst wenige Monate zuvor zu einem Wettbewerb in Südfrankreich angetreten war und sich ebenfalls zum Bleiben entschloss. Bereut haben sie es beide nicht, und auch nicht der jüngste Bruder, der als bildender Künstler in Frankreich arbeitet. Mit Erfolg, wie man hört: Der 48-Jährige kann von der Kunst leben. Die Stadt Bordeaux hat ihn erst jüngst mit der Anfertigung eines Freskos beauftragt.

Aber zurück nach Dachau: Seit fünf Jahren hat Eduart Cerveja die musikalische Leitung der traditionsreichen Knabenkapelle Dachau inne. Der Vereinsvorsitzende Tilo Ederer schwärmt von einem "absoluten Glückstreffer", Cerveja sei ein exzellenter Pädagoge. Nachwuchssorgen kennt die Knabenkapelle nicht, und die Kinder, die sich zum mitmachen entschließen, bleiben in aller Regel bei der Stange. Eduart Cerveja weiß, wie er seine kleinen Musiker motiviert und begeistert.

In Léognan war es Lully Cerveja, der dort vor 20 Jahren die erste örtliche Musikschule aufgebaut hat - im Auftrag der Kommune. Diese Aufgabe erledigte er so gut, dass ihn der Bürgermeister fragte, ob er nicht eine Banda aufbauen wolle. Eine Banda hat in Südfrankreich einen ähnlichen Stellenwert wie in Bayern eine Blaskapelle. Sie ist kulturelles Aushängeschild und lokaler Party-Dienstleister. Wenn die Menschen im Ort feiern, ist die Banda immer mit dabei. Angefangen hat die Band'a Léo mit einem Dutzend Musikern, jetzt sind es schon mehr als 100. Etwa ein Drittel davon ist zu Besuch nach Dachau gekommen, viele waren zum ersten Mal in Deutschland. Das jüngste Talent der Gäste aus Frankreich ist gerade mal sechs Jahre alt, spielt aber schon souverän mit.

Zum Gruppenfoto versammelt sich das Traditions-Blasorchester vor dem Dachauer Schloss. (Foto: Knabenkapelle Dachau)

Nun ist der Erfolg der Brüder Cerveja kein Zufall. Das Elternhaus und der eigene Ehrgeiz lieferten die Grundsteine. Edi und Lully haben nie den Kontakt zueinander abbrechen lassen. Früher haben sie regelmäßig telefoniert, jetzt wird geskypt und natürlich wird auch gefachsimpelt. "Da gibt es schon viel Austausch." Und wenn man sich mal persönlich treffen kann, wie jetzt beim Volksfest in Dachau, genießen die beiden Brüder das sehr, auch wenn Eduart Cerveja dazwischen immer wieder mal von der Bierbank aufspringt, weil er ein Lied dirigieren muss.

Lully Cerveja lobt die Akkuratesse der Knabenkapelle: Jeder Ton sitze. Er weiß, wie andere Blasorchester spielen. Und schon ist man wieder bei einem kulturellen Klischee: der berühmten deutschen Gründlichkeit. Tatsächlich haben die Vereinsmitglieder der Knabenkapelle eine ganz andere Erklärung, nämlich eine eher technische: Ihr Vereinsheim ist ein altes Kino, die Akustik hervorragend, aber auch gnadenlos. Jeder Ton, der nicht hundertprozentig sitzt, sticht unangenehm heraus, also wird geprobt, bis nichts mehr schief klingt. In einem Bierzelt würden das die wenigsten merken, aber jemand, der so ein geübtes Gehör hat wie Lully Cerveja merkt das sofort. "Die spielen toll!" Aber blitzt nicht ab und an ein bisschen Konkurrenzkampf auf, wer denn der Bessere sei? Da lachen die zwei Brüder. Es gehe doch nicht um Konkurrenz, meint Lully Cerveja, sondern um den Spaß: "Que de plaisir!" Außerdem habe ja jeder sein ganz eigenes Programm, ergänzt Eduart Cerveja. "In der Musik ist es ja nicht wie im Sport." Im Sport müsse einer verlieren, damit der andere gewinne. Hier ist es anders: "Wir gewinnen immer zusammen."

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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